Peter Gingold (VVN - Bund der Antifaschisten - Mitglied des Auschwitzkomitees)

Redebeträge der Auftaktekundgebungen: Nord (Josfshöhe)

von Peter Gingold

Auch ich gehöre zu den über 800.000 Deutschen, die in der Nazizeit durch ihre Flucht ins Ausland den Mördern entgin­gen. In fremden Ländern haben wir Asyl und solidarische Hilfe gefunden, wie ich mit meiner Familie in Frankreich. Wir waren, wie man sie heute nennt, Asylanten. Wir wissen was es heißt, als Flüchtling in einem fremden Land, ohne Sprach­kenntnisse, nur mit einem Koffer, ohne Geld, auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein. Wir können uns gut in die Situation von Asylsuchenden hineinversetzen, was es für einen Menschen bedeutet, seine Heimat zu verlassen, darauf hoffend, Asyl und auch Solidarität unter den Einheimischen im Zufluchtsland zu finden. Aus unserer Asylerfahrung haben die aus dem Exil Zurückgekehrten leidenschaftlich darum ge­kämpft, daß das Grundrecht auf Asyl, der Art. 16, als unver­zichtbares elementarstes Menschenrecht, für immer und ewig verankert wird.

Wenn gesagt wird, ja damals, als der Art. 16 beschlossen wurde, war nicht die große Zahl von Asylbewerbern voraus­zusehen, ist entgegenzuhalten: Selbstverständlich war nie die Quantität von Flüchtlingen begrenzt, es wäre himmelschrei­end, ein Grundgesetz deshalb abzuschaffen, nur weil es von angeblich zu vielen in Anspruch genommen wird und weil die Kosten zu hoch sind!

Der Art. 16 ist eine Dankesschuld an die Völker, die so vielen deutschen Flüchtlingen das Leben retteten. Der Art. 16 gilt als Zeichen eines humanen Deutschlands, in dem alle Menschen, gleich welcher Herkunft, gleichberechtigt leben, ein Deutschland, das mithilft, die Ursachen in der Welt zu besei­tigen, die Menschen zu Flüchtlingen machen.

Und noch etwas, was unser Volk hierzu verpflichtet, wie kein anderes auf dieser Erde: Es wird gesagt, es gibt ja auch in an­deren Ländern Rassisus, Ausländerfeindlichkeit. Wohl wahr, sie sind keine spezifisch deutsche Erscheinungen. Nun aber doch, es gibt einen kleinen Unterschied zu allen anderen Län­dern: In unserem Land hat der Rassismus seinen grauenhafte­sten Höhepunkt in der Geschichte der Menschheit erreicht. Auschwitz hat es doch nicht irgendwann gegeben, vielleicht in der Steinzeit, oder irgendwo, vielleicht in Zentralafrika, sondern hier in jüngster deutscher Geschichte! Alle Werte, alle hohen ethischen Ansprüche dem Wahren, Schönen, Guten der deutschen Dichter und Philosophen, zerschellten an Auschwitz. Der millionenfach betriebene Mord an Frauen, Männern, Kindern, Greisen, durch Hunger, Seuchen, Spritzen, ausgelöscht in Todesfabriken, wie Ungeziefer ausgerottet durch Gas, ausgerottet nur weil sie geboren sind! In welcher Form auch immer Rassismus und Fremdenhass in unserem Land zu Tage tritt, hier riecht es nach Gas! In Erinnerung an das Schweigen und Wegsehen vor 54 Jahren, als die Synago­gen brannten, die die Endlösung der Judenfrage und die Ver­wandlung ganz Europas in ein Meer von Blut und Tränen an­kündigten, spätestens nach der ersten Brandbombe auf ein Asylheim, hätte es einen millionenstimmigen Aufschrei des Entsetzens unseres Volkes geben müssen: Nein, nein, das las­sen wir nicht mehr zu!

Nein, diesen Aufschrei hat es nicht gegeben. Dafür liefern die Regierungsverantwortlichen den Brandbomben das Benzin nach, indem sie lauthals verkünden: Jetzt rasch weg mit dem Art. 16. Und was noch erschreckender ist: Der nicht mehr klammheimlich, sondern offen auftretende Neofaschismus und Rassismus in der Bundeswehr! Offiziere der Bundeswehr mit Brandsätzen gegen Asylheime, ausgerechnet diese Bun­deswehr, die darauf vorbereitet wird, Westeuropa gegen Hun­gernde abzuschotten und zum Einsatz in aller Welt für die Bedürfnisse der deutschen Großmachtgelüste.

Die alltägliche rassistische Gewalt, die Schändung jüdischer Gedenkstätten, wahrgenommen wie der tägliche Wetterbe­richt, wäre für die Überlebenden der Nazihölle eine Sache der hoffnungslosen Verzweiflung, wenn es dennoch nicht die zu­nehmende massenhafte Bewegung gegen Rassismus, Fremdenhass und Neofaschismus geben würde, wie wir sie in die­sen Tagen besonders um den 9. November erlebt haben, wie auch heute hier in Bonn.Mobilisieren wir noch viele Menschen für die Unantast­barkeit der Würde des Menschen und des Grundrechts auf Asyl, zur Verteidigung des elementarsten Menschenrechts, des Art. 16, an dem nichts, aber auch nichts gerüttelt werden darf.

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Peter Gingold (VVN - Bund der Antifaschisten - Mitglied des Auschwitzkomitees)