BICC Brief 32: Who's Minding the Store?

Privatwirtschaft und Gewaltkonflikte

von Christopher FitzpatrickVolker BögeWillem JaspersWolf-Christian Paes

In den gegenwärtig in den Krisenregionen des Südens ausgetragenen internen Kriegen und Gewaltkonflikten spielt der privatwirtschaftliche Sektor eine große Rolle. Privatwirtschaftliche Aktivitäten tragen sowohl zur Verursachung von Konflikten und Kriegen als auch zur Finanzierung und anderweitigen Unterstützung von Konfliktparteien bei. Insbesondere der Zugang zu und die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen wie Diamanten, Gold und Kupfer, Erdöl oder Tropenholz sind in diesem Zusammenhang zu nennen; einige Beobachter sprechen deswegen von „Ressourcenkriegen" als einem neuen Kriegstyp.

 

Gleichzeitig weisen internationale Organisationen, staatliche Entwicklungsagenturen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) daraufhin, dass gerade auch die Privatwirtschaft Mitverantwortung für Krisenprävention, Konfliktmanagement und Friedenskonsolidierung übernehmen sollte. Privatwirtschaftliche Akteure können einen spezifischen Beitrag leisten und damit die entsprechenden Bemühungen staatlicher, internationaler und zivilgesellschaftlicher Institutionen ergänzen. Eine solche kooperative soziale Verantwortung (corporate social responsibilitiy) umfasste nicht nur die Mitverantwortung für die Vermeidung von Gewaltkonflikten und gewaltfreien Konfliktaustrag sondern auch die Stabilisierung friedlicher und gerechter gesellschaftlicher Verhältnisse.

Im vorliegenden BICC Brief 32 (Publikationsreihe des Bonn International Center for Conversion) wird ein Überblick über beide Dimensionen des Verhältnisses von Privatwirtschaft und Gewaltkonflikt gegeben. Zum einen wird aufgezeigt, in welcher Weise privatwirtschaftliche Akteure in gewaltsame Konflikte involviert sind. Zum anderen werden verschiedene Ansätze vorgestellt, die darauf abzielen, das Gewaltkonflikte nährende Potenzial privatwirtschaftlicher Aktivitäten einzuhegen und gleichzeitig die Privatwirtschaft für Krisenprävention und Friedensbildung in die Pflicht zu nehmen.

Die Darstellung konzentriert sich dabei auf multinationale Unternehmen (MNU) aus dem Bereich der extraaktiven Industrien (Bergbau, Erdöl und Erdgas). Denn einerseits ist die akademische und politische Debatte über die besondere Rolle und Verantwortung von MNU am weitesten gediehen. Andererseits ist die Bedeutung extraaktiver Industrien für Gewaltentstehung und -verstetigung in zahlreichen aktuellen Gewaltkonflikten belegt. Es wird aufgezeigt,

  • in welcher Weise extraaktive Industrien etwa durch Umweltzerstörung, unsensible Einstellungs- und Personalpolitik, unangemessene Kompensationsmaßnahmen oder verfehlte Sicherheitsvorkehrungen - zur Verursachung von Gewalt beitragen;
  • wie sie in bereits bestehende Konflikte - etwa zwischen Zentralregierung und lokaler Bevölkerung oder innerhalb ihrer konkurrierenden Gruppen - einbezogen werden und diese verschärfen;
  • und wie sie schließlich über die Finanzierung von Konfliktparteien zur Verlängerung von Gewaltkonflikten beitragen.

Es wird offenbar, dass MNU in einem konfliktiven gesellschaftlichen Umfeld nicht „neutral" bleiben und sich auf ihre „bloße" Geschäftstätigkeit beschränken können. Vielmehr sind sie vor Eskalation eines Gewaltkonfliktes, während des Konflikts und nach seiner Beendigung in spezifischer Weise einbezogen. Gleichzeitig können sie eigene Beiträge für Prävention, Milderung und Management sowie Überwindung der Folgen leisten. Gleichwohl zeigt sich, dass selbst gut gemeinte Initiativen, etwa Projekte zur lokalen Entwicklung unbeabsichtigte konfliktverschärfende Folgen haben können, z.B. wenn sie einzelne Gruppen der lokalen Bevölkerung gegenüber anderen Gruppen bevorzugen (oder auch nur scheinbar begünstigen). Und auch „nur" der Sicherheit des eigenen Personals und der eigenen Anlagen dienende Maßnahmen, wie etwa die Inanspruchnahme privater Sicherheitsdienste oder der staatlichen Sicherheitskräfte, kann zur konfliktiven Verstrickung führen, wenn diese die Menschenrechte der lokalen Bevölkerung verletzen.

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von konfliktrelevanten allgemeinen, branchen- und unternehmensspezifischen Verhaltenskodizes, Leitlinien und Prinzipienerklärungen, die sich auf Menschenrechte und Sicherheit, Finanzierung, Regierungsgewalt (governance) und Transparenz sowie den Umgang mit besonders konfliktsensiblen Ressourcen beziehen. Die wichtigsten dieser Instrumente - unter anderem der Global Compact der Vereinten Nationen, die OECD-Leitlinien für Multinationale Unternehmen, die UN Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterpries with regard to Human Rights, die Voluntary Principles on Security and Human Rights, die Extractive Industries Transparency Initiative und das Kimberley Process Certification Scheme - werden vorgestellt und in ihrer Bedeutung für konfliktsensibles Unternehmensverhalten bewertet. Auch wenn die Mehrzahl dieser Instrumente nicht direkt Krisenprävention und Friedensbildung zum Ziel haben, so sind doch etwa vermittelt über die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards - entsprechende indirekte Effekte zu erwarten. Dennoch besteht die Notwendigkeit, auch explizit konfliktbezogene Instrumente zu schaffen bzw. bereits bestehende Instrumente um diese Dimension zu erweitern, um konfliktsensibles Unternehmensverhalten einzudämmen und Möglichkeiten positiver Einflussnahme auf Prä- und Post-) Konfliktlagen optimal auszuschöpfen. Zudem sind die gegenwärtigen Möglichkeiten der Kontrolle und der Umsetzung von Verhaltenskodizes, Leitlinien usw. augenscheinlich zu schwach. Problematisiert wird in diesem Zusammenhang deren freiwilliger, selbstregulierender Charakter. Er wird von der Privatwirtschaft ebenso vehement verteidigt wie er aus Kreisen der Zivilgesellschaft kritisiert wird. Letztere streben rechtsverbindliche Regelungen an, die wiederum die Privatwirtschaft großteils ablehnt.

Vorgeschlagen wird die festgefahrene Debatte um „Regulierung contra Selbstregulierung" durch ein Konzept der „Koregulierung" abzulösen. Hierfür können etwa die Financial Action Task Force on Money Laundering und insbesondere das Kimberley Process Certification Scheme für .Konfliktdiamanten" wertvolle Anregungen geben. Im Kimberley Process wirken internationale Organisationen, Regierungen, Privatwirtschaft und NGO mit dem Ziel zusammen, über einen effektiven Zertifizierungsmechanismus den Handel mit „Konfliktdiamanten" zu verhindern. Auch wenn sich dieses Modell nicht ohne weiteres auf andere natürliche Ressourcen übertragen lässt, kann es doch - etwa für den Bereich von „Konflikttropenholz" - Denkanstöße geben. Es gibt bereits einen internationalen Zertifizierungsmechanismus für Holzbewirtschaftung (Forest Stewardship Council Certification), der um die Dimension „Konfliktsensibilität" erweitert werden müsste.

Darüber hinaus ist aber weiterhin notwendig, Konfliktparteien und unverantwortliche Unternehmen, die von Gewaltkonflikten profitieren (wollen), mittels ausdifferenzierter und zielgenauer Sanktionen an der Eskalation und Verlängerung von Konflikten·und Kriegen zu hindern und sie im besten Falle zur Rückkehr zu normenkonformeren Verhalten zu zwingen.

Neben den „harten" Sanktionen hat sich auch die „weiche" Einflussnahme von NGOs als bedeutsam für konfliktsensibles Unternehmensverhalten erwiesen. Dass sich die Privatwirtschaft zusehends bereit findet, über kooperative soziale Verantwortung zu reden, sich eigene Verhaltenskodizes zu geben und Instrumenten wie dem Global Compact anzuschließen, ist nicht zuletzt auf den Druck der Zivilgesellschaft zurückzuführen. MNU haben sich als durchaus empfindlich gegenüber Kampagnen erwiesen, die auf naming and shaming abzielen und ihrer Reputation schädlich waren. Allerdings setzen NGOs heutzutage die Privatwirtschaft nicht mehr nur mit ihren Enthüllungen unter Druck. Vielmehr agieren sie oft auch als Vermittler oder gar Berater. Die Analyse dieser verschiedenen Rollen erweist, dass sich im Laufe der Zeit das Verhältnis zwischen NGO und Wirtschaftswelt von starrer Konfrontation zu einem differenzierteren abwechselnd konfrontativen wie kooperativen Miteinander gewandelt hat. Davon kann auch das Themenfeld „Privatwirtschaft und Konflikt" profitieren.

Der BICC Brief enthält eine knappe Bilanz der Fortschritte und Defizite der bisherigen politischen und wissenschaftlichen Debatte zum Thema. Ausgesprochen werden knappe Empfehlungen für Unternehmen, internationale Organisationen und die deutsche Bundesregierung sowie ihre entwicklungspolitischen Institutionen. Besonders vermerkt wird die Notwendigkeit, sich stärker als bisher dem konkreten Unternehmensverhalten am jeweiligen Ort des Konfliktgeschehens sowie der Finanzierung konfliktträchtiger Projekte zuzuwenden, das Konzept der „Koregulierung“ fortzuentwickeln und das UN-System verstärkt als Forum für Lernprozesse, Dialog und Netzwerkbildung zu nutzen.

Mehrere Boxes stellen zum einen einige besonders prominente Fälle konfliktrelevanten Unternehmensverhaltens dar, z.B. die Rolle Shells im nigerianischen Niger-Delta, und präsentieren zum anderen erfolgversprechende Lösungsansätze, z.B. das Tschad-Kamerun-Pipelineprojekt.

Kontakt: An der Elisabethkirche 25 53113 Bonn, Tel. 02 28/91196-0 Fax 02 28/241215, bicc [at] bicc [dot] de

 

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Wolf-Christian Paes ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am BICC in Bonn.