Spaniens Krieg gegen Abd-el-Krims Rifkabylen (1921-1927) mit Giftgasexport aus Deutschland

Rückblick: Giftgas aus Deutschland in Marokko

von Jürgen Neitzert
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Spanien erhielt durch einen französisch-spanischen Vertrag am 27. November 1912 den Norden Marokkos am Mittelmeer mit dem Rifgebirge als Protektorat zugesprochen. Als spanisches Militär ab 1921 versuchte, dieses Gebiet immer mehr in Besitz zu nehmen, begann der Widerstand der Berber unter Leitung Abd-el-Krims. Bei der Schlacht von Annual vom 22. Juli 1921 starben über 13.000 spanische Soldaten im Kampf gegen die Rifkabylen, die einen Guerillakrieg führten. Abd-el-Krim gründete 1923 die islamische Rif-Republik im Norden Marokkos.

Nun setzte Spanien chemische Kampfstoffe, Giftgase, massiv gegen die Bevölkerung des Rifs ein. Das Giftgas hatte Spanien aus Deutschland importiert. Der dafür verantwortliche deutsche Fachmann, Dr. Hugo Stoltzenberg, erhielt im Juni 1922 auch den Auftrag des Baus einer Fabrik zur Herstellung von Giftgas in La Marañosa bei Madrid. Auch baute er eine schon existierende Füllanlage für chemische Kampfstoffe bei Melilla im Norden Marokkos zu einer Produktionsstätte für Giftgas um. Es kam nun zum massiven Einsatz von verschiedenen chemischen Kampfstoffen, vor allem Senfgas. Etwa 127 Bomber warfen täglich etwa 1.680 Bomben ab. Insgesamt wurden über 500 Tonnen Senfgas eingesetzt. Ziel waren vor allem die Märkte und belebten Plätze, wo die zivile Bevölkerung zusammenkam. Aber auch die in der Landwirtschaft tätigen Bauern wurden bombardiert. Der Giftgaskrieg erreichte sein Ziel, es schwächte entscheidend die Rifkabylen. Bei den Opfern der Giftgasangriffe führte das Giftgas zu meist tödlichen Wunden. Das Senfgas blieb auf Nahrungsmitteln haften. Ihr Verzehr brachte Geschwüre an den Verdauungsorganen und führte schließlich zum Tod. Diese Vergiftungsstrategie mit Senfgas für den Norden Marokkos war vom deutschen Chemiker Dr. Hugo Stoltzenberg für das spanische Militär geplant worden. Er entwickelte auch das Giftgas mit Zutaten so, dass es wochenlang weiterwirkte.

1924 unterbanden die Franzosen, die den größten Teil Marokkos als Protektorat regierten, die notwendige Lebensmittelzufuhr für die Berber der Rif-Republik aus ihrem Gebiet. 1924 und 1925 marschierten Abd-el-Krims Truppen in die französische Zone Marokkos ein. Nun kam es zum vereinten Kampf der Spanier und Franzosen mit etwa 500.000 Soldaten gegen die Rifkabylen Abd-el-Krims, die nur etwa 7.000 Kämpfer hatten. Spanische und französische Truppen waren nach großen Angriffen im Sommer 1925 weit vorgedrungen. Am 8. September 1925 landeten spanische Truppen mit Hilfe der französischen Flotte und der Luftwaffe in der Bucht von Al Hoceïma im Nordosten Marokkos. Es war die erste Luftlandeoperation in der Geschichte. Die Giftgaseinsätze und die Landung bei Al Hoceïma führten zum Wendepunkt des Rifkriegs und dem Ende der Herrschaft Abd-el-Krims, der sich am 27. Mai 1926 ergab. Doch der Krieg ging weiter, auch mit Giftgaseinsätzen. Erst am 10. Juli 1927 ging der sechsjährige Kampf für Unabhängigkeit mit einer Niederlage für die einheimischen Rifkabylen zuende.

Die Kontaminierung mit Senfgas führte dazu, dass das Gebiet um Al-Hoceima auch heute noch eine hohe Rate an Lungenkrebserkrankungen hat. Die marokkanische „Vereinigung zur Verteidigung der Giftgasopfer im Rif“ ist überzeugt, dass die giftigen Auswirkungen der Bombardierungen in der Rif-Region bis heute, fast 100 Jahre später noch wirken. Allerdings wurde bisher keine wissenschaftliche Studie über den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Chemiewaffen und der bekannten außerordentlich hohen Krebsrate in der Region, vor allem Lungenkrebs, durchgeführt.

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Jürgen Neitzert ist Franziskaner Bruder in Köln und im christlich-islamischen Dialog aktiv.