Mit Strategie und „Tie-o-cie“

Kampagnenstrategien entwerfen

von Jutta Sundermann
Schwerpunkt
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Pazifismus und Antimilitarismus haben es gerade richtig schwer. Medien, Regierung, viele Organisationen und Umfragen halten Waffenexporte für das Gebot der Stunde und stimmen sogar massiver Aufrüstung für Bundeswehr und NATO zu.

Wenn eine Bewegung eine Durststrecke durchlebt, wenn die Ressourcen knapp und die Stimmung in der Gesellschaft frustrierend weit von eigenen Zielen entfernt sind, ist das Handwerkszeug der Kampagnenplanung unverzichtbar.

Hebel finden, Veränderungen möglich machen
Kampagnenstrategien helfen, wieder ins Gespräch zu kommen. Sie bündeln Energie und konzentrieren sich meistens auf einen wesentlichen Aspekt eines Konflikts. Weil die Wahl immer etwas schmerzhaft ist, trösten sich Lateinfans mit der „Pars pro toto“-Regel: gut gewählt kann ein kleiner Teil für das große Ganze stehen - auch für ein großes Umdenken.

Aus der Physik ist die segensreiche Kraft-Verstärkung eines Hebels bekannt. Ihr findet einen Hebel der Veränderung, wenn es zum Beispiel einen Konflikt unter denjenigen gibt, die wichtige Entscheidungen zu treffen haben. Wo Risse im vermeintlich klaren Bild stecken und Mehrheiten ins Wanken geraten können: Wo ist die plötzlich hegemoniale Militarisierungsstimmung anzukratzen? Hilft zum Beispiel das unerträgliche Beschaffungsskandalwesen der Bundeswehr, um die Zustimmung für weitere Milliarden für diesen Sumpf zu brechen? Kann eine Auswertung der Medienberichterstattung die Tücken vereinfachender Erzählungen aufdecken? Ist es möglich, russische oder ukrainische Anti-Kriegs-Stimmen hörbarer zu machen und zu stärken? Was brauchen die friedensliebenden Menschen in der grünen oder sozialdemokratischen Parteibasis, um den Aufstand zu beginnen gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit?

Vorhang auf für Eure Theory of Change
Es gibt verschiedene Definitionen für die sogenannte Theory of Change (ToC). Eine lautet: „Die ToC ist eine kluge Kombination von Annahmen und Aktivitäten, die dazu führen, dass ein*e Entscheidungsträger*in eine bestimmte gewünschte Entscheidung trifft.“ Eine ToC kann auch mehrere Akteur*innen in den Blick nehmen oder die Kräfte unterschiedlicher Teile einer Bewegung zusammenbringen.

Die ToC fällt den Planenden nicht in den Schoß. Sie erfordert Analysearbeit und sorgfältiges Abklopfen möglicher Ansatzpunkte. Gibt es Akteur*innen, die gerade sensibel sind, weil ihnen ein Wahlkampf ins Haus steht, weil der Ruf schon angekratzt ist oder es im Gebälk einer Koalition tüchtig knirscht? Wen kann die eigene Intervention erreichen, welche Einmischung kommt am sichersten dort an, wo sie wahrgenommen werden soll? Welche Bündnispartner*innen gibt es, welche anderen Aktivitäten wirken in die gleiche Richtung? Entsteht so Druck für Veränderung?

Rückwärts planen für die erfolgreichste Strategie
In der Entwicklung der ToC ist der Rückwärtsgang von zentraler Bedeutung. Ausgehend vom gewünschten Ergebnis kann sich die Campaignerin zurück arbeiten: Was sind die Meilensteine vor der gewünschten Entscheidung? Welche Ansatzpunkte ergeben sich aus vorherigen Prozessen? Wer wird angehört, wer ist erreichbar, wer mischt sich außerdem ein, welche Termine sind erwartbar?

Am Ende könnt Ihr Eure ToC in einem oder zwei Sätzen beschreiben. Sie ist ein höchst nützliches Instrument. Mit ihr gewinnt Ihr Mitstreiter*innen und Unterstützung. Mit ihr erklärt Ihr den Medien, was Ihr warum tut und wohin das führt. Eine gute ToC löst eine Zustimmung aus, macht Hoffnung: „Ja, so hat unser Ziel eine Chance. Es ist ein Ansatzpunkt gefunden.“

Im Verlauf einer Kampagne passen die Campaigner*innen ihre ToC immer wieder an, schärfen sie nach für Einzelaktionen oder berücksichtigen die Reaktionen der Adressat*innen.

Beispiele
Eine erste Annäherung an eine ToC könnte lauten: „Ohne das OK des Parteitags wird die Luft dünner für die allzu kriegsbereite Außenministerin Annalena Baerbock. Wir wenden uns gezielt an die grüne Basis und bereiten mit vielen Aktionen und Begegnungen den nächsten Parteitag dezentral vor.“ Werdet dann noch konkreter: Welche Entscheidung genau steht zur Debatte? Welche Teile der Basis erreicht Ihr? Welche Aktion oder Ansprache bringt sie in Schwung?

„Im Herbst 2023 ist Landtagswahl in Hessen. Auch Christine Lambrecht, SPD-Bundesverteidigungsministerin und hessische Abgeordnete wird dort auf Wahlkampftour gehen. Die Monate bis dahin nutzen wir, die Beschaffungsskandale der Bundeswehr aufzuarbeiten und den hessischen Sozialdemokrati*innen bewusst zu machen. Wo auch immer die Ministerin dann ab Sommer auftritt, sind Kritiker*innen schon da, die das Mantra von höheren Militäretats zurückweisen.“

„Die Einsicht kommt oft spät: die Medienberichterstattung bedient viel zu sehr das Bedürfnis nach Heldenstories und vermeintlich klaren Gut- und Böse-Schemata. Wir werten zusammen mit Medienschaffenden aus, wie es zum großen Militarisierungs-Chor kommen konnte und treten damit an die öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Anstalten und die großen Zeitungen heran.“

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