Appell für den Frieden

Militär, Krieg und ökologische Zerstörung gemeinsam thematisieren

von Klaus Moegling
Initiativen
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Das „Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht sorgt für Schlagzeilen und Diskussionen in den Talkshows. Doch seit Ende letzten Jahres ist bereits ein weiterer Friedensappell auf nationaler und internationaler Ebene auf den Weg gebracht worden. Im Unterschied zum Manifest basiert er auf einem friedensökologischen Ansatz, das den Zusammenhang zwischen Militär, Krieg und ökologischer Zerstörung thematisiert. Darüber hinaus entwickelt der „Appell für den Frieden“ drei Forderungen an nationale Regierungen, wie z. B. an die deutsche und die österreichische Bundesregierung sowie an transnationale Institutionen, wie z. B. an die EU und das UN-Generalsekretariat. Nationale Regierungen und transnationale Institutionen sollten sich vor allem für drei Forderungen stark machen: 

1. Im Krieg in der Ukraine müssten spätestens ab jetzt diplomatische Initiativen Vorrang haben. Eine durch den UN-Generalsekretär geleitete internationale hochrangige und hochlegitimierte Verhandlungskommission sollte den Weg für Waffenstillstandsverhandlungen in der Ukraine freimachen (siehe ausführlicher weiter unten). 

2. Bei künftigen Klimaschutzverhandlungen sollten Regeln und Vorgaben für die verbindlichere Berücksichtigung militärisch bedingter CO2-Emissionen erarbeitet werden, die die einzelnen Staaten zu mehr Transparenz verpflichten. Hierbei sollten wirksamere Kontrollen und Sanktionen bei fehlender Berücksichtigung militärisch bedingter CO2-Emissionen im In- und Ausland im Rahmen der nationalen CO2-Bilanzen vorgesehen werden. 

3. Der Krieg in der Ukraine wird derzeit für die internationale Aufrüstungsspirale instrumentalisiert. Zusätzlich sind fast alle wichtigen Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge gekündigt oder ausgesetzt worden. Im Gegensatz hierzu sind über die UN kontrollierte und koordinierte Abrüstungsverhandlungen zu fordern. Insbesondere sollte der Atomwaffenverbotsvertrag, der von ICAN erfolgreich in die Vereinten Nationen eingebracht wurde, von den angesprochenen Staaten unterzeichnet und ratifiziert werden.

Der ‚Appell für den Frieden wurde von Bernhard Trautvetter, Karl-Wilhelm Koch und mir redaktionell verfasst und von einer Erstunterzeichner*innen-Liste unterstützt, die aus Vertreter*innen von Friedensbewegungen und prominenten Kriegsgegner*innen besteht. Der Friedensappell kann auf Change.org unterzeichnet werden. 

Parallel hierzu wurde der weitgehend textgleiche und etwas für die internationalen Verhältnisse modifizierte internationale ‚Peace Appeal‘ in englischer Übersetzung mit einer internationalen Erstunterzeichner*innen-Liste mit Friedensaktivist*innen aus bisher elf Staaten aufgebaut. Der von ‚World Beyond War‘ unterstützte internationale ‚Appell für den Frieden‘ kann auf Action.Network unterzeichnet werden. 

Je mehr Personen beide Appelle unterzeichnen, desto wirksamer bauen sie Druck auf die entsprechenden nationalen und internationalen Institutionen auf, sich für Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen einzusetzen. Bei entsprechend gewachsener Unterzeichnerzahl werden die nationalen Regierungen sowie die EU und das UN-Generalsekretariat ein weiteres Mal mit dem Friedensappell konfrontiert.

Mein persönlicher Zugang zum „Appell für den Frieden“
Selbst wir drei Redakteure des Friedensappells haben unterschiedliche inhaltliche Zugänge zu dem ‚Appell für den Frieden‘. Doch sein gemeinsam verfasster Text stellt unseren gemeinsamen Schnittpunkt dar. 

Meine eigene Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine unterscheidet sich daher sicherlich in der einen oder anderen Perspektive von der Sichtweise meiner Mitinitiatoren auch hinsichtlich der Erstunterzeichner*innen und der weiteren Unterzeichner*innen des Friedensappells auf den Internet-Plattformen. Das ist auch gut so, denn es geht ja nicht um die Verordnung einer standardisierten Sichtweise der politischen Welt. Wenn ich also im Folgenden meinen Zugang zum Friedensappell rekonstruiere, spreche ich nicht für andere, sondern stelle meine persönliche Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine und mögliche Lösungsperspektiven dar: 

Der Krieg in der Ukraine hat eine Vorgeschichte seiner Entstehung. Diese gilt es, zukünftig genauer zu analysieren. Dennoch: Der militärische Angriff auf die Ukraine stellt ein Verbrechen dar, das durch nichts völker- und menschenrechtlich legitimierbar ist. Selbst wenn Russland sich in seinen Sicherheitsinteressen durch die NATO-Staaten bedroht fühlte, ist dies keine Rechtfertigung für einen derart brutalen Angriff auf einen Nachbarstaat. Wenn dies dann auch noch von der russischen Regierung mit völkisch-rassistischen und neoimperialistischen Aussagen unterlegt wird, dann wird die russische Klage von der Verletzung ihrer Sicherheitsinteressen ad absurdum geführt. Auch die zahlreichen Kriegsverbrechen, wie Folterungen und Vergewaltigungen, lassen sich nicht mit einer wahrgenommenen Bedrohungslage Russlands rechtfertigen.

Genauso wenig kann die Argumentation, dass die USA im Vietnam-Krieg oder im Irak-Krieg ebenso massiv das Völkerrecht verletzt haben, nicht als Legitimation für den russischen Angriff dienen.

Diplomatie zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine muss Vorrang haben. Doch: Wenn ein Staat von einem anderen - mächtigeren - Staat angegriffen wird, dann muss der angegriffene Staat von den anderen UN-Staaten in vielerlei Hinsicht unterstützt werden. Dies betrifft (leider) auch Waffenlieferungen, um die Selbstverteidigung des angegriffenen Staates zu ermöglichen. Dies ist die einzige Rechtfertigung für Waffenlieferungen in Spannungsgebiete, die ansonsten zu tabuisieren sind.

Dennoch gibt es hier eine rote Linie bei den Waffenlieferungen in die Ukraine. Waffensysteme, die das russische Inland erreichen können, wie Raketen mit längerer Reichweite und Kampfjets, liegen jenseits dieser roten Linie. Dies gilt auch für die geächtete Streumunition sowie Brandbomben.

Der Krieg in der Ukraine ist festgefahren. Putin und die hinter ihm stehenden Kräfte befinden sich in einer Sackgasse. Umso mehr müssen jetzt wirkungsvolle diplomatische Initiativen ergriffen werden, um das Sterben, die weitere Zerstörung von Infrastruktur und der natürlichen Mitwelt zu verhindern. Selbst wenn es der Ukraine gelingen würde, das Militär der Russischen Föderation an den Rand einer Niederlage zu bringen, weiß niemand, ob nicht jedes rationale Kalkül der russischen Regierung verloren ginge und ein nukleares Inferno drohen würde. Dies zu übersehen ist ein verantwortungsloses Verdrängen des nuklearen Risikos.

Der 'Appell für den Frieden' schlägt eine diplomatische Verhandlungsinitiative über das UN-Generalsekretariat vor. Der UN-Generalsekretär ist aufgefordert, endlich die Initiative zu ergreifen und eine hochlegitimierte und hochrangige Verhandlungskommission zu bilden. 

Hochrangig meint, dass hier zumindest auf der Außenministerebene Persönlichkeiten in der Kommission enthalten sein sollten. Besonders wichtig wäre es, dass auch Vertreter*innen Chinas, Indiens und Brasiliens, die insbesondere für die Russische Föderation wirtschaftlich und politisch relevant sind, in dieser Kommission unter Leitung des UN-Generalsekretärs mitarbeiten. Spätestens jetzt ist die Zeit der Diplomatie gekommen. Es besteht die Gefahr, so wie es Jürgen Habermas ebenfalls anspricht, einen „point of no return“ zu erreichen, dessen Eskalationsdynamik von keiner Seite mehr gestoppt werden kann.

Des Weiteren sind parallel hierzu u.a. die Politik- und Geschichtswissenschaften, die verantwortlichen Politiker*innen und die mediale Öffentlichkeit aufgefordert, sich unvoreingenommen und mehrperspektivisch mit der Vorgeschichte dieses Krieges zu befassen und zu analysieren, inwieweit auch diplomatische Fehler, aber ebenfalls Interessen westlicher Staaten, Konzerne und Institutionen für das Ausbrechen Russlands aus der internationalen Sicherheitsarchitektur mitverantwortlich waren. Wer sind die ökonomischen und geopolitischen Gewinner dieses Krieges? Welche Akteure welcher verschiedenen Machtkonstellationen auf der russischen, der ukrainischen, aber auch auf der westlichen Seite hatten ein Interesse daran, den Krieg zu beginnen bzw. zu provozieren? Diese Fragestellungen und Untersuchungsaufträge dürfen keine Relativierung der russischen Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverletzungen intendieren, sondern die Aufmerksamkeit und die Handlungsfähigkeit für künftige internationale Krisensituationen verbessern helfen. 

Fazit
Oft stehen die Menschen dem Krieg in der Ukraine hilflos gegenüber. Doch es beginnen zunehmend gesellschaftliche Kräfte, sich gegen den bellizistischen Ton in Politik und Medien zur Wehr zu setzen und – gerade auch zur Unterstützung der Bevölkerung in der Ukraine – wirksame friedenspolitische und diplomatische Initiativen zu fordern. Kundgebungen und Demonstrationen, ein entsprechendes Wähler*innenverhalten und ein friedenspolitisches Engagement in den Parteien sowie die Unterstützung von Friedensappellen an die nationale und internationale Politik sind Möglichkeiten, dem Treiben der Kriegsherren nicht untätig gegenüberzustehen. 

Anmerkungen:

  1. Österreich hat dies im Unterschied zur BRD bereits getan.
  2. Folgender Link führt zur Unterzeichnungsmöglichkeit für den deutsch-österreichischen Appell für den Frieden: https://chng.it/N2ggCS5Q
  3. Der folgende Link führt zur Unterzeichnungsmöglichkeit für den internationalen ‚Peace Appeal‘ auf Action.Network: https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/
  4. Erste Reaktionen und Stellungnahmen nationaler und internationaler Politik finden sich auf der eigens für den Friedensappell eingerichteten Webseite: https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
  5. Der komplette Text des Friedensappells in deutscher und englischer Sprache sowie die verschiedenen Erstunterzeichner*innenlisten finden sich auf https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
  6. Siehe sein Interview in der Süddeutschen Zeitung, wo er sich für die Parallelität der politischen, humanitären und militärischen Unterstützung der Ukraine und für die Forcierung von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen im Sinne einer Doppelstrategie einsetzt: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-ukr..., 14.2.2023, Zugriff: 6.3.2023, (hinter einer Bezahlschranke).

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Prof. Dr. Klaus Moegling (i.R.) ist Politikwissenschaftler und Soziologe, arbeitet in verschiedenen ökologischen und friedenspolitischen NGOs und ist Autor des frei zugänglichen Buches ‚Realignment. A peaceful and sustainably world is (still) possible.“ https://www.klaus-moegling.de/international-edition/