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Mit Hans-Dietrich Genscher gegen Rüstungsexport
von"Ein radikales Bedürfnis nach Frieden ist ein militantes Bedürfnis gegen die bestehende Ordnung. Insofern spitzt sich die Frage nach neuen Bedürfnissen zu auf emanzipatorische Interessen: fast biologische Ablehnung des militärischen Gesamtkomplexes, der weder Frieden gewährleisten kann noch Sicherheit, noch Glück", Rudi Dutschke
Ein ganz "normaler" Rüstungsexport-Skandal...
Im März 1988 kommt es zu dem größten Giftgas-Einsatz nach dem 2. Weltkrieg. In der kurdischen Stadt Halabja läßt Saddam Hussein die zahlreichen Flüchtlinge aus der Region mit Giftgas bombardieren. Mehrere Tausend Menschen sterben. Der Angriff ist der Beginn eines Giftgaskrieges gegen die kurdische Bevölkerung, der im September 1988 seinen Höhepunkt erreicht: über 100.000 Kurden sind auf der Flucht. Die deutsch-irakische Zusammenarbeit in den Jahren zuvor hat Saddam Hussein zu einem mit Giftgas ausgestatteten Kriegsherrn werden lassen: Vom Bau der C-Waffen-Fabrik Samarra, über Ausbildung und der Lieferung von Laborgeräten, Klimaanlagen, Chemietechnik und den Grundstoffen zur Herstellung der Giftgase ist alles fest in deutscher Hand. Bemerkenswert ist, daß die Bundesregierung trotz entsprechender Informationen und trotz diplomatischen Drucks aus Washington, gegen die entsprechenden Firmen einzuschreiten, bei den Geschäften tatenlos zuschaute.
Vier Jahre bevor tausende Kurden den "Giftgas-Deal" deutscher Firmen und die Tatenlosigkeit der Bundesregierung mit ihrem Leben bezahlen, wird der "Fall Samarra" im Bundestag erörtert. Im April 1984 stellt der SPD-Abgeordnete Gansel Staatsminister Mertens folgende Frage: "Würden Sie es für eine angemessene Reaktion halten, im Interesse der Stellung der Bundesrepublik in der Weltöffentlichkeit und im Interesse der Ächtung chemischer Waffen, wenn die Bundesregierung den irakischen Flugzeugbauern und Piloten, die sich zur Zeit zur Ausbildung in einem deutschen Rüstungsunternehmen befinden, den Aufenthalt in der Bundesrepublik untersagen würden, bis sicher ist, daß der Irak nicht wieder zum Einsatz völkerrechtlich geächteter Waffen greift?" Für die Bundesregierung antwortet Mertens: "Das wäre eine Sanktion. Das halte ich nicht für angemessen". Was Saddam Hussein zur Kriegsführung gegen die kurdische Bevölkerung für angemessen hält und aus welchem Land "die Exporteure des Todes" kommen, erfährt die Weltöffentlichkeit erst viele Jahre später.
Am 16. Januar 1991 beginnt der 2. Golfkrieg mit einem Luftangriff US-amerikanischer Streitkräfte auf Bagdad. Der Krieg gegen den Irak offenbart zum wiederholten Male, wie absurd der Export von Waffen und die Unterstützung durch Ausbildung und know-how an vermeintlich "verbündete", oder einfach "politisch wichtige" Länder ist. Saddam Hussein ist durch massive Waffenlieferungen erst in die Lage versetzt worden, eine Annexion Kuweits mit militärischer Macht zu betreiben. Das Gerede von den "restriktiven deutschen Exportbestimmungen bei Rüstungsgütern" wird als dummes Geschwätz verantwortlicher Politiker entlarvt: weit über 100 (!) deutsche Firmen stehen auf der Liste, die enthüllt wer bei der Aufrüstung Saddam Husseins beteiligt gewesen ist. Diese Liste ist ein "Who is who" der deutschen Industrie: AEG, Daimler-Benz, Dornier, Faun, KHD, Magirus Deutz, MBB, Rhein-Bayern, Rheinmetall, Siemens, Thyssen, Wegmann, und viele andere mehr...
...und die Konsequenzen daraus
Durch die Aufrüstung des Iraks wird dem Thema "deutsche Rüstungsexportpoltik" Anfang der 90er Jahre viel Beachtung zuteil. Es folgt eine öffentliche Debatte in der sich z.B. Bundeswirtschaftsminister Möllemann kämpferisch gibt: "Ich werde den Exporteuren des Todes das Handwerk legen". Die BILD-Zeitung titelt: "Die Mörder sind unter uns" und fordert harte Strafen für die Waffenexporteure.
Hinter den angekündigten drastischen Maßnahmen bleiben die kurz darauf beschlossenen Gesetzesänderungen weit zurück und dienen letztlich nur der Beruhigung der Öffentlichkeit. Die beschlossenen Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und bei der Strafprozeßordnung sollen den Eindruck erwecken, daß es gesetzliche Lücken gewesen sind, die die Aufrüstung Saddam Husseins mit deutscher Hilfe möglich gemacht haben. Das ist nachweislich falsch. Bei der überwiegenden Zahl der Geschäfte mit dem Irak (wie bei Rüstungsexporten in andere Länder), handelt es sich nicht um illegale, sondern im Rahmen der geltenden Gesetze stattgefundene Ausfuhren. Noch eine andere Tatsache wird ausgeblendet. In den letzten Jahren ist der Staat zunehmend direkt als Waffenhändler in Erscheinung getreten: Die Exporteure des Todes sitzen am Kabinettstisch in Bonn.
Die Forderungen der Kampagnen und Initiativen gegen Rüstungsexport haben zwei Stoßrichtungen - zum einen eine ganz pragmatische: Es werden z.B. Unterschriften gesammelt zur Unterstützung der Forderung "Rüstungsexportverbot ins Grundgesetz". Der Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes lautet: "Der Export von Waren, Dienstleistungen und know-how, sofern deren ausschließlich zivile Verwendung nicht nachgewiesen wird, ist verfassungswidrig. Er ist unter Strafe zu stellen". Mit dieser Forderung soll ganz gezielt eingegriffen werden, aber natürlich bleiben gesetzliche Reglementierungen nur bedrucktes Papier, wenn der politische Wille zur entsprechenden Auslegung und Anwendung fehlt und das ist hier das Hauptproblem: Gesetze, Vorschriften, Absichtserklärungen ist die eine und die Praxis eine ganz andere Seite.
Wichtiger als gesetzliche Regelmechanismen ist ein anderer Punkt: In einer Zeit, in der Überlebensfragen der Menschheit wie Zerstörung der Lebensgrundlagen durch unsere Art des Wirtschaftens, Hunger und Verelendungen in vielen Ländern der Welt und zunehmende Massenarbeitslosigkeit auf der Tagesordnung der Politik an erster Stelle stehen müssten, ist die fortgesetzte Verschwendung von Mitteln für milliardenteure Rüstungsprojekte Teil einer herrschenden Politik, die katastrophale Folgen hat und heftigen Widerstand verdient. Für die Friedensbewegung und andere soziale Bewegungen heißt das: Den Zusammenhang von Tod, Vertreibung, Flucht und Waffenexport in vielen Ländern der Erde herzustellen, und ebenfalls die in der Bundesrepublik stattfindende Vergeudung von Mitteln für teure Rüstungsprojekte und militärische Forschung auf der einen und den Sozialabbau auf der anderen Seite zu thematisieren.
Die Erfahrungen aus dem Golfkrieg haben nicht von ungefähr noch eine andere, sehr grundsätzliche Diskussion aufleben lassen: Wie und was produzieren wir, und ist es nicht nötig, die Umstellung der Rüstungsproduktion (Konversion) auf zivile, soziale und ökologisch sinnvolle Alternativen voranzutreiben?
Wären die Sonntagsreden führender Politiker nicht nur eine Ansammlung hohler Phrasen, hätte diese friedenspolitische Zielsetzung einflussreiche Befürworter, wie folgende Aussage zeigt: "Wir sollten der Industriestaat sein, der in der Dritten Welt durch Werke des Friedens und nicht durch Waffenexporte in Erscheinung tritt. Die deutsche Geschichte..., zu allererst aber der Wille, unsere Friedenspolitik in allen Aspekten glaubwürdig zu machen und das moralische Gesetz, das dieser Friedenspolitik zugrunde liegt, weisen uns eine Führungsrolle zu: Nicht als Waffenexporteur, sondern als Baumeister des Friedens ...
Deutschland als Vorkämpfer einer Politik, die Werke des Friedens anstelle des Exports von Vernichtungswaffen setzt, das wird langfristig nicht nur den Deutschen nützen." (Außenminister Genscher im FDP-Pressedienst vom 23. Juli 1982). Unter der Regierung Kohl/Genscher ist der Rüstungsexportanteil der Bundesrepublik Deutschland stetig angestiegen und 1994 ist (nach den Angaben von SIPRI) die Bundesrepublik weltweit zweitgrößter Waffenexporteur - so viel zu den Vorkämpfern einer Politik, die auf Waffenexport im allgemeinen und den Export von Vernichtungswaffen im Besonderen setzen und den Fakten schöne Sonntagsreden gegenüberstellen.
Handlungspespektiven
"Wir sollten der Industriestaat sein, der in der Dritten Welt durch Werke des Friedens und nicht durch Waffenexport in Erscheinung tritt" und deshalb dürfen wir gespannt sein, ob Herr Genscher - seiner Glaubwürdigkeit auf der Spur - sich zukünftig in der Friedensbewegung engagiert. Aktionen und Handlungsvorschläge gibt es genug:
- Im NATO-Land Türkei findet seit Jahren ein Krieg gegen die kurdische Bevölkerung (mit Dorfzerstörungen, Vertreibungen, staatlicher Folter und Mord) statt. Die Türkei ist maßgeblich mit deutschem Kriegsgerät ausgerüstet. Gegen die fortgesetzte Waffenhilfe gibt es Demonstrationen und Mahnwachen vor Rüstungsfirmen;
- In vielen rüstungsproduzierenden Firmen wird in Zeiten eines starken Rückgangs beim Rüstungsgeschäft lieber ein Teil der Belegschaft entlassen, als die Konsequenzen zu ziehen und arbeitsplatzsichernde Konversionsprogramme zu entwickeln - den Firmenleitungen gilt es zu sagen, was davon zu halten ist;
- Der "Jäger 90/Eurofighter 2000" soll auf Druck von Daimler-Benz entgegen jeder sicherheitspolitischen Notwendigkeit und unter Verwendung vieler Steuermilliarden gebaut und in einer so großen Stückzahl produziert werden, daß der Export vieler Exemplare von vornherein eingeplant ist (die Anheizung neuer Konflikte ist vorprogrammiert); dieses Projekt kann noch verhindert werden... .
Insgesamt sind erheblicher Druck auf Industrie und Politik und ein langer Atem nötig, um grundsätzlich andere Weichenstellungen zu erreichen; es bedarf dafür schon des Engagements vieler Menschen.
1. Ein Sich-Einmischen bei ganz konkreten Rüstungsgeschäften und -projekten. Die verantwortlichen Minister und Damen und Herren in den Chefetagen von Unternehmen haben Namen und Adressen - für Protestbriefe, Mahnwachen, Demonstrationen usw.; die Folgen ihrer Entscheidungen sollten wir zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion machen.
2. Bei den Debatten um die angeblich restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik ist es ein Einfaches, mit Fakten der offiziellen Legendenbildung entgegenzutreten. Nicht zuletzt indem wir die bestehenden Zusammenhänge benennen, ist es möglich neue Antworten zu geben und grundlegend neue Wege aufzuzeigen.
Den Worten zum Sonntag müssen Taten an den Werktagen folgen; mit oder ohne Hans-Dietrich Genscher!