Neue Kampfflugzeuge

Nukleare Teilhabe mit dem Tornado ausmustern!

von Johannes Oehler
Initiativen
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Mit der Absichtserklärung, die Tornado-Kampfflugzeuge der Luftwaffe durch 93 Eurofighter und 45 F-18 Jets aus den USA abzulösen, hat die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer eine lange fällige Debatte zu Massenvernichtungswaffen in Deutschland losgetreten. Dahingehende Planungen aus dem Verteidigungsministerium (BMVg) wurden auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Beschluss des Bundestages, dass US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollen, von der SZ an die Öffentlichkeit getragen. (1) F-18 Jets sollen demnach ab 2025 die Aufgabe der nuklearen Teilhabe statt der Tornados weiterführen. Das Bekanntwerden dieser Pläne und die Kommunikation dieser geplanten Beschaffungsmaßnahme des Verteidigungsministeriums (BMVg) an die USA fallen in die Zeit von Ostern 2020, als ganz Deutschland im Corona-Stillstand ist.
Man braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um die Ablösung des Tornado-Flugzeuges in den kommenden Jahren vorherzusehen. Trotz zahlreicher Modernisierungen gilt das 1980 in Dienst gestellte Kampfflugzeug mittlerweile als veraltet. Deutschland ist das einzige der drei am Tornado-Projekt beteiligten Länder, das Tornado-Flugzeuge über 2030 hinaus betreiben will. Großbritannien hat die Tornado-Flotte bereits stillgelegt. In Italien wird der Tornado noch für die nukleare Teilhabe verwendet, in den kommenden Jahren aber durch die F-35 ersetzt. Laut Auskunft einiger MdBs aus dem Verteidigungsausschuss sind derzeit gerade mal 23 Tornados einsatzbereit - von knapp 90, die noch im Bestand der Bundeswehr sind. Als Arbeitspaket liegt die Tornado-Nachfolge deshalb schon seit Jahren im Verteidigungsministerium.

Wer die Wahl hat, hat den Streit
In der Koalition setzte sich die SPD für ein europäisches Modell und gegen die F-35 aus den Vereinigten Staaten ein. Die F-35 gilt als das derzeit modernste Kampfflugzeug und das teuerste Rüstungsprojekt aller Zeiten. Würde die F-35 gekauft, so die Befürchtung der SPD, dann stellt das die Zukunft der europäischen Luftfahrtbranche in Frage und vor allem die mit Frankreich zusammen geplante Entwicklung des Future Combat Air System (FCAS). Im Gespräch sind deshalb seither der Eurofighter und verschiedene Modelle der F/A-18, zeitweise auch das Modell F-15. Ein älteres US-Modell sollte dem zukünftigen europäischen Rüstungsprojekt weniger im Weg stehen. Im Oktober 2019 traf sich Frau Kramp-Karrenbauer mit ihrem US-Kollegen Mark Esper, Thema war unter anderem die Flugzeugbeschaffung und die Fähigkeit zum Atomwaffeneinsatz des zukünftigen Modells. SZ und Handelsblatt berichteten danach, dass der Atomwaffeneinsatz eine maßgebliche Rolle bei der Auswahl des Flugzeugs spiele. Da Mark Esper angibt, dass eine Zertifizierung des Eurofighters für die US-Atomwaffen fünf Jahre länger dauern würde als für das US-Modell F-18, ist das ein klarer Vorteil für die F-18.
Frau Kramp-Karrenbauer kündigte an, im ersten Quartal 2020 ihre Pläne zur Tornado-Nachfolge verkünden zu wollen. Der Vorschlag des BMVg ging bereits am 26. März 2020 durch die Presse. Erst am 22. April informierte die Ministerin den Verteidigungsausschuss des Bundestages von dem Vorhaben. Da dieser Vorschlag offenbar nicht mit dem Koalitionspartner abgesprochen war, bleibt die Frage, was sie in den sechs Monaten nach dem Treffen mit ihrem US-Kollegen Esper gemacht hat. Die ‚fristgerechte‘ Vorstellung der Pläne mit einer Absichtserklärung an die USA zu veröffentlichen, ohne dies mit dem Koalitionspartner SPD gründlich abzusprechen, spricht nicht für politisches Feingefühl. Der Verdacht bleibt, dass die unpopuläre Entscheidung zu einer großen Rüstungsbeschaffung im Schatten der Corona-Beschränkungen unbemerkt vonstatten gehen sollte. Dies hat nicht gänzlich funktioniert. Sowohl von der Zivilgesellschaft als auch von der SPD gab es deutlichen Protest. Die größte Aufmerksamkeit bekam der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Ralf Mützenich, der die nukleare Teilhabe sehr kritisch sieht und eine breite Debatte darüber forderte. Im Verlauf des Mai 2020 kamen allerdings auch viele Befürworter*innen der nuklearen Teilhabe zu Wort wie der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg oder Johann Wadephul, für Verteidigung zuständiger stellv. Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag.
Auf EU-Ebene sieht es wiederum anders aus: Die SPD-Abgeordneten im Europaparlament forderten im Mai 2020 den Abzug aller US-Nuklearwaffen aus den EU-Staaten. Das EU-Parlament hatte schon 2017 alle Mitgliedsländer zur Mitwirkung am ICAN-Verbotsvertrag der UN aufgefordert.

„Atombomber? Nein Danke!“
Im folgenden Abschnitt wird beleuchtet, wie die Kampagne "Atombomber? Nein Danke!" in diese Debatte hineinwirkt. Anfang 2019 starteten ICAN Deutschland und IPPNW zusammen mit dem Aktionsbündnis „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ die Kampagne Atombomber? Nein Danke!. Ziel ist, die absehbare Anschaffung atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge in Deutschland zu verhindern und so ein Ende der nuklearen Teilhabe zu erzwingen. Die Mittel waren von Anfang an vielfältig: bildkräftige Demonstrationen, Leser*innenbriefe und Zeitungsartikel, sowie das direkte Gespräch mit politischen Akteuren. Schon 2019 ahnten die Initiator*innen der Kampagne, dass die US-amerikanische F-18 die wahrscheinlichste Kandidatin für den deutschen Atombomber sein würde. Sie wählten die F-18 für ihr Logo und bauten ein Modell davon, um die drohende Gefahr bei Protestaktionen zu visualisieren.
Eine erste Mailaktion an alle MdBs der nichtfaschistischen Parteien im deutschen Bundestag wurde im März 2019 gestartet. Es ging darum, die Parlamentarier*innen zu informieren, dass mit der Tornado-Nachfolge auch über die nukleare Teilhabe entschieden wird, und Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Es wurde auch eine Positionierung gegen den Kauf eines nuklearwaffenfähigen Flugzeugs erbeten. Durch die Rückmeldungen auf die Mailaktion wurde auch die Haltung der Parteien bzw. einzelner Abgeordneter deutlich. Bei Union und FDP ergab sich ein klares Bild pro nukleare Teilhabe, obwohl beide Fraktionen den Beschluss zum Abzug der Atomwaffen von 2010 unterstützt hatten. Die Linksfraktion kämpft aktiv gegen Nuklearwaffen in Deutschland. Ähnlich ist es bei den Grünen, die sich grundsätzlich, zum Teil auch sehr deutlich gegen eine Fortführung der nuklearen Teilhabe aussprechen. Einzig bei der SPD gab es ein gespaltenes Echo. Bei den Abgeordneten gibt es sowohl Stimmen für ein Ende der nuklearen Teilhabe als auch für deren Fortführung. Spätestens dadurch war klar, dass die Position der mitregierenden SPD entscheidend wird. Mit einem SPD-Außenminister (Heiko Maas), der versucht, sich international als Initiator von Abrüstungsverhandlungen zu profilieren, sollte es möglich sein, nukleare Abrüstung auch in Deutschland zu betreiben. Maas hat sich jedoch mittlerweile für die Weiterführung der nuklearen Teilhabe mit modernisierten US-Atombomben und neuen atomwaffenfähigen Kampfflugzeugen für die Bundeswehr ausgesprochen. Enttäuschend!
Im Rahmen von ICAN-Initiativen gibt es viel Überstützung von Abgeordneten, Länderparlamenten sowie Städten und Gemeinden für die Unterzeichnung des UN-Atomwaffenverbotsvertrages von 2017. Die SPD-geführten Länder Rheinland-Pfalz, Hamburg, Bremen und Berlin sowie 85 weitere Städte positionieren sich gegen nukleare Massenvernichtungswaffen und fordern die deutsche Regierung auf, dem UN-Vertragswerk zur Ächtung aller Nuklearwaffen beizutreten.
Als die Verteidigungsministerin im Oktober 2019 das erste Quartal 2020 als Termin für die Entscheidung über ein neues nukleares Trägersystem verkündete, war das ein deutliches Zeichen an die Mitglieder der Kampagne, ihr Engagement nochmals zu verstärken. Erneut wurde eine E-Mail-Aktion gestartet. Diesmal an die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss. Mit dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen sollte auf die bald anstehende Entscheidung hingewiesen und möglichst viele Ausschussmitglieder dazu gebracht werden, die Pläne aus dem BMVg, die eine nukleare Aufrüstung in Deutschland mit sich bringen, kritisch zu hinterfragen. Im Anschluss an die versendeten E-Mails wurden auch direkte Gespräche mit den MdBs geführt.
In der SPD gab es zum Jahreswechsel Bewegung: Die frisch gewählten Vorsitzenden Saskia Esken und NorbertWalter-Borjans stehen der Fortführung der nuklearen Teilhabe deutlich kritischer gegenüber als die Gegenkandidaten Finanzminister Olaf Scholz und Klara Geywitz. Im Rahmen des Rennens um den SPD-Vorsitz fragte ICAN die Kandidat*innen nach ihrer Haltung zu Atomwaffen.
Mit Rolf Mützenich hat die SPD-Bundestagsfraktion seit dem 24. September 2019 einen Vorsitzendenden, der als außenpolitischer Experte gilt und die nukleare Abschreckung seit langem kritisch hinterfragt. Nachdem die Fraktion lange Zeit kaum starke Stellungnahmen zum Thema nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung abgab, veröffentlichte sie am 3. März 2020 ein umfängliches Positionspapier, in dem sie das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt nochmals bekräftigt. Statt der Bildung einer europäischen Nuklearmacht sollen sich die EU-Staaten bei der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags (‚Atomwaffensperrvertrag‘) gemeinsam für nukleare Abrüstung einsetzen. Anlass war der Vorstoß des französischen Präsidenten Macron zur Beteiligung anderer EU-Staaten an der französischen nuklearen Abschreckung. Die Unterstützung für den ICAN-Verbotsvertrag von 2017, die zahlreiche SPD Bundestagsabgeordnete in ihrer Abgeordnetenerklärung zum Ausdruck brachten, konnte sich in dem Positionspapier leider kaum durchsetzen. Zumindest werden die „wichtigen Impulse für die Debatte zur weltweiten nuklearen Abrüstung“, die der UN-Verbotsvertrag gegeben hat, gewürdigt.
Die Stellungnahmen der SPD-Mitglieder im Verteidigungsausschuss verändern sich im März 2020 zum Teil. Selbst die Befürworter*innen der nuklearen Teilhabe bauen den Passus aus dem Fraktionspapier, der „eine gewissenhafte, sachliche und sorgfältige Erörterung der nuklearen Teilhabe“ fordert, in ihre Positionen ein. Diese Erörterung darzulegen oder die Debatte zum Ende der nuklearen Teilhabe zu führen, steht allerdings noch aus.

Auf die Ankündigung der Verteidigungsministerin, dass sie F-18 Kampfjets aus den USA für den Atombombeneinsatz kaufen will, hat ICAN mit einer spontanen Aktion vor dem Bundeskanzleramt reagiert. Die Demonstration war auch als Ersatz für die wegen der Corona-Pandemie abgesagten Ostermärsche gedacht.

Seit der Erklärung Rolf Mützenichs für einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland ist eine zeitweise laute Debatte über die nukleare Teilhabe entbrannt. Um die Meinungshoheit in deutschen Medien nicht den Falken und Verfechtern eines Sicherheitskonzepts, das die Androhung gegenseitiger Vernichtung propagiert, zu überlassen, wurden mehrere Meinungsbeiträge verfasst. Beispiele sind Johannes Mikeska in der SPD-Mitgliederzeitschrift vorwärts vom 13. April, Xanthe Hall bei n-tv.de  am 9. Mai oder ein Meinungsbeitrag von ICAN-Direktorin Beatrice Fihn im Tagesspiegel vom 18. Mai.

Wie geht es weiter?
Von der deutschen Politik ist jetzt aktive Diplomatie und Verhandlungsgeschick gefordert. Derzeit wird von den Befürworter*innen der nuklearen Teilhabe, darunter große Teile der SPD, auf große multilaterale Abrüstungsvereinbarungen am Sankt-Nimmerleinstag verwiesen. Dabei sehen wir derzeit eine genau gegenteilige Entwicklung: Immer mehr Verträge über die Begrenzung und Kontrolle von Atomwaffen sind aufgekündigt worden oder drohen bald wegzubrechen. Die Atommächte rüsten nuklear auf und denken über erneute Atomwaffentests nach. Die Debatte über die nukleare Teilhabe und die nukleare Abrüstung in Europa muss daher schleunigst begonnen werden, sonst werden mit der Beschaffung des F-18 Kampfflugzeuges Fakten geschaffen, die zur nuklearen Aufrüstungsdynamik beitragen und die nukleare Teilhabe in Deutschland bis 2050 zementieren. Wer jetzt mitregiert, kann Abrüstung nicht nur fordern, sondern muss damit auch anfangen!

Anmerkung
1 Süddeutsche Zeitung vom 26. März 2020: „Split-Lösung für die Tornado-Nachfolge: Eurofighter und F-18“.

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ICAN-Mitglied Johannes Oehler ist Ingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik und lebt in Cottbus.