Unterstützungsnetzwerk und Beratung im Kaukasus

Kriegsdienstverweigernde im Kaukasus

von Jürgen Menzel
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Demitri und Soja stammen aus dem fernen Wladiwostok. Ihre Reise nach Georgien hat eine Woche gedauert per Flugzeug, Eisenbahn und Bus. Sie sind kurz nach Ausbruch des Ukraine-

 Krieges geflüchtet, da sie in Russland aufgrund ihrer journalistischen Arbeit eine langjährige Haftstrafe fürchten mussten. Demitri ist Aktivist in der Nawalny Oppositionsbewegung, die inzwischen verboten ist. Er wurde bei Protesten festgenommen und saß einige Tage in Haft. Auch als er sich nach Ausbruch des Ukraine-Krieges an Protesten dagegen engagierte, wurde er festgenommen. Eine neue Verurteilung könnte ihm eine mehrjährige Haftstrafe einbringen.

Seine Frau Soja ist Journalistin und Bloggerin. Sie berichtete in sozialen Netzwerken und für Oppositionszeitungen über die Proteste gegen den Ukraine-Krieg, ihre Artikel wurden zensiert. Auch sie konnte in Russland nicht frei arbeiten und fürchtete die Verhaftung.

Seit April sind sie in Tbilisi in Georgien und wollen weiter nach Deutschland, doch sie werden seit Monaten vertröstet, dass ihr „Fall bearbeitet“ werde.

Auch aus Georgien engagieren sie sich weiter für Frieden und einen demokratischen Wandel in Russland, sind im russischen Oppositionsnetzwerk aktiv und versuchen Menschen aus Russland zu unterstützen, die sich der Einberufung zum Militär oder einer Verhaftung entziehen wollen.

Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges sind rund 60.000 Russ*innen über die Kaukasus Republik geflüchtet. Als die Teilmobilmachung ausgerufen wurde, flüchteten weitere 100.000 Menschen. Am einzigen Grenzübergang zwischen Russland und Georgien stauten sich die Autos auf über 30 km Länge, die Passage dauert bis zu vier Tage. Dann richteten die russischen Behörden mobile Einberufungsstationen direkt am Grenzübergang ein, fingen die wehrfähigen Männer an der Grenze ab und händigten ihnen direkt einen Einberufungsbrief aus.

Seitdem ist der Grenzverkehr wieder auf dem Level wie vor der Teilmobilmachung, doch weiterhin versuchen Russen die Grenze zu passieren, zahlen Schmiergelder, lassen sich durchschleusen oder kommen mit Papieren, die die Durchreise erlauben sollen. Für viele Russen und Russinnen ist Georgien ein Transitland, um weiter in die Türkei oder in andere Länder reisen zu können. Eigentlich würden viele gerne nach Europa oder Nordamerika weiterreisen, doch ein Visum zu bekommen ist nicht einfach.

Mit Unterstützung von Connection und anderen Friedensorganisationen wird versucht, ein Netzwerk zur Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern im Kaukasus aufzubauen. Im Oktober wurden bei mehreren Online-Seminaren und einem Präsenzseminar zukünftige Berater*innen für Kriegsdienstverweigernde von act for transformation ausgebildet. Sie sollen über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung informieren, beim Visa-Anträgen unterstützen und psychologische Begleitung anbieten, wenn junge, aber auch ältere Männer, Hilfe brauchen. Zehn engagierte Menschen aus Georgien, Russland, Ukraine und Deutschland nahmen an der Fortbildung teil. Eine Hotline und ein Telegram-Kanal wurden eingerichtet, welche in den verschiedenen sozialen Netzwerken in der Region bekannt gemacht werden. Mit dem Slogan „Die Waffen nieder“ von Bertha von Suttner, die zehn Jahre in Georgien gelebt hatte, wird mit Flyern und Buttons auf die Hotline aufmerksam gemacht. In Kneipen und Treffpunkten der Exilruss*innen werden diese verteilt.

Seit Sommer gibt es auch Unterstützung in Form von kurzfristigen Übernachtungsmöglichkeiten für junge Russ*innen, die ohne Erspartes in Tbilisi, der Hauptstadt Georgiens, stranden sowie finanzielle Unterstützung zur Weiterreise oder für Übersetzungsdienste für Dokumente. Die meisten in Georgien ankommende Russ*innen gehören zur betuchten Oberschickt aus Russland. Sie verlegen ihre Geschäfte in die Kaukasusrepubliken Georgien und Armenien, kaufen Häuser und auf und versuchen sich hier auf längere Zeit einzurichten.

Georgien in der Zwickmühle
Dies führt inzwischen zu Unmut in der lokalen georgischen Bevölkerung, denn seit Ausbruch des Krieges haben sich Mieten und Immobilienpreise vor allem in Tbilisi und Batumi mehr als verdreifacht. Die Stimmung gegenüber Menschen aus Russland ist gekippt und es ist inzwischen auch schon zu gewalttätigen Übergriffen gegen sie und gegen Treffpunkte, in denen sie sich treffen, gekommen. Es wird ein Ende der Visa-Freiheit gefordert und dass sich Georgien an den Sanktionen gegen Russland beteiligen soll.

Die Regierung Georgiens betreibt eine doppeldeutige Politik. Georgien ist vom Wirtschaftsaustausch mit Russland abhängig, viele fürchten ein erneutes Einschreiten Russlands in Georgien wie 2008 und wollen dies verhindern. Auf der anderen Seite gibt es eine breite Solidarität für Geflüchtete aus der Ukraine, von denen ca. 20.000 in Georgien angekommen sind, vor allem auf dem Landweg aus der Ostukraine. Zudem kämpfen Freiwillige aus der georgischen Bevölkerungauf der Seite der Ukraine.

Russische Opposition und Kriegsgegner*innen fürchten den langen Arm Russlands in Georgien und Armenien. Zum einen agiert Russland in den Kaukasusrepubliken im Bereich Verbreitung von Fake News und Propaganda, und zum anderen ist der russische Geheimdienst FBS im Land stark vertreten. Publik wird immer wieder eine Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden der Länder, wenn auch nicht klar ist, ob es sich um eine grundsätzliche Zusammenarbeit handelt oder um eine Kooperation mit einzelnen Sicherheitsorganen. Deshalb baut die russische Opposition auf eigenen Selbstschutz und bei Bedrohung und Übergriffen nicht unbedingt auf staatliche Hilfe durch die Länder. Deshalb wollen auch viele Kriegsgegner*innen und Oppositionelle weiterreisen in Länder in der EU und Nordamerika, in denen sie sich sicherer fühlen.

Für Menschenrechtsanwält*innen und Journalist*innen hat die EU inzwischen die Möglichkeit einer Einreise aus humanitären Gründen ermöglicht, dieses Recht auch für Kriegsdienstverweigerer wird aber immer noch diskutiert und ist noch nicht bei den Botschaften vor Ort angekommen. (Siehe den Beitrag von Rudi Friedrich in diesem Heft).

Wie wird es weitergehen mit dem Unterstützungsnetzwerk für Kriegsgegner*innen im Kaukasus?
Die Hotline ist eingerichtet, Rechtsanwälte vor Ort sind bereit, Asylanträge zu unterstützen für diejenigen, die im Land bleiben wollen. Nun werden Rechtsanwälte in Deutschland und anderen Ländern benötigt, um die Menschen bei den Visa-Verfahren zur Weiterreise zu unterstützen. Ein kleiner Unterstützungsfonds existiert für diejenigen, die mittellos ankommen. Ein Teilnehmer des Seminars für die neuen Berater*innen für Kriegsdienstverweigernde sagte ganz deutlich: „Wir müssen nicht nur Beratung und Unterstützung für Menschen aus Russland, Ukraine und Belarus anbieten, die in den Kaukasus flüchten. Wir müssen auch Beratung anbieten für Georgier*innen und Armenier*innen, die sich dem Kriegsdienst verweigern, weil sie befürchten, dass die Länder in diesen Krieg hineingezogen werden. Und mit dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Armenien, Aserbaidschan und Georgien sieht es ebenfalls nicht gut aus. Und wie sich der Krieg in der Ukraine weiter entwickelt ist derzeit völlig unklar und wird sich voraussichtlich über Monate hinziehen.“

An einem meiner letzten Tage in Georgien begegne ich auf einem Berg im Kaukasus einer Gruppe von zehn russischen Männern mit einigen Frauen. Wir kommen ins Gespräch, sie wollen den Winter über hier bleiben. Wie es im Frühjahr weitergeht, wissen sie nicht. Aber eines ist für sie klar: Zurück in das Land Putins wollen sie nicht, den Krieg in der Ukraine unterstützen sie nicht und sie wünschen sich Frieden und dass ein neues Russland wieder Teil Europas und der Welt wird.
 

Mehr Infos:

Caucasian Conscientious Objectors Network
www.cconetwork.com
Telegram Kanal: https://t.me/cconetwork
Hotline im Kaukasus (Russisch und Englisch)
+995 599 729100 oder Email: info [at] cconetwork [dot] com

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