Resist-Kampagne: Bußgeldbescheide aufgehoben - Strafprozesse laufen weiter

"Ordnungswidrige" Bußgeldbescheide

von Martin Singe
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Die gemeinsame Entschlossenheit im Vorgehen gegen die über 1.000 Bußgeldbescheide, die gegen die Air-Base-Blockierer erlassen worden waren, hat sich erst mal gelohnt (vgl. u.a. Friedensforum 4/03, S. 3). Inzwischen wurden alle verhängten Bußgeldbescheide (jeweils über 100 Euro + 18,50 Euro Gebühren) aufgehoben. Die zuständige Kammer des Amtsgerichts hat eine gemeinsame Entscheidung gefällt und alle Ordnungswidrigkeiten-Verfahren eingestellt. Da alle Betroffenen mit ausführlichen inhaltlichen Begründungen Einspruch erhoben hatten, wären auf die Kammer rund 1.000 Hauptverhandlungen zugekommen. Ob die Kammer vor diesem Arbeitsanfall scheute oder ob unsere Argumentationen zumindest teilweise einsichtig auf die Richterschaft wirkten, kann man nicht sagen. Jedenfalls ist die Staatsanwaltschaft mit ihrem rigiden Kurs im Bereich der Ordnungswidrigkeiten erst mal gescheitert.

Hessen vorn: Abkassieren auf die krumme Tour
Dennoch versucht man jetzt erneut auf ganz krumme Tour, Geld einzutreiben: Das Land Hessen will Gebühren für den Polizeieinsatz abkassieren: Wegtragen kostet 30 Euro, der Transport zum Gewahrsam 31 Euro, die Unterbringung in überbelegten höchst komfortablen Kachelzellen 20 Euro. Aber auch das lassen sich Resistente nicht gefallen. Erneut werden Widersprüche eingelegt. Für Polizeieinsätze zu kassieren ist an sich schon absurd und eine Spezialität nur einzelner Ländergesetze. Aber in jedem Fall ist ein Abkassieren für Polizeieinsätze nur möglich, wenn dieselben rechtlich korrekt waren. Im Fall der resist-Blockaden waren die Polizeieinsätze jedoch rechtswidrig, da sie die - gegen einen völkerrechtswidrigen Krieg gerichteten - Spontanversammlungen vom 15. und 29.3.03 auflösten, ohne die notwendige Rechtsgüterabwägung vorzunehmen. Rechtswidrig war der von der Airbase Frankfurt aus mit geführte Krieg gegen Irak, nicht der gewaltfreie Protest dagegen, der dem Schutz von Menschenleben und den Verpflichtungen aus Völkerrecht und Grundgesetz galt.

Sitzen für den Frieden: Nötigende oder nötige Taten?
Außer den Ordnungswidrigkeiten wurden allerdings auch noch ca. 50 Strafverfahren eingeleitet, meist wegen "Nötigung" ( 240 StGB), in wenigen Fällen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, was in der Regel harmloseste Formen des Unterhakens bei der Blockade-Räumung meint. Insgesamt zeigte sich in den ersten vier Prozessen, die im Oktober und November in Frankfurt stattfanden, dass die RichterInnen generell "liberaler" eingestellt sind als die Staatsanwaltschaft. Im ersten Nötigungsprozess kam es zu einer Verurteilung seitens Frau Richterin Wild, wenn auch unterhalb des von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaßes. Der Verurteilte will Berufung einlegen und in nächster Instanz einen Freispruch erreichen. Im zweiten Nötigungsverfahren (zusammen gegen drei Personen) wollte der Richter eigentlich freisprechen. Da aber klar war, dass die Staatsanwaltschaft gegen Freisprüche vorgehen würde und die drei Betroffenen aus jeweils einsichtigen persönlichen Gründen den weiteren Instanzenweg meiden wollten, ging der Richter an die unterste Grenze dessen, was die Staatsanwaltschaft zuließ: Verfahrenseinstellung gegen Auflage (alternativ 150 Euro an eine gemeinnützige Organisation oder 20 Stunden gemeinnützige Arbeit). Richter Biernath, der diesen Prozess führte, betonte während der Verhandlung, dass es gute Gründe gebe, den Irak-Krieg als völkerrechtswidrig zu bewerten, wie es die Angeklagten in ihren Statements dargelegt hatten.

Die Hartnäckigkeit bzw. Uneinsichtigkeit der Staatsanwaltschaft zeigt sich auch im rüden Umgang mit dem Beschluss des Richters Rupp. Amtsrichter Rupp hatte sich geweigert, einen staatsanwaltschaftlich beantragten Strafbefehl auszustellen. Er urteilte, dass gewaltfreie Sitzblockaden nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 1995 nicht mehr einfachhin als Gewalt und auch nicht pauschal als verwerflich bezeichnet werden können. Dagegen ging die Staatsanwaltschaft vor und erreichte nun beim Landgericht, dass die Angelegenheit erneut an das Amtsgericht zurückverwiesen wurde. Nun steht auch in diesem Fall demnächst eine Hauptverhandlung an.

Scheitert die Staatsgewalt an Schnürsenkeln?
In den ersten beiden Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsanwaltschaft - Unterhaken - kam es zu einer Verurteilung im untersten Strafmaßbereich (15 x 8 Euro auf 1 Jahr Bewährung + 50 Euro Geldbuße) und zu einer Verfahrenseinstellung mit Geldbußenauflage (100 Euro). Der Richter im ersten Verfahren wollte zunächst auch eine Einstellung beschließen, wogegen sich jedoch die Staatsanwaltschaft sperrte.

Übrigens gab es seitens der Staatsanwaltschaft noch den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls in einer besonders originellen Version: Zwei Personen, die ihre Schnürsenkel miteinander verknotet hatten, sollte Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen werden. Allerdings weigerte sich hier der zuständige Richter, den Strafbefehl zu unterzeichnen. Die Sichtung der Polizeivideos hätte gezeigt, dass sich die Schnürsenkel durch polizeiliches Ziehen nicht gelöst, sondern eher fester verknotet hätten. "Hier von einer Gewalt, bzw. einer Widerstandshandlung seitens des Angeklagten zu sprechen, ist verfehlt", urteilt messerscharf das Amtsgericht.

Besucht die Frankfurter Prozesse!
Zu Aktionen Zivilen Ungehorsams gehört neben der Aktion selbst auch die aktive politische Auseinandersetzung vor Gericht, um darüber zu streiten, auf welcher Seite denn eigentlich das Recht steht. Im kommenden Jahr geht es mit Verfahren wegen Nötigung weiter. Es wäre schön, wenn viele die Prozesse besuchen würden. Es ist nicht nur ein Zeichen der Solidarität, sondern auch immer wieder ein juristisch-politisches Erlebnis besonderer Art!

Die nächsten Prozesstermine sind wie folgt (Amtsgericht Frankfurt, Hammelsgasse 1, Gebäude E - 5 Minuten Fußweg von Haltestelle Konstablerwache, 3. U-Bahn-Station vom Hauptbahnhof):
 

 20.1.2004, 13.00 Uhr, I St., Raum 16
 

 28.1.2004, 13.15 Uhr, II. St., Raum 24
 

 29.1.2004, 9.00 Uhr, I. St., Raum 11
 

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".