Mit Hans-Dietrich Genscher gegen Rüstungsexport

von Thomas W. Klein
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"Ein radikales Bedürfnis nach Frieden ist ein militantes Bedürfnis gegen die bestehende Ordnung. Insofern spitzt sich die Frage nach neuen Be­dürfnissen zu auf emanzipatorische Interessen: fast biologische Ableh­nung des militärischen Gesamtkomplexes, der weder Frieden gewähr­leisten kann noch Sicherheit, noch Glück", Rudi Dutschke

Ein ganz "normaler" Rüstungsexport-Skandal...

Im März 1988 kommt es zu dem größ­ten Giftgas-Einsatz nach dem 2. Welt­krieg. In der kurdischen Stadt Halabja läßt Saddam Hussein die zahlreichen Flüchtlinge aus der Region mit Giftgas bombardieren. Mehrere Tausend Men­schen sterben. Der Angriff ist der Be­ginn eines Giftgaskrieges gegen die kurdische Bevölkerung, der im Septem­ber 1988 seinen Höhepunkt erreicht: über 100.000 Kurden sind auf der Flucht. Die deutsch-irakische Zusam­menarbeit in den Jahren zuvor hat Sad­dam Hussein zu einem mit Giftgas aus­gestatteten Kriegsherrn werden lassen: Vom Bau der C-Waffen-Fabrik Sa­marra, über Ausbildung und der Liefe­rung von Laborgeräten, Klimaanlagen, Chemietechnik und den Grundstoffen zur Herstellung der Giftgase ist alles fest in deutscher Hand. Bemerkenswert ist, daß die Bundesregierung trotz ent­sprechender Informationen und trotz di­plomatischen Drucks aus Washington, gegen die entsprechenden Firmen einzu­schreiten, bei den Geschäften tatenlos zuschaute.

Vier Jahre bevor tausende Kurden den "Giftgas-Deal" deutscher Firmen und die Tatenlosigkeit der Bundesregierung mit ihrem Leben bezahlen, wird der "Fall Samarra" im Bundestag erörtert. Im April 1984 stellt der SPD-Abgeordnete Gansel Staatsminister Mertens folgende Frage: "Würden Sie es für eine ange­messene Reaktion halten, im Interesse der Stellung der Bundesrepublik in der Weltöffentlichkeit und im Interesse der Ächtung chemischer Waffen, wenn die Bundesregierung den irakischen Flug­zeugbauern und Piloten, die sich zur Zeit zur Ausbildung in einem deutschen Rüstungsunternehmen befinden, den Aufenthalt in der Bundesrepublik unter­sagen würden, bis sicher ist, daß der Irak nicht wieder zum Einsatz völker­rechtlich geächteter Waffen greift?" Für die Bundesregierung antwortet Mertens: "Das wäre eine Sanktion. Das halte ich nicht für angemessen". Was Saddam Hussein zur Kriegsführung gegen die kurdische Bevölkerung für angemessen hält und aus welchem Land "die Expor­teure des Todes" kommen, erfährt die Weltöffentlichkeit erst viele Jahre spä­ter.

Am 16. Januar 1991 beginnt der 2. Golfkrieg mit einem Luftangriff US-amerikanischer Streitkräfte auf Bagdad. Der Krieg gegen den Irak offenbart zum wiederholten Male, wie absurd der Export von Waffen und die Unterstüt­zung durch Ausbildung und know-how an vermeintlich "verbündete", oder ein­fach "politisch wichtige" Länder ist. Saddam Hussein ist durch massive Waf­fenlieferungen erst in die Lage versetzt worden, eine Annexion Kuweits mit militärischer Macht zu betreiben. Das Gerede von den "restriktiven deutschen Exportbestimmungen bei Rüstungsgü­tern" wird als dummes Geschwätz ver­antwortlicher Politiker entlarvt: weit über 100 (!) deutsche Firmen stehen auf der Liste, die enthüllt wer bei der Auf­rüstung Saddam Husseins beteiligt ge­wesen ist. Diese Liste ist ein "Who is who" der deutschen Industrie: AEG, Daimler-Benz, Dornier, Faun, KHD, Magirus Deutz, MBB, Rhein-Bayern, Rheinmetall, Siemens, Thyssen, Weg­mann, und viele andere mehr...

...und die Konsequenzen daraus

Durch die Aufrüstung des Iraks wird dem Thema "deutsche Rüstungsexport­poltik" Anfang der 90er Jahre viel Be­achtung zuteil. Es folgt eine öffentliche Debatte in der sich z.B. Bundeswirt­schaftsminister Möllemann kämpferisch gibt: "Ich werde den Exporteuren des Todes das Handwerk legen". Die BILD-Zeitung titelt: "Die Mörder sind unter uns" und fordert harte Strafen für die Waffenexporteure.

Hinter den angekündigten drastischen Maßnahmen bleiben die kurz darauf be­schlossenen Gesetzesänderungen weit zurück und dienen letztlich nur der Be­ruhigung der Öffentlichkeit. Die be­schlossenen Änderungen des Außen­wirtschaftsgesetzes (AWG) und bei der Strafprozeßordnung sollen den Eindruck erwecken, daß es gesetzliche Lücken gewesen sind, die die Aufrüstung Sad­dam Husseins mit deutscher Hilfe mög­lich gemacht haben. Das ist nachweis­lich falsch. Bei der überwiegenden Zahl der Geschäfte mit dem Irak (wie bei Rü­stungsexporten in andere Länder), han­delt es sich nicht um illegale, sondern im Rahmen der geltenden Gesetze statt­gefundene Ausfuhren. Noch eine an­dere Tatsache wird ausgeblendet. In den letzten Jahren ist der Staat zunehmend direkt als Waffenhändler in Erscheinung getreten: Die Exporteure des Todes sit­zen am Kabinettstisch in Bonn.

Die Forderungen der Kampagnen und Initiativen gegen Rüstungsexport haben zwei Stoßrichtungen - zum einen eine ganz pragmatische: Es werden z.B. Un­terschriften gesammelt zur Unterstüt­zung der Forderung "Rüstungs­exportverbot ins Grundge­setz". Der Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes lautet: "Der Export von Waren, Dienstleistungen und know-how, sofern deren ausschließlich zivile Verwendung nicht nachgewiesen wird, ist verfassungswidrig. Er ist unter Strafe zu stellen". Mit dieser Forderung soll ganz gezielt eingegriffen werden, aber natürlich bleiben gesetzliche Reglemen­tierungen nur bedrucktes Papier, wenn der politische Wille zur entsprechenden Auslegung und Anwendung fehlt und das ist hier das Hauptproblem: Gesetze, Vorschriften, Absichtserklärungen ist die eine und die Praxis eine ganz andere Seite.

Wichtiger als gesetzliche Regelmecha­nismen ist ein anderer Punkt: In einer Zeit, in der Überlebensfragen der Menschheit wie Zerstörung der Lebens­grundlagen durch unsere Art des Wirt­schaftens, Hunger und Verelendungen in vielen Ländern der Welt und zuneh­mende Massenarbeitslosigkeit auf der Tagesordnung der Politik an erster Stelle stehen müssten, ist die fortgesetzte Verschwendung von Mitteln für milliar­denteure Rüstungsprojekte Teil einer herrschenden Politik, die katastrophale Folgen hat und heftigen Widerstand verdient. Für die Friedensbewegung und andere soziale Bewegungen heißt das: Den Zusam­menhang von Tod, Vertreibung, Flucht und Waffenexport in vielen Ländern der Erde herzustellen, und ebenfalls die in der Bundesrepublik stattfindende Ver­geudung von Mitteln für teure Rü­stungsprojekte und militärische For­schung auf der einen und den Sozialab­bau auf der anderen Seite zu thematisie­ren.

Die Erfahrungen aus dem Golfkrieg ha­ben nicht von ungefähr noch eine an­dere, sehr grundsätzliche Diskussion aufleben lassen: Wie und was produzie­ren wir, und ist es nicht nötig, die Um­stellung der Rüstungsproduktion (Konversion) auf zivile, soziale und ökologisch sinnvolle Alternativen vor­anzutreiben?

Wären die Sonntagsreden führender Po­litiker nicht nur eine Ansammlung hoh­ler Phrasen, hätte diese friedenspoliti­sche Zielsetzung einflussreiche Befür­worter, wie folgende Aussage zeigt: "Wir sollten der Industriestaat sein, der in der Dritten Welt durch Werke des Friedens und nicht durch Waffenexporte in Erscheinung tritt. Die deutsche Ge­schichte..., zu allererst aber der Wille, unsere Friedenspolitik in allen Aspekten glaubwürdig zu machen und das morali­sche Gesetz, das dieser Friedenspolitik zugrunde liegt, weisen uns eine Füh­rungsrolle zu: Nicht als Waffenexpor­teur, sondern als Baumeister des Frie­dens ...

Deutschland als Vorkämpfer ei­ner Politik, die Werke des Friedens an­stelle des Exports von Vernichtungswaf­fen setzt, das wird langfristig nicht nur den Deutschen nützen." (Außenminister Genscher im FDP-Pressedienst vom 23. Juli 1982). Unter der Regierung Kohl/Genscher ist der Rüstungsexport­anteil der Bundesrepublik Deutschland stetig angestiegen und 1994 ist (nach den Angaben von SIPRI) die Bundesre­publik weltweit zweitgrößter Waffenex­porteur - so viel zu den Vorkämpfern ei­ner Politik, die auf Waffenexport im all­gemeinen und den Export von Vernich­tungswaffen im Besonderen setzen und den Fakten schöne Sonntagsreden ge­genüberstellen.

Handlungspespektiven

"Wir sollten der Industriestaat sein, der in der Dritten Welt durch Werke des Friedens und nicht durch Waffenexport in Erscheinung tritt" und deshalb dürfen wir gespannt sein, ob Herr Genscher - seiner Glaubwürdigkeit auf der Spur - sich zukünftig in der Friedensbewegung engagiert. Aktionen und Handlungsvor­schläge gibt es genug:

-     Im NATO-Land Türkei findet seit Jahren ein Krieg gegen die kurdische Bevölkerung (mit Dorfzerstörungen, Vertreibungen, staatlicher Folter und Mord) statt. Die Türkei ist maßgeb­lich mit deutschem Kriegsgerät aus­gerüstet. Gegen die fortgesetzte Waf­fenhilfe gibt es Demonstrationen und Mahnwachen vor Rü­stungsfirmen;

-     In vielen rüstungsproduzierenden Firmen wird in Zeiten eines starken Rückgangs beim Rüstungsgeschäft lieber ein Teil der Belegschaft entlas­sen, als die Konsequenzen zu ziehen und arbeitsplatzsichernde Konversi­onsprogramme zu entwickeln - den Firmenleitungen gilt es zu sagen, was davon zu halten ist;

-     Der "Jäger 90/Eurofighter 2000" soll auf Druck von Daimler-Benz entge­gen jeder sicherheitspolitischen Not­wendigkeit und unter Verwendung vieler Steuermilliarden gebaut und in einer so großen Stückzahl produziert werden, daß der Export vieler Exem­plare von vornherein eingeplant ist (die Anheizung neuer Konflikte ist vorprogrammiert); dieses Projekt kann noch verhindert werden... .

Insgesamt sind erheblicher Druck auf Industrie und Politik und ein langer Atem nötig, um grundsätzlich andere Weichenstellungen zu erreichen; es be­darf dafür schon des Engagements vieler Menschen.

1.    Ein Sich-Einmischen bei ganz kon­kreten Rüstungsgeschäften und -pro­jekten. Die verantwortlichen Minister und Damen und Herren in den Chef­etagen von Unternehmen haben Namen und Adressen - für Protest­briefe, Mahnwachen, Demonstratio­nen usw.; die Folgen ihrer Entschei­dungen sollten wir zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion ma­chen.

2.    Bei den Debatten um die angeblich restriktive deutsche Rüstungsexport­politik ist es ein Einfaches, mit Fakten der offiziellen Legendenbildung ent­gegenzutreten. Nicht zuletzt indem wir die bestehenden Zusammenhänge benennen, ist es möglich neue Ant­worten zu geben und grundlegend neue Wege aufzuzeigen.

Den Worten zum Sonntag müssen Taten an den Werktagen folgen; mit oder ohne Hans-Dietrich Genscher!

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Thomas Klein ist Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Kampagne "Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen!", Wiesbaden.