Buchbesprechung

„Organisiert die Welt“

von Christine Schweitzer

Alfred Hermann Fried war einer der bedeutendsten Pazifisten in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Der Historiker Guido Grünewald, langjähriger Aktivist bei der DFG-VK, einer Nachfolgeorganisation der von Fried 1892 initiierten Deutschen Friedensgesellschaft, hat einen Sammelband herausgegeben und eingeleitet, in dem es um das Wirken von Fried geht.

Alfred Hermann Fried (nicht verwandt mit dem Dichter Erich Fried) wurde 1864 als Sohn einer verarmten österreichischen jüdischen Familie geboren. Er ging schon früh nach Berlin, wo er eine Buchhandlung und später einen Verlag betrieb. Anfang der 1890er Jahre begann er eine Korrespondenz mit der österreichischen Pazifistin Bertha von Suttner. In Berlin begründete er 1899 die Zeitschrift „Die Friedens-Warte“, die es auch heute noch gibt, jetzt herausgegeben vom Berliner Wissenschaftsverlag. Von Geldnöten und einem Ehebruch-Skandal geplagt, ging er 1903 nach Wien zurück. Dort machte ihn Bertha von Suttner, eine in gehobeneren Kreisen verkehrende Pazifistin,  mit bedeutenden Persönlichkeiten der Wiener Kreise bekannt, u.a. auch mit Freimaurern, denen er sich 1908 anschloss. 1907 wurde Fried, der vor allem als Publizist in Sachen Frieden tätig war, Mitglied im Internationalen Friedensbüro. 1911 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Zu Anfang des 1. Weltkriegs (den Bertha von Suttner nicht mehr erlebte) musste Fried in die Schweiz emigrieren, da er gewarnt wurde, dass in Österreich ein Verfahren wegen Vaterlandsverrat drohe. 1920 kehrte er einkommenslos nach Wien zurück, wo er im Jahr drauf im Alter von 57 Jahren verstarb.

Frieds Pazifismus entwickelte sich in einer Zeit des Umbruchs. Einerseits war die Zeit geprägt von Antisemitismus, Militarismus und Nationalismus. Die großen europäischen Staaten kontrollierten Kolonien in Afrika und Asien; die meisten EuropäerInnen waren von der eigenen Überlegenheit überzeugt; Darwinismus und Rassismus lieferten die wissenschaftlichen Begründungen für die weltweiten Herrschaftsansprüche. (Von letzteren Überzeugungen waren auch Pazifisten wie Fried nicht frei, wie an verschiedenen Stellen in dem Buch deutlich wird.) Andererseits gab es auch Bewegungen, die wir auch heute noch als fortschrittlich ansehen: Frauen begannen sich zu organisieren und beteiligten sich aktiv in der Friedensbewegung. Um internationale Verständigung zu erleichtern, wurde die Kunstsprache Esperanto erfunden (nicht die erste oder einzige dieser Kunstsprachen) und erlebte viel Zulauf. Sozialdemokratie, Sozialismus und Anarchismus stellten die herrschenden Verhältnisse grundsätzlich in Frage.

Fried bezeichnete seinen Ansatz als „revolutionären“ oder „ursächlichen“ Pazifismus. Seine Theorie war angelehnt an die Ideen von Kant und ging, wie es für die Zeit typisch war, von einer unausweichlichen Entwicklungsrichtung der Welt aus. „Anarchie, Unabhängigkeit und Formlosigkeit als Merkmale der Frühphasen in der natürlichen und der sozialen Welt würden allmählich und zwangsläufig durch Organisation, gegenseitige Abhängigkeit und Zusammenschluss ersetzt“, so beschreibt Peter van Dungen Frieds Denken (S. 68). Die fehlende Ordnung zwischen den Einzelstaaten war für Fried die Ursache von Krieg. Er würde überwunden, sobald die Staaten sich ein Weltordnungssystem schüfen, dessen genaue Ausgestaltung Fried aber offen ließ. Damit gehörte Fried, wie Ulrich Schneckener erwähnt, zu den ersten Vertretern der „idealistischen Schule“ der internationalen Beziehungen. Sie besteht bis heute fort. Allerdings nehmen wir heute die Bedingungen einer Politik des Friedens differenzierter wahr, wie Dieter Senghaas ausführt, der an das von ihm entwickelte „zivilisatorische Hexagon“ mit Gewaltmonopol, Rechtsstaatlichkeit, Interdependenz und Affektkontrolle, sozialer Gerechtigkeit, einer Konfliktkultur und demokratischen Prinzipien erinnert.

Fried war aus heutiger Sicht kein radikaler Pazifist, obwohl er zu jenen gehörte, die den Ersten Weltkrieg ablehnten und beklagten. So schrieb er z.B. im Oktober 1914: „Es ist nicht wahr, dass die Pazifisten ihrem Vaterlande die 'Abrüstung' empfehlen, so dass dieses jetzt wehrlos wäre. Wahr ist vielmehr, dass sie überhaupt nie von 'Abrüstung' sprachen, sondern zunächst nur von einem gleichmäßig von allen Staaten zu bewirkenden Stillstand des Rüstungswettbewerbes.“ (S. 219) Ob und wie Fried die gleichzeitig bestehenden radikaleren, antimilitaristischen Bewegungen wahrnahm und wie er sich zu ihnen positionierte, darüber ist in dem Buch leider nichts zu finden. Das obenstehende Zitat lässt aber vermuten, dass sein Verhältnis zu radikaleren Positionen nicht das Beste war.

Der Sammelband enthält Aufsätze von 13 AutorInnen. Themen sind vor allem verschiedene Aspekte von Frieds Wirken – u.a. sein Verständnis von Pazifismus, Frieds Rolle als Publizist und Friedensjournalist, Frieds Rolle in und seine Bedeutung für die Esperanto-Bewegung, bei den Freimaurern und der transnationalen Frauenfriedensbewegung. Der Band wird abgeschlossen mit den erwähnten zwei Aufsätzen von Schneckener und Senghaas, bei denen es um die Aktualität von Frieds Vorstellungen für heute geht.

Das Buch ist interessant zu lesen für alle, die sich für die Geschichte und die Anfänge der modernen Friedensbewegung interessieren. 

 

Grünewald, Guido (Hrsg.) (2016) Alfred Hermann Fried: “Organisiert die Welt”. Der Friedens-Nobelpreisträger Alfred Hermann Fried (1864-1921) – sein Leben, Werk und bleibende Impulse, Bremen: Donat-Verlag, 272 S., ISBN 978-3-943425-50-5, 16,80 €. Guido Grünewald steht für eine Vorstellung der Person und der Gedanken Frieds vor Friedensgruppen gerne zur Verfügung.

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.