Einschätzung zur Friedensbewegung

„Krieg gegen den Terror“ und friedensbewegte Mobilisierung?

von Uli Wohland
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Es gibt keinen „Krieg gegen den Terror“. Terror wird mit Mitteln des Krieges nicht bekämpft. Wer Terror kriegerisch bekämpft, fördert Terror. Wer behauptet, einen Krieg gegen den Terror zu führen, will immer auch etwas ganz anderes. Ein Militärbündnis, dem der Feind abhanden gekommen ist, wie der NATO Anfang der 1990er Jahre, sucht nach einem neuen Feind oder versucht, einen alten zu „reaktivieren“. Beides ist der NATO nach und nach gelungen. Wer einen Hammer besitzt, dem ist die ganze Welt ein Amboss, pflegte Johan Galtung die Situation zu beschreiben. Also machte sich die Politik Anfang der 90er Jahre daran, für das mächtigste Militärbündnis der Welt einen Amboss, sprich einen Gegner, zu finden.

Die Terrorgefahr taucht im Weißbuch von 1994 im Rahmen eines „weiten Sicherheitsbegriffs“ als ernsthafte Bedrohung auf. Eine in der Friedensszene eher belächelte Einschätzung. Die Vorstellung, die Bundeswehr könnte gegen eine Weltanschauung mit terroristischen Aktivist*innen eingesetzt werden, klang doch reichlich konstruiert. Und überhaupt waren „wir“, wie der damalige Verteidigungsminister es formulierte, nach dem Ende des Kalten Krieges „umgeben von Freunden“. Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, mit ihrer oftmals anti-islamischen Rhetorik, taten das ihre - und spätestens nach den Angriffen auf das World Trade Center war der Islamismus als neues Feindbild fest etabliert.

Mit der „Reaktivierung“ eines alten Gegners dauerte es etwas länger. Russland wurde vom kurzfristigen Partner in den 1990 Jahren wieder zum Gegner, und beide Seiten haben seit den 2000er Jahren vieles unternommen, um die Spirale der Feindschaft wechselseitig weiterzudrehen. Die Welt war für viele Politiker*innen und Militärs der NATO wieder in Ordnung. Die NATO hatte ihre Gegner gefunden. Den neuen islamistischen und den alten russischen Feind.

Der islamistische Feind trat primär als Terrorist auf. Und es war wahrlich ein raffinierter Schachzug von George W. Bush, die Bekämpfung des Terrorismus als „Krieg“ zu deklarieren. Gemäß Artikel 5 des NATO-Statutes trat der Bündnisfall ein. Alle Mitglieder der NATO waren damit im Kriegszustand.

Natürlich gibt es Terrorismus und natürlich war der Angriff am 11. September ein terroristischer Akt. Aber niemand konnte damals wie heute plausibel erklären, wieso diese furchtbare Tat den Angriff auf ein ganzes Land wie Afghanistan oder auch den Irak rechtfertigen sollte. Die Hauptgegner in Afghanistan wurden übrigens die Taliban, die vermutlich außer einer „klamm-heimlichen Freude“, über den gelungen Coup wenig mit dem Terrornetzwerk Al Quaida, das die Flugzeug Attacken organisierte, zu tun hatten. Die afghanischen Taliban sehen ihr Ziel im Regierungssturz in Kabul, nicht im Angriff auf den Westen. Allerdings gewährten sie Osama Bin Laden Unterschlupf. Aber rechtfertigt das eine 20-jährige Militärintervention?

Ein damals vielfältig in der Friedensbewegung geäußerter Gedanke war: Terroristen sind Verbrecher und Verbrecher werden mit polizeilichen Mitteln verfolgt. Genau diese hätten auch ausgereicht, um die Drahtzieher vom 11. September zu identifizieren und strafrechtlich zu verurteilen. Aber die NATO brauchte Feinde. Wie sonst sollte sie ihre milliardenschwere Existenz rechtfertigen?

Just in dem Augenblick, in dem Russland bedrohlich dargestellt werden konnte (Krim, Ukraine) und am Horizont China als zukünftiger Kombattant auftauchte, schwindet das Interesse an Afghanistan und anderen Einsätzen gegen den Terror, z.B. in Mali. Könnte dies damit zusammenhängen, dass hier wieder Gegner auftauchen, die sehr viel besser in das traditionelle Bild eines militärischen Gegners passen, mit staatlichen Truppen, Manövern, Paraden und Uniformen? Und nicht diese diffusen, asymmetrisch agierenden Terroristen mit Autobomben und Selbstmordattentaten? Und genau zu diesem Zeitpunkt ist erkennbar, dass die beiden größten Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und auch in Mali gescheitert sind. Nichts ist wirklich gut, in den derzeit zwölf Einsätzen der Bundeswehr.

Was macht die Friedensbewegung?
Bisweilen taucht die Frage auf, warum es keine größere Gegenbewegung, keine großen Kampagnen gegen den sogenannten „Krieg gegen den Terror“ gab und gibt. Drei Unternehmungen aus den letzten Jahren will ich kurz benennen und sie in den Kontext des Krieges gegen den Terror stellen.

1. Das Monitoring-Projekt
Ein mittlerweile fast vergessenes Projekt entstand in den 2000er-Jahren: das Monitoring-Projekt, mit friedenspolitischen Analysen von Andreas Buro, herausgegeben von der Kooperation für den Frieden. Der Friedensforscher kritisierte das offizielle militärische Narrativ zu Konflikten, z.B. in Afghanistan, Irak, Mali, Israel-Palästina, Kurdistan. Gleichzeitig formulierte er auch jeweils konkrete Vorschläge, einer möglichen Zivilen Konfliktbearbeitung, kurz ZKB. Konflikte, so der Grundgedanke, die in den Spannungen einer Gesellschaft wurzeln, sollten vorrangig innergesellschaftlich bearbeitet werden. Die Opferzahlen in den Ländern mit Terrorismus sind um ein Vielfaches höher als die Opferzahlen in den westlichen Ländern. (Und die Opferzahlen in Europa und den USA liegen unter 1% gegenüber den weltweiten Opfern durch Terrorismus). Die Unterstützung der konstruktiven Kräfte im Inneren ist deshalb mindestens so wichtig wie die vorsichtige Unterstützung von außen. Wie weit diese Analysen und der ZKB-Ansatz in der Friedensbewegung eine nachhaltige Wirkung entfaltet haben, ist freilich vorsichtig einzuschätzen. Zu ungewohnt war und ist der Gedanke, pragmatische Vorschläge zu formulieren, statt einfach staatlich-militärisches Handeln zu kritisieren.

2. Sicherheit neu denken
"Sicherheit neu denken“, ist ein zweites Projekt. Es zielt auf den Ausstieg aus der gewaltbasierten Militärlogik, zugunsten einer zivilen Sicherheitspolitik. Kurz gesagt, es geht um die Abschaffung des Militärs. In diesem Zusammenhang wird auch der an militärischer Gewalt orientierte Sicherheitsbegriff thematisiert. Der Krieg gegen den Terrorismus basiert auf dem „Mythos der Gewalt“. „Sicherheit neu denken“ ist auch eine Diskurskampagne, die versucht ein alternatives Verständnis von Sicherheit zu etablieren.
Die Orientierung an ZKB und einem alternativen Sicherheitsbegriff ließen sich zu zwei wichtigen Bausteinen gegen die Logik der Gewalt, auch in der Terrorismusbekämpfung, verschränken. Diskurskampagnen, sei es zu ZKB oder zu einem neuen Sicherheitsbegriff, verändern jedoch keine politischen Verhältnisse. Sie sind nicht dazu in der Lage, zu mobilisieren und neue Aktive zu gewinnen. Dazu braucht es Aktionen auf der Straße und Druck auf die Entscheider*innen. Es braucht Druckkampagnen.

3. „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien
Mit der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“ wurde genau dies versucht. Zentrales Element der Kampagne war die Tatsache, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Jeder Einsatz der Bundeswehr muss nicht nur vom Parlament genehmigt werden, er muss vielmehr jedes Jahr neu bestätigt werden. Ideale Voraussetzung für zyklisch sich wiederholende Druckmöglichkeiten auf Parteien und Abgeordnete. Eine Kampagne gegen den Syrieneinsatz der Bundeswehr als Blaupause für den Widerstand gegen internationale Anti-Terror-Einsätze und die Möglichkeiten, entsprechende Instrumente zu entwickeln, z.B. das Graswurzellobbying. Konzeptionell war das eine zyklische Druckkampagne, mit einjährigen Phasen, zugespitzt auf die jeweilige Entscheidung im Herbst, im Bundestag.

Auf dem Hintergrund einer erhofften Debatte über ZKB zu Syrien und die Bekämpfung des IS waren vermeintlich gute Voraussetzungen gegeben. Doch der Funke sprang nicht auf die Friedensbewegung über. Zu Aktivitäten, die pragmatisch Druck auf das Parlament ausüben sollten, war die Bewegung nur bedingt bereit. Heute, vier Jahre später, sieht das etwas günstiger aus. Das Wissen über die Werkzeuge wächst, die notwendig sind, um Druck, z.B. mit Graswurzellobbying, aufzubauen.

Drei Projekte der Friedensbewegung, direkte oder indirekte Reaktionen auf den Krieg gegen den Terror. Drei Projekte, die aber zu keiner wirklich starken Mobilisierung geführt haben. Dazu braucht es eine soziale Bewegung oder Kampagnen, die mindestens zwei Jahre aktivistisch mobilisieren. Dann erst entwickeln sich u.U. stabile antimilitaristische Haltungen und der Wunsch, einen Teil der eigenen Lebenszeit mit dem Kampf für eine andere Welt zu verbinden.

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Uli Wohland ist freier Mitarbeiter der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden.