Krieg als Hardware kapitalistischer Globalisierung

von Dirk Vogelskamp
Schwerpunkt
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Im folgenden dokumentieren wir Auszüge eines Vortrages mit dem Titel "Der permanente globale Krieg für freien Handel - oder der bewaffnete Fortschritt", den Dirk Vogelskamp am 12. November 03 beim Friedensbildungswerk Köln gehalten hat.

I. Die Nationale Sicherheitsstrategie der USA
Die konservativen Denkfabriken, Netzwerke und Institute haben unter der Bush-Regierung massiv an Einfluss gewonnen. Ihre aggressiven Strategien und globalen Entwicklungs- und Vorherrschaftsvorstellungen haben sich nicht zuletzt in der Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) der USA vom September 2002 niedergeschlagen, die alle Weltregionen und alle Ebenen von Politik, Kultur und Wirtschaft umfasst.

Die Grundzüge der US-amerikanischen Sicherheitsdoktrin vom September 2002 wurden bereits vor Jahren ausgearbeitet. Die NSS reagiert nicht - wie in Washington behauptet - auf die Anschläge vom 11. September 2001, sondern setzt die neokonservativen Ideologien um in eine Doktrin, die eine aggressive Verbindung zwischen neoliberaler Globalisierung, sprich kapitalistischer Reorganisierung weltweiter Ausbeutung und Verwertung und den politisch-militärischen Hegemonieansprüchen der US-Eliten herstellt.

Die neue US-Sicherheitsdoktrin wurde vor allem wegen ihrer Präventivkriegsstrategie verkürzt diskutiert. Dieses Prinzip des Präventivkriegs erlaubt es der US-Regierung nach eigenen Entscheidungen und Deutungen militärisch global zu intervenieren, um vermeintliche "Gefahren" abzuwehren. Die Doktrin spricht von Präemption, einer vorbeugenden militärischen Maßnahme, wenn nachweislich und unmittelbar ein militärischer Angriff oder militärische Bedrohung bevorsteht (antizipatorische Selbstverteidigungsmaßnahme). Die für die Weltöffentlichkeit inszenierte vorgebliche Entwaffnung des irakischen Regimes hat genau darin seinen Grund: Einen präemptiven Krieg vorzutäuschen.

In der Sicherheitsdoktrin heißt es, es gäbe nur "ein einziges haltbares Modell für nationalen Erfolg: Freiheit, Demokratie und freies Unternehmertum". Die Priorität liegt dabei auf Freihandel nach den Regeln der WTO (World Trade Organization). Dazu will die USA eine globale Initiative ergreifen. Weiter heißt es: "Schließlich werden die Vereinigten Staaten die Gunst der Stunde nutzen, um die Vorzüge der Freiheit in der ganzen Welt zu verbreiten. Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, die Hoffnung auf Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel der Erde zu tragen." In dem in der Diskussion weniger beachteten Kapitel VI mit der Überschrift "Freie Märkte und freier Handel - Einleitung einer neuen Ära globalen Wirtschaftswachstums" heißt es unter anderem: "Solange Nationen ihre Märkte abschotten und es nur für wenige Privilegierte Chancen gibt, wird kein Entwicklungshilfebeitrag je ausreichen. Wenn Nationen ihre Bürger respektieren und ihre Märkte öffnen, in bessere Gesundheitsfürsorge und Bildung investieren, wird jeder Dollar an Hilfe, jeder Dollar an Handelseinnahmen und Inlandskapital effektiver genutzt." (als Zitat von Präsident Bush vorweg gestellt). "Eine starke Weltwirtschaft, die Wohlstand und Freiheit in der restlichen Welt fördert, erhöht auch unsere nationale Sicherheit." Die neue US-amerikanische Sicherheitsdoktrin erhebt "nicht globalisierungskompatible Gesellschaften" zu einem nationalen Sicherheitsinteresse.

Dazu gehört das Kapitel VII. "Ausweitung des Entwicklungsprozesses durch Öffnung von Gesellschaften und den Aufbau demokratischer Strukturen". Darin heißt es: "Über Jahrzehnte hinweg geleistete Entwicklungshilfe hat in den ärmsten Ländern nicht zu einem Wirtschaftswachstum geführt. Was noch schlimmer ist, Entwicklungshilfe hat oft dazu gedient, eine zum Scheitern verurteilte Politik zu stützen, indem der Reformdruck genommen und Elend verlängert wurde. Die Resultate geleisteter Entwicklungshilfe werden üblicherweise in Dollar gemessen und nicht an den Ergebnissen, die in Form von Wachstumsraten und Armutsverringerung in den Empfängerländern erreicht wurden. Dies sind die Indikatoren einer fehlgeschlagenen Strategie. ... Das Ziel dieser Regierung ist die Freisetzung des Produktivpotenzials von Menschen in allen Nationen. Anhaltendes Wachstum und Armutsverringerung sind ohne die richtige Politik auf nationaler Ebene unmöglich. Dort, wo Regierungen tatsächliche politische Richtungsänderungen vorgenommen haben, werden wir ein deutlich größeres Engagement in der Entwicklungshilfe zeigen."

Unter dem legitimatorischen Gewand von Freiheit, Demokratie und Entwicklungsfortschritt entwirft die NSS ein Projekt weltweiter politischer und ökonomischer Umwälzung mit militärischen Mitteln (und steht damit in der Kontinuität der neuen NATO-Strategie vom April 1999, die wirtschaftliche Krisen mit militärischen Interventionen verknüpft hat, und dem gescheiterten Multilateralen Abkommen für Investitionen (MAI), das auf die Öffnung der Gesellschaften für ausländische Investitionen drängte).

II. Die Globalisierungslücken
Eine treffliche Interpretation der nationalen US-amerikanischen Sicherheitsdoktrin liefert Thomas P. M. Barnett, Professor am U.S. Naval War College und seit September 2001 im Beraterstab von Verteidigungsminister Rumsfeld. In seinem Artikel "Die neue Weltkarte des Pentagon" (Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2003) unterstreicht er, dass der Irakkrieg einen historischen Wendepunkt markiere - den Moment, in dem Washington von der strategischen Sicherheit im Zeitalter der Globalisierung tatsächlich Besitz ergreife. Barnett unterscheidet und bestimmt die Regionen der Welt danach, ob die Globalisierung tatsächlich Wurzeln geschlagen habe oder nicht. "Je weniger ein Land an der Globalisierung teilhat, desto eher wird es eine militärische Intervention der Vereinigten Staaten heraufbeschwören." Barnett ortet die Globalisierungslücken auf den karibischen Inseln, in fast ganz Afrika, auf dem Balkan, im Kaukasus, in Zentralasien, im nahen Osten und in großen Teilen Südwestasiens. Dementsprechend fällt seine Liste möglicher militärischer Interventionen aus.

Die nationale Sicherheitsstrategie der USA, die im Irakkrieg erstmals ihre Anwendung fand, markiert tatsächlich einen weltpolitischen Umbruch hin zu einem permanenten Krieg auf der gewaltsamen und offensiven Suche nach Wegen aus der verschärften Krise kapitalistischer Verwertung und Investition.

Die gewaltsame Transformation des Nahen und Mittleren Ostens
Kehren wir noch einmal zur Region des Nahen und Mittleren Ostens zurück. Bereits der Bericht von Brent Scowcroft, Sicherheitsberater von George Bush im ersten Irakkrieg, an den Council on Foreign Relations gibt einen Überblick über die blockierte Entwicklung im Nahen Osten. Die Fertigstellung und Publikation dieses Berichtes fällt in die erste Phase der akuten Vorbereitung des Irakkriegs (14.2.2002/Internetseite CFR). Die Einleitung beklagt, dass die ökonomische Leistung vieler der Länder der Region im letzten viertel bis halben Jahrhundert enttäuschend gewesen sei, trotz des Vorteils großen Ölreichtums. Als Gründe werden die mangelnde Bereitschaft der ökonomischen Öffnung für Investitionen, Dienstleistungen und Gütern außerhalb des Ölbereichs gesehen und die mangelnde Bereitschaft, die interventionistische Rolle des Staates in die Wirtschaft zu reduzieren. Ausdrücklich wird die "enorme Komplexität" des Problems und die Notwendigkeit neuer ökonomischer Strategien für die Binnenwirtschaften betont, wobei hohe Zölle, Bürokratie, Korruption, Staatseigentum, vor allem an Fabriken und Banken, und das Ausbleiben einer Mentalitätsänderung (Change in mentality ) nur einzelne Probleme seien. Im eigentlichen Bericht werden dann die einzelnen Dimensionen der notwendigen Deblockierung genannt wie z.B.: Schaffung andersartiger Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeiter, die Veränderung des Zugangs von Investitionen im Service- und Bankbereich. Gerade in diesem letzteren Bereich des Servicesektors wird eine besondere Bedeutung zugemessen. Hier wird eine massive Deregulierung gefordert, es komme darauf an, "... den Staat von einem bedeutenden ökonomischen Akteur zu einem Lieferanten für Dienstleistungen zwecks Schaffung eines attraktiven Investitionsklimas zu transformieren". Der gesamte Raum soll in die Linie der von den USA favorisierten WTO-Strategien gebracht werden, und zwar auf dem Wege der von der US-Administration favorisierten Handelsvertragspolitik.

Hier stoßen wir früh auf den politisch ökonomischen Gehalt der geopolitischen Nahostoffensive als umfassenden Zugriff auf alle politischen, ökonomischen und sozialen Größen, die für die Wertschöpfungsoffensive von Bedeutung sein könnten, bis hin zu den Prozessen der Elitebildung für ein neues politisch ökonomisches Regime und der Umorientierung der "Mentalitäten".

Der bereits oben erwähnte Ronald D. Asmus und sein Kollege Kenneth M. Pollack, Mitarbeiter am Saban Center for Middle East Policy der Brookings Institution in Washington, haben einen Schlüsseltext für das Verständnis des Irakkrieges verfasst. Der Titel lautet harmlos: Transformation des Mittleren Ostens (Das neue transatlantische Projekt). Nach einem Aufriss der bekannten Bedrohungsanalyse durch die neuen Formen des "Terrorismus" fordern sie dazu auf, in die Offensive zu gehen, um die dem Terrorismus zu Grunde liegenden Ursachen und nicht nur die Symptome zu behandeln. Eine solche Strategie benötige auch eine militärische Komponente. Der gesamte Nahe Osten leide unter einer "Krise der Regierbarkeit", die mit der Unfähigkeit der Staaten einhergehe, die Herausforderungen der Moderne und der Globalisierung zu bewältigen. Für Asmus und Pollack handelt es sich bei der Transformation des Mittleren Ostens um ein strategisches Projekt, das nicht Jahre sondern Jahrzehnte braucht.

Für Asmus und Pollack scheint festzustehen, dass der Irakkrieg erst der Auftakt einer lang anhaltenden und auch gewaltsamen Offensive zur Umwälzung der Lebensbedingungen von Millionen von Menschen im Nahen und Mittleren Osten ist (Asmus hat das den "bewaffneten Fortschritt" genannt). Eine Region wird kriegerisch unter Schock, unter Stress gesetzt, um die Unregierbarkeit und Blockaden aufzusprengen und um ökonomische Anknüpfungspunkte freizulegen. Auch wenn die US-Besatzungspolitik gegenwärtig mit immensen Schwierigkeiten und Widerständen zu kämpfen hat, ist es nicht angezeigt, von einem Scheitern der Strategie zu sprechen. Die Dimension der gewaltsamen Umwälzung und ökonomischen Erschließung einer Großregion ist ungeheuerlich und nicht in wenigen Monaten zu gestalten. Der Irak soll auch demonstrativ, sowohl in seiner militärischen Besatzung als auch in seiner kapitalistischen Umgestaltung, auf die Nachbarstaaten wirken. Mit dem Gesetz zur Regelung der Auslandsinvestitionen, das US-Verwalter Paul Bremer kürzlich erlassen hat, ist ein Anfang getan, die irakische Wirtschaft für internationale Konzerne zu öffnen: Ein Gesetz, dass die irakische Ökonomie zu einer für Handel und Kapitalflüsse offensten und steuergünstigsten der Welt macht, so ein Kommentator der New York Times. Ein gewiss grausiges Experiment in einem kriegverwüsteten Land und einer Bevölkerung auf Elendsniveau.
 

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Dirk Vogelskamp ist Referent des Komitee für Grundrechte und Demokratie.