Öcalan-Prozess: Neues Nachdenken über Konfliktaustrag vonnöten

von Andreas Buro
Krisen und Kriege
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Immer wieder wurde zu Recht auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen beim Prozess gegen Öcalan gedrängt. Allerdings war zu erwarten, dass auch bei Einhaltung rechtsstaatlicher Normen, Öcalan bei der bestehenden Gesetzeslage zum Tode verurteilt werden würde. Die Vollstreckung oder Umwandlung des Todesurteils ist die eigentlich politische Frage, ob nämlich die neue rechtslastige Regierung bereit ist, die Kurdenfrage endlich zu einer politischen Lösung zu bringen. In dieser Hinsicht ist es sehr wichtig, dass Öcalan sich nach wie vor für eine friedliche Lösung einsetzt. Allerdings führte dies in der Vergangenheit nie so weit, dass die PKK von sich aus bereit gewesen wäre, bedingungslos auf den bewaffneten Kampf zu verzichten.

Die 15 Jahre ihres bewaffneten Kampfes haben zu dem Resultat geführt, dass sie einerseits in der Lage ist, den Kriegszustand aufrecht zu halten, andererseits aber weder militärisch siegen noch Ankara an den Verhandlungstisch zwingen kann. Diese ernüchternde Bilanz stellt auch die kurdischen Akteure vor die Frage, welchen Sinn die weitere Fortsetzung des Krieges hat, unter dem die kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei so sehr leidet. Sollte man deshalb den Konflikt um kulturelle, soziale und politische Minderheitenrechte unter der Perspektive der Demokratisierung des ganzen Landes nicht eher zusammen mit demokratischen Gruppen und Kräften aus der ganzen Gesellschaft in Formen ziviler Konfliktbearbeitung weiterführen? Ist das vielleicht der tiefere Sinn der Appelle von Öcalan vor dem Gericht?

Selbstverständlich würde auch dies kein einfacher und kurzer Weg sein, dessen Erfolg sicher wäre. Er würde aber die Lebensbedingungen der kurdischen Bevölkerung - und auch der türkischen - erheblich verbessern, würde einer rassistisch-nationalistischen Verfeindung entgegenwirken und sich auf positive Ziele der Demokratisierung konzentrieren, und so vielleicht auch von Teilen der türkischen Gesellschaft mehr Unterstützung erfahren.

Angesichts des Prozesses gegen Öcalan ist es dringend geboten, den Kurden in Deutschland und in Europa ein glaubhaftes Zeichen zu geben, dass ihr Anliegen hier nicht vergessen worden ist. Dies ist umso dringender, als überall Vergleiche zwischen dem Krieg in Jugoslawien um den Kosovo und der Situation der kurdischen nationalen Minderheit in der Türkei gezogen werden. Die Schlussfolgerung, die vielfach von Kurden gezogen wird, lautet gegenwärtig noch: Wir können uns nur auf unsere eigene Stärke verlassen, denn wir haben in unserem menschenrechtlichen Anliegen von der ganzen Welt keine Hilfe zu erwarten. Was daraus folgen kann, liegt auf der Hand. In dieser Situation besteht jedoch für die deutsche Außenpolitik auch die Chance, eine Politik ziviler Konfliktbearbeitung zu entwickeln und damit ein Signal der Hoffnung zu entwickeln.

Erste Vorschläge hierfür sind in einem Aide-mémoire vom Dialog-Kreis (Nützliche Nachrichten 2/99, Bezug: Dialog-Kreis, Postf. 900265, 51112 Köln) vorgelegt worden.
 

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