Buchbesprechung Philip Manow

Populist*innen allerorten - zur politischen Ökonomie des Populismus

von Renate Wanie
Hintergrund
Hintergrund

Populist*innen allerorten – so beginnt Philip Manow, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, sein Vorwort zur „Die politische Ökonomie des Populismus“ aus dem Jahr 2019. Der Autor untersucht populistische Wähler*innen und Populismen aus verschiedenen Spektren und populistischen Parteien in Europa, von links und von rechts. Dabei zeigt er Defizite in der Debatte über Populismus auf, kritisiert die Vernachlässigung der ökonomischen Dimension und grenzt sich von einer kulturalistischen Sicht ab.

Fast ohne Ende zählt Manow zu Beginn die Namen von bekannten Populist*innen auf, wie auch von Parteien in europäischen Ländern. Populist*innen von links und rechts seien in den letzten zwanzig Jahren so gut wie in allen Demokratien zahlreicher und erfolgreicher geworden. Weil sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, beherrschen sie vielfach die Agenda, so seine Einschätzung, und fordern „die etablierten Parteien und den etablierten Modus der bisherigen Politik heraus“. Es habe sich der Eindruck verfestigt, der Aufstieg des Populismus sei ein sich verschärfendes Moment in der Krise westlicher Gesellschaften. Doch welche Ursachen liegen dem Populismus zu Grunde, sind es die gleichen in Ungarn wie in Schweden? Ist es die gängige These von den Modernisierungsverlierer*innen?

Ein Komplex von Ursachen
„Was ist da los und wie ist das zu erklären?“ frage eine beunruhigte Öffentlichkeit. Dass es einen ganzen Komplex von Ursachen für die erhöhte politische Unruhe geben könnte, werde vielfach ausgeblendet. Im Kern gehe es stets nur, so Manows Kritik, „um Empörung, Wut, Frustration, Ressentiments“ und um moralische Alleinvertretungsansprüche sowie eine scharfe Abgrenzungsrhetorik. Manow fragt, woher kommt diese Wut? Und worauf läuft eine unversöhnliche Polarisierung in der politischen Auseinandersetzung hinaus? Auf einen zunehmend unüberwindbaren Graben zwischen den Empörten und den Eliten. Hier werde genau das bestätigt, was die Populist*innen selbst unablässig behaupten.

Der Autor will in der Debatte über Populismus auf zwei Defizite  reagieren. Das zunächst erste Defizit bestehe darin, dass über Populismus überwiegend geredet werde, „ohne zugleich über Kapitalismus zu sprechen“. Für die Modernisierungsthese (z.B. wirtschaftliche Benachteiligung als Ursache) gebe es keine empirische Bestätigung. Sie sei nicht prinzipiell falsch, doch als generelle Erklärung reiche sie nicht aus. Auch könne zum Beispiel die Migration allein nicht ohne Verteilungskonflikte zu sehen sein. Ansonsten lande man meist nur bei der Identitätspolitik. Wechselseitige Stigmatisierungen in unergiebigen Debatten seien die Folge. Manows These: „Theoriedefizit und Moralüberschuss kennzeichnen die öffentliche Debatte gleichermaßen.“ 

Das zweite Defizit sei der Mangel an ökonomischer Reflexion, der die gegenwärtige Populismusdebatte kennzeichne. So fehle ein vergleichender Analyserahmen, der über Einzelphänomene hinausgehe. Zudem werde nur der Rechtspopulismus und ganz selten der Linkspopulismus angesehen. In den südlichen Ländern, wie z.B. Griechenland, sei ein Populismus links ausgeprägt, im Norden hingegen, z.B. mit Parteien wie den Wahren Finnen oder der AfD, ein klarer Rechtspopulismus. Das habe mit den unterschiedlichen politischen Ökonomien und deren unterschiedlicher Verletzbarkeit durch die Globalisierung zu tun.

Einzelbefunde, z.B. mit der Annahme, es seien überall die gleichen Motivlagen, die für den Aufstieg populistischer Parteien und Personen verantwortlich zeichnen, setzten sich nicht automatisch zu einem Gesamtbild zusammen. Weshalb solle ein ungarischer Wähler aus gleichen Gründen Fidesz wählen, aus denen eine schwedische Wählerin die Schwedendemokraten wählt? Manows These: „Wenn wir eine ökonomische Erklärung zumindest nicht von vorneherein ausschließen, ist es angesichts der sehr unterschiedlichen Funktionsweisen nationaler Arbeitsmärkte, Wohlfahrtsstaaten, wirtschaftlicher Wachstumsmodelle und Formen der außenwirtschaftlichen Einbettung, ist es bei der unterschiedlichen Exponiertheit der jeweiligen Länder gegenüber Handel und Migration hochgradig unplausibel, den immer gleichen Verursachungszusammenhang zu unterstellen.“

Deutschland
Auch mit Blick auf Deutschland weist Manow darauf hin, dass verschiedene Studien nicht die These untermauerten, die Wähler*innen populistischer Parteien seien vornehmlich unter jenen Gesellschafts- und Arbeitsmarktgruppen zu finden, die besonders benachteiligt vom Strukturwandel und internationalen Handel betroffen seien. Offenkundig seien mehrere Entwicklungen in der Bundestagwahl 2017 zusammengekommen, „zunächst und hauptsächlich der massive, als krisenhaft erlebte Anstieg der Zuwanderung in und nach 2015“. Wenig bekannt ist hingegen, was eines von Manows Schaubildern (Auswertung einer umfangreichen Wahlbezirks-, Regional- und Arbeitsmarktstatistik) wiedergibt: dass auch die damals aktuelle Arbeitslosigkeit in West und Ost zu keiner Erklärung des damaligen AfD-Erfolgs beigetragen hat. Im Osten jedoch habe die frühere Arbeitslosigkeit (im Jahr 2000) eine Rolle gespielt, im Westen wählten eher die regulär Beschäftigten die AfD. 

„Wer über den Populismus reden will, aber nicht zugleich auch über den Kapitalismus, landet meist bei der Identitätspolitik.“ Und sei dann schnell mittendrin in völlig unergiebigen Debatten voll wechselseitiger Stigmatisierungen. Deshalb möchte Manow auch „in der Hoffnung auf Selbstaufklärung und vielleicht Distanzgewinn“ eine Politische Ökonomie des Populismus skizzieren. Darüber hinaus interpretiert Manow - im Gegensatz zu einer verbreiteten kulturalistischen Sicht auf das populistische Phänomen - „Populismus im Wesentlichen als Protestartikulation gegen Globalisierung und zwar gegenüber zwei ihrer hauptsächlichen Erscheinungsformen: dem internationalen Handel und der Migration, also der grenzüberschreitenden Bewegung von Geld und Gütern einerseits und Personen andererseits“.  Zusammengefasst skizziert er vor diesem Hintergrund Europas Geografie des Populismus – „den Linkspopulismus in Südeuropa, der gegen Neoliberalismus und Austerität protestiert - in einem Kontext, in dem die freie Bewegung von Gütern und Geld problematisch wird“. Zum anderen „die Dominanz des Rechtspopulismus in Kontinental- und Nordeuropa, der gegen Massenzuwanderung protestiert - in einem Kontext, in dem freie Bewegung von Personen problematisch wird“. Hinzu kommen schließlich populistische Parteien in Osteuropa und den angelsächsischen Ländern, sie artikulieren Verliererinteressen.

Philip Manows Buch ist unbedingt denjenigen zu empfehlen, die das Phänomen des Populismus unter der Berücksichtigung der ökonomischen Verteilungsdimension, die komplexen Ursachen und die europäische Geografie in ihrer Vielfalt  erfassen möchten.

Manow, Philip (2019): Die politische Ökonomie des Populismus, Suhrkamp, 177 S., ISBN 978-3-518-12728-5, 16,- €

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