In Zweifel gezogen: Die Gemeinnützigkeit der Arbeit am Frieden

von Uli Jäger

Dient friedenspädagogische Arbeit der Allgemeinheit und ist deshalb als gemeinnützig anzuerkennen? Das Finanzamt Tübingen verneinte dies und entzog 1983 dem Tübinger Verein für Friedenspädagogik die bis dahin gewährte Gemeinnützigkeit. Das Finanzgericht Baden-Württemberg gab jedoch der Klage des Vereins im Oktober 1987 statt und sprach diesem die Gemeinnützigkeit wieder zu. Nachdem das Finanzamt Tübingen Revision eingelegt hat, geht es jetzt um eine grundsätzliche Klärung vor dem Bundesfinanzhof in München. Damit steht ein Musterprozeß an, der nicht nur Rechtsgeschichte machen könnte, sondern vor allem auch erhebliche Auswirkungen auf die Friedensarbeit im allgemeinen und auf viele Einrichtungen der (friedens-)politischen Bildungsarbeit im besonderen haben wird.

In seiner Urteilsbegründung (Az.: VI K 377/84 und VI K 377/84) stellte das Finanzgericht Baden-Württemberg u.a. fest: "Frieden ist - wie man den Begriff auch im einzelnen verstehen mag - stets erste Voraussetzung kultivierten menschlichen Zusammenlebens und also unverzichtbares Wechselelement der Kultur selbst, ( ... ). In jener Ausprägung, in welcher es aus der Satzung des Klägers hervorgeht, ist Förderung des Friedens aber auch ein Beitrag zu Bildung und Erziehung, zur Entwicklung von Wissenschaft und Forschung - und zur Völkerverständigung. Der Senat ist der Auffassung, daß der Kläger nach seiner Satzung nachhaltig zu diesen Zielen beiträgt." Im Januar 1988 legte das Finanzamt gegen dieses Urteil Revision ein. Als Kern der Auseinandersetzung formu-liert das Finanzamt Tübingen in seiner Revisionsbegründung vom 15.3.1988, daß jede Art von Engagement für den Frieden notwendigerweise politische Arbeit sei und auf politische Einflussnahme abziele. Politische Arbeit definiere sich dadurch, daß deren Inhalte u.a. von Parteien aufgegriffen würden. Dies sei jedoch nicht mit der Gemeinnützigkeitsordnung in Einklang zu bringen.

In der zum Teil inhaltlich fast unglaublichen Begründung heißt es u.a.:
"Nach Auffassung des Finanzamtes berührt die Beschäftung mit dem Thema 'Frieden' jedoch nicht nur am Rande politische Fragestellungen, sondern führt vielmehr zu einem in erster Linie politischen Thema, das als Nebenprodukt gegebenenfalls gemeinnützige Zwecke streifen kann.

Andererseits ist eine wertneutrale Betrachtung auch unter dem Gesichtspunkt geboten, daß Friedensförderung möglicherweise nicht vorbehaltlos als erstrebenswertes Ziel betrachtet werden kann. 

Die Auffassung des Finanzgerichts, Frieden sei existenzielle Voraussetzung jeden kulturellen Lebens ist ungeschichtlich und einseitig.

Der Bundesfinanzhof wird letztinstanzlich klären, ob bzw. welche Formen von Friedensarbeit gemeinnützig sind. Sollte sich die Argumentation des Finanzamtes Tübingen durchsetzen, so würde dies bedeuten, daß eine Vielzahl 'der Träger von friedenspädagogischer und -politischer Bildungsarbeit ihre bisherige Organisations- und Finanzierungsbasis verlieren würden.
Jeder (auch wissenschaftliche) Verein müßte zur Erfüllung des "Neutralitätsgebotes" letztendlich immer die eigene Zielsetzung selbst in Frage stellen.

Der Ausgang des Verfahrens ist also von grundsätzlicher Bedeutung für einen weiten Kreis von V er einen und Verbänden. Er ist darüber hinaus für das Verständnis und die Ausprägung von politischer Kultur in diesem Lande von Bedeutung sowie für die Zukunft aufklärererischer Arbeit überhaupt. Diese ist jedoch Voraussetzung für eine umfassende, notwendige Meinungs- und Willensbildung. 

Nähere Informationen und Liste über friedenspädagogische Materialien bei:
V er ein für Friedenpädagogik Tübingen eV, Bachgasse 22, 7400 Tübingen, Tel.: 07071/21312
 

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Hintergrund
Uli Jäger, von 1986 bis 2011 Ko-Leiter des Instituts für Friedenspädagogik Tübingen e.V.; seit 2012 Director of Peace Education bei der Berghof Foundation/ Friedenspädagogik Tübingen.