Keine Kredite für den Krieg im Kaukasus

von Bernhard Clasen
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Elenas letzte Hoffnung ist die deutsche Botschaft in Moskau. Auf der Flucht vor den russischen Bomben in ihrer tschetschenischen Heimat ist sie nun in Moskau angelangt. Ein Zuhause hat sie nirgends. Wurden die Kinder der Deutschstämmigen in ihrem Dorf in Tschetschenien als "Deutsche" gehänselt, müssen sie hier nun in Moskau den Hass der Miliz gegen "die Kaukasier" spüren.

Elenas Oma, eine überzeugte Kommunistin, war 1933 aus Süddeutschland in die Sowjetunion emigriert. Wenig später wurde ihr Mann "wegen Spionage" unter Stalin hingerichtet, die Oma selbst musste für 8 Jahre in Lagerhaft. Als Elena in der deutschen Botschaft im Oktober 99 einen Ausreiseantrag stellen will, erhält sie nicht einmal Einlass.

Heute gibt es tausende von (gemischten) Familien in Russland, die wegen des Tschetschenien-Krieges ihre Heimat verlassen mussten. Und gäbe es nicht die "Zivile Unterstützung", eine kleine Nichtregierungsorganisation, die sich gegen Diskriminierung von Minderheiten im Russland von heute, und für Flüchtlinge einsetzt, wäre der Fall von Elena nie bekannt geworden.

Im Gegensatz zum ersten Tschetschenien-Krieg schienen die russischen Kriegsherren dieses mal das Recht auf ihrer Seite zu haben: Bei mehreren schrecklichen Terroranschlägen auf russische Wohnhäuser starben im Herbst 99 mehrere hundert Menschen. Gleichzeitig überfielen von tschetschenischem Territorium aus bewaffnete Truppen Ortschaften im benachbarten Dagestan.
 

Ein entschiedener Kampf gegen den um sich greifenden Terrorismus war geboten. Doch obwohl überhaupt niemand nachweisen konnte, dass die schrecklichen Bombenattentate das Werk von tschetschenischen Warlords seien, hatten Russlands Mächtige ihre Entscheidung schon getroffen: Für diese Taten ist die gesamte Bevölkerung von Tschetschenien unerbittlich zu bestrafen.

Russland begann einen Krieg gegen das kleine Tschetschenien, der sich in seiner Grausamkeit nicht von dem ersten Tschetschenien-Krieg 1995 unterscheidet.

Von der NATO lernen ...
Aber das russische Militär hatte dazugelernt. Hatte eine relativ freie Presse noch ungehindert über den letzten Tschetschenien-Krieg berichten können, wird dieses mal mit einer rigorosen Informationspolitik verhindert, dass Informationen über die Schrecken des Krieges an die Öffentlichkeit gelangen. Ein eigens von der Regierung eingerichtetes Informationszentrum "dokumentiert" den Krieg, wie es die NATO-Videos in Brüssel beim täglichen Briefing während des Jugoslawien-Krieges nicht besser gekonnt hätten. Die Videos sollen belegen: mit "punktgenauer" Waffentechnik gelänge es, Terroristen zu neutralisieren, während gleichzeitig die Zivilbevölkerung geschont werde.

Russische Menschenrechtsorganisationen, wie "Memorial" oder die "Zivile Unterstützung" zeichnen ein anderes Bild. Die Menschenrechtler dokumentieren viele Fälle, in denen gezielt gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen worden ist. So beschreiben sie den Luftangriff auf Staraya Sunda, einen Vorort von Grosnij. Sechs Wohnhäuser waren bei diesem Angriff fast völlig zerstört worden. Umgekommen waren die Eheleute Temirsultanov (33 Jahre), deren Mutter Thaus, deren Tochter, und eine schwangere Freundin der Familie, die gerade auf die beiden Kinder (3 und 2 Jahre) aufpasste.

In einem offenen Brief wenden sich russische MenschenrechtlerInnen an UN-Generalsekretär Kofi Annan, an die Menschenrechtsbeauftragte der UNO, Frau Mary Robinson und den Vorsitzenden der OSZE. Auch sie betonen die Notwendigkeit, den Terrorismus zu bekämpfen. Doch ein Krieg gegen die gesamte Bevölkerung von Tschetschenien habe mit Bekämpfung von Terrorismus nichts zu tun.

Eine Reihe von Umständen bestätigen die Behauptung der russischen Menschenrechtler, dass die terroristischen Anschläge lediglich ein Vorwand für einen schon länger geplanten Krieg gegen Tschetschenien waren: 1996 - 1999 konnten terroristische Vereinigungen aus Tschetschenien im benachbarten Dagestan in aller Ruhe eine eigene militärische Infrastruktur aufbauen, ohne hieran auch nur im geringsten von den Machhabern gehindert worden zu sein.

Weder Innenministerium noch Inlandsgeheimdienst konnten bisher nachweisen, dass die Terrorakte tatsächlich von Tschetschenien aus gesteuert worden waren.

Keine Kredite für den Krieg im Kaukasus!
Solange Russland Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, darf der Westen keine Kredite auszahlen. Das darf aber nicht heißen: Kein Geld mehr nach Russland.

Wieviele Gruppen, Organisationen, Initiativen gibt es in den Ländern der GUS, die sich für Frieden, Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben der Nationen einsetzen. All diese Gruppen und Organisationen leiden unter chronischer Finanznot. Warum das Geld der Jelzin-Familie und den Militärs in den Rachen werfen? Gelder an diese Nichtregierungsorganisationen sind die beste Investition in eine demokratische und friedliche GUS.

Menschenrechtsorganisationen wie "Memorial", die "Zivile Unterstützung" oder die Soldatenmütter fühlen sich in ihrem Kampf oft sehr allein gelassen. Partnerschaften zu diesen Organisationen sind sehr wichtig, ermöglichen sie doch eine gemeinsames Vorgehen gegen Krieg - sei es nun in Jugoslawien oder Tschetschenien. Und vielleicht ist es auch die Partnerschaft der "Zivilen Unterstützung" mit der deutschen Sektion der "Helsinki Citizens Asembly", die die eingangs erwähnte Jelena wieder Hoffnung schöpfen lässt.

Nachtrag: Entscheidungsträger des Internationalen Währungsfondes können sich vertrauensvoll an die HCA wenden, wenn sie Kontakte zu unterstützenswerten Projekten in der GUS suchen.

 

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