Moor unter dem Stern

Rüstungsmulti Daimler-Benz und die Teststrecke

von Andreas Speck

Bereits seit 1977 versucht Daimler-Benz, eine eigene Teststrecke für Automobile und sonstige Daimler-Produkte zu bauen. Zunächst sollte das 600 ha große Testgelände in Boxberg in Baden-Württemberg entstehen, dort scheiterte der Konzern jedoch am Widerstand der Boxberger Bäuerinnen und einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zehn Jahre später - 1987.

 

Die Niederlage wurde vom Konzern gut ausgewertet, und nach einer umfangrei­chen Standortsuche entschied sich der Konzern schließlich für das von der Stadt Papenburg angebotene Moorgebiet im Emsland. Die sorgfältige Standort­auswahl und eine geschickte Werbe­strategie sollten eine Wiederholung der Niederlage vom Boxberg vermeiden helfen, und diese Strategie scheint - zu­mindest zum Teil - aufzugehen.

Der Standort

Die Stadt Papenburg liegt im Nordwe­sten des Emslandes nahe der niederlän­dischen Grenze und hat ca. 30.000 Einwohnerlnnen. Das gesamte Emsland, wie eigentlich der gesamte Nordwesten Deutschlands, gilt als extrem struktur­schwache Region mit hoher Arbeitslo­sigkeit und hohen Abwanderungen vor allem bei der jungen Bevölkerung. Gute Voraussetzungen also für den Erfolg der Daimler-Werbestragie, die vor allem die neuen Arbeitsplätze betont.

Ein Blick auf die konkreten Planungen macht die Dimensionen des Projektes, daß in einem Moorgebiet im Südosten Papenburgs entstehen soll, deutlich. 300 Millionen DM sollen hier verbaut wer­den, um angeblich 300 Arbeitsplätze zu schaffen. Auf einer Fläche von 920 ha sollen zahlreiche Testeinrichtungen ent­stehen:

  • ein Ovalrundkurs mit einer Länge von 12,8 km und Steilkurven, die eine Höhe von ca. 10 m erreichen werden;
  • eine Meßgerade mit einer Gesamtlänge von 12,1 km mit Wendeschleifen, die bis zu 9 m hoch sind;
  • Bremsmeßstrecken für PKW (Länge 1,25 km, Ereile 60 m) und Nutzfahr­zeuge (Länge 0,6 km, Breite 60 m);
  • eine "Fahrdynamikplatte" mit einem Durchmesser von 370 m;
  • eine Geräuschmeßstrecke;
  • ein Handlingkurs mit 3,6 km Länge für Kurvenfahrten;
  • PKW- und Nutzfahrzeug-"Rutsch­platten" mit einem Durchmesser von je 180 m.

Dazu kommen noch eine Werkschutz­straße, eine Hochbauzone mit Werkstätten und Büros und weitere kleine Testeinrichtungen.

Von den 920 ha Gesamtfläche werden insgesamt 134 ha unter Beton und As­phalt begraben. Weitere 54 ha werden so befestigt, daß sie ebenfalls als biologisch tot bezeichnet werden müssen.

Und weitere 327 ha dienen als Abstand­flächen oder als Aufstandflächen für Böschungen, Bankette, Schutzwälle und ähnliches. Insgesamt werden also von der Teststrecke 560 ha Fläche "ver­braucht".

Daimler-Benz hat sich die Region gut ausgesucht. Von den ursprünglichen - und auch heute noch offiziell genannten - Standortkriterien blieb nicht viel übrig. Die Teststrecke soll angeblich:

  • von Stuttgart aus gut zu erreichen sein (im Umkreis von 200 km um das Entwicklungszentrum in Stuttgart),
  • in einem nebelarmen Gebiet liegen,
  • den Bau ohne größere Bodenbewe­gungen ermöglichen.

Keines dieser Kriterien trifft auf den Standort Papenburg zu. Papenburg ist etwa 600 km von Stuttgart entfernt, zeichnet sich durch häufigen Nebel aus und für den Bau der Teststrecke sind 4,8 Mio m2 Torf auszukoffern und gegen 7,0 Mio m2 Sand auszutauschen. Bleibt als einziges (und wohl ausschlaggeben­des) Kriterium über, daß das gesamte Gelände in öffentlicher Hand ist (Stadt Papenburg und Land Niedersachsen), und so keine Probleme mit widerspen­stigen Grundstückseigentümerinnen zu erwarten sind.

Rot-Grün und die Teststrecke

oder: Der Bluff mit der "positiven öko­logischen Gesamtbilanz"

Eine besonders traurige Rolle im Zu­sammenhang mit der Teststrecke spielen die niedersächsischen Grünen. Zogen sie 1990 noch mit der Forderung "Keine Teststrecke" in den Landtagswahlkampf und in die Koalitionsverhandlungen, so hat sich das heute geändert. Im Koalitionsvertrag mit der SPD vom Mai 1990 heißt es noch: "Die Koalitionspartner sind sich einig, daß eine Prüfstrecke durch das Land Niedersachsen nicht gefördert wird." Nach der Standortbe­kanntgabe durch Daimler-Benz am 7. Mai 1991 stimmten jedoch auch die grünen Ministerinnen noch am gleichen Tag der Teststrecke zu und leiteten die Änderung des Landesraumordnungspro­gramms ein. Diese Zustimmung stand jedoch im Gegensatz zu einem Partei­tagsbeschluß der Grünen. Wenige Tage nach der Grünen Zustimmung zu Teststrecke, am 11./ 12. Mai 1991, halten die Grünen ihre Landesdelegiertenkonfe­renz eigens in Papenburg ab, um, basis­demokratisch wie sie sind, den schon gefallenen Beschluß abzusegnen. In ei­ner Diskussion, bei der eine "positive ökologische Gesamtbilanz" konstruiert wird, versuchen sie, ihr Image zu retten.

Doch diese angebliche "positive ökolo­gische Gesamtbilanz" beruht auf einem Grünen Rechenfehler, wie ein Blick in das entsprechende Gutachten zeigt. Die­ses Gutachten "zu den eigenständigen Entwicklungsmöglichkeiten der Region Papenburg und den Auswirkungen des Mercedes-Benz-Prüfgeländes" wurde extra für die Landesregierung erstellt, um die Teststrecke zu rechtfertigen. Nach einer wissenschaftlich durchaus umstrittenen Methode (der sogenannten "Nutzwertanalyse") wurden dabei die Auswirkungen der Teststrecke nicht nur auf die Umwelt, sondern vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung der Re­gion, bewertet. Doch selbst nach diesem Gutachten ergibt sich für die Teststrecke - trotz aller Ausgleichsmaßnahmen - für den Sektor Ökologie einer Verschlechterung. Lediglich durch positive Aus­wirkungen in anderen Bereichen - vor allem der wirtschaftlichen Entwicklung - ergibt sich in der Summe eine positive Bilanz. Doch auch diese ist durchaus fragwürdig, wie vom AK Teststrecke in einer Analyse des Gutachtens gezeigt wurde.

Auch die Grünen machen also mittler­weile das Spiel "Umwelt gegen Arbeitsplätze" mit, vielleicht aber auch in der speziellen grünen Variante "Tausche Moor gegen Ministerinnenposten"?

Die Teststrecke - so überflüssig wie die neue S-Klasse

Seit den ersten Teststreckenplanung 1977 begründet Daimler die Notwen­digkeit der Teststrecke mit denselben Argumenten: ohne eine eigene Test­strecke könnte der Konzern in Zukunft seinen (angeblichen) technologischen Fortschritt verlieren und wäre nicht mehr in der Lage, ausreichend schnell neue Automobile zu entwickeln. Doch auch durch ständiges Wiederholen seit mittlerweile 16 Jahren wird, diese Ar­gumentation nicht richtiger - im Ge­genteil: wenn diese Behauptung stimmen würde, müßte Daimler mittlerweile völlig veraltete Autos auf dem Markt anbieten und wäre wohl schon pleite..

Dennoch ist die Teststrecke natürlich für Mercedes von nutzen. Der Vorteileiner eigenen Teststrecke liegt für Mercedes-Benz vor allem darin, daß hier ungestört und zu jeder Zeit (und ohne Einblick und Kontrolle von außerhalb) alles gete­stet werden kann, woran der Konzern interessiert ist. Vor diesem Hintergrund sind auch die Äußerungen von Merce­des zu betrachten, daß auf der Test­strecke "keine Kettenfahrzeuge" getestet werden..

 

Die Teststrecke - Rüstungsprojekt?

Die Frage, ob die Teststrecke als Rü­stungsprojekt zu betrachten ist, ist nicht so eindeutig zu beantworten. Für die Teststreckenplanungen Boxberg wurde - vom Forschungsinstitut für Friedenspo­litik ein Gutachten vorgelegt, daß die Teststrecke im Notfalleiner der größten militärischen Flugplätze Deutschlands sein könnte. Vor dem Hintergrund der damaligen NATO-Strategie FOFA (Follo On Forces Attack) bzw. AirLand Battle kam daher der Teststrecke auch eine nicht unwesentliche militärische Bedeutung zu.

Sicher ist, daß die Planungen in Papen­burg eine militärische Nutzung im oben genannten Sinne auch zulassen würden. In wieweit im Rahmen der aktuellen militärischen Akzentsetzungen (Grundgesetzänderung, "Krisenreaktionskräfte", Bundeswehr in alle Welt) Bedarf für einen weiteren militärischen-Großflughaferi besteht, vor allem auch im äußersten Nordwesten Deutschlands, dazu wage ich hier keine Prognose.

Sicher ist jedoch auch, daß Daimler­Benz militärische Produkte auf der Teststrecke testen wird - lediglich Ketten­fahrzeuge wurden ausgeschlossen. So ist Daimler z.B. an der Entwicklung einer gepanzerten Radfahrzeugfamilie betei­ligt, und der Daimler-UNIMOG wird überall in der Welt zu Aufstandbekämp­fung eingesetzt.

Die Frage, ob die Teststrecke ein Militärprojekt ist, bleibt also letztendlich of­fen. Mit Sicherheit läßt sich aber be­haupten, daß sie ein militärische bedeut­sames Projekt ist.

Daimler fährt zweigleisig

Doch von der niedersächsischen Öf­fentlichkeit im Wesentlichen unbemerkt hat Daimler mittlerweile noch ein zweites Eisen im Feuer - für den Fall, daß die Planungen in Papenburg doch noch scheitern oder vielleicht auch als bessere Standortalternative. Ca. 60 km südlich von Berlin befindet sich ein al­tes Testgelände der DDR NVA (Natio­nalen Volksarmee) mit Tradition. Der Anlage in Horstwalde geht auf militärische Schieß- und Sprenganlagen aus dem Jahre 1871 zurück. Im Jahr 1917 wurden die Schießanlagen durch eine "Versuchsstelle für Förderbahn ­und Kraftwagenbetrieb" ergänzt.

Im Laufe der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitung und -führung wurde diese Anlage rege genutzt und weiter ausgebaut. Nach der Befreiung vom Fa­schismus und der Teilung Deutschlands gingen dann einige Sprenganlagen und das KFZ-Versuchsgelände in das Ei­gentum der Nationalen Volksarmee über und dienten als universelles Prüfgelände für Militärfahrzeuge aller Art, Waffen und Kochgeschirr. Die KFZ-Prüfanla­gen wurden auch für Tests ziviler Fahr­zeuge genutzt, z.B. vom "Industriefahr­zeugewerk Ludwigsfelde", IFA, und es entstand in unmittelbarer Nähe eine Trabi-Teststrecke. Das Versuchsgelände entwickelte sich zum Zentrum für Prüftechnik aller Art.

Als die "Wende" absehbar wurde, wur­den die Versuchsanlagen von der NVA an das "Amt für Standardisierung, Meß­wesen und Warenprüfung" (ASMW) abgegeben. Das Gelände hatte die NVA mit der dafür üblichen rigiden Aneig­nungspraxis auf eine Fläche von ca. 1.500 ha vergrößert, so daß heute ver­schiedene noch nicht geklärte Eigentumsansprüche auf Teile der Flächen bestehen.

 

Das ASMW ging im Zuge des "Einigungsvertrages" in die "Bundesanstalt für Materialprüfung" (BAM) ein. Damit beansprucht die BAM heute das Gelände, von dem sie ca. 700 ha für eine "FKVV" (Fahrbahn-, Kraftfahrzeug- und Verkehrsversuchsanlage) zur Verfügung stellen will. Ob die BAM als Bundesbehörde die Anlage selber betreiben will oder eine private Trägerschaft vorgesehen ist, bleibt unklar.

Und hier kommt Daimler-Benz ins Spiel. Einige Kilometer vom geplanten Standort entfernt liegt Ludwigsfelde. Hier gab es zur Zeit des Realsozialismus eine "Firma mit volkswirtschaftlich be­sonderer Bedeutung", die unter strikter Geheimhaltung Triebwerke für die NVA entwickelte und testete. Diese Firma trägt jetzt den Namen "MTU" (Motoren und Turbinen Union) und gehört damit zum Daimler-Benz-Konzern.

Der ebenfalls in Ludwigsfelde ansässi­gen IFA, die mit der LKW-Produktion hier ehemals mehr als 10.000 Menschen beschäftigte, wurden Ende 1991 die beiden Firmen "NLG" (Nutzfahrzeuge Ludwigsfelde GmbH) und ''EGL" (Entwicklungsgesellschaft Ludwigsfelde mbH) ausgegliedert. Die Firma NLG produziert mit etwa 1.000 Beschäftigten LKW in Lohnarbeit für Mercedes. Daimler ist an der NLG bereits zu 25% beteiligt und strebt in 1994 die 100% ­tige Übernahme an. Die EGL hingegen umfaßt die Entwicklungsabteilung der ehemaligen IFA. Diese Firma erhielt den Auftrag von der BAM, eine Studie für die Standortvorwahl der zu er­richtenden FKVV zu erstellen. Wie zu­fällig erhielt der Standortvorschlag Horstwalde von den untersuchten ver­schiedenen Standorten ganz Deutsch­lands die höchste Punktewertung - der Standort, auf dem die Ingenieurinnen zur Zeit der IFA bereits ihre Produkte getestet hatten. Vermutlich wäre die EGL auch Betreiberin einer Teststrecke Horstwalde, wenn sie denn gebaut werden sollte.

Höchst interessant ist die (nicht so öf­fentliche) Tatsache, daß die Firmen NLG und EGL dieselben Entschei­dungsträger haben und auch die EGL zu 25 % Daimler-Benz gehört. Auch bei der EGL strebt Daimler eine vollstän­dige Übernahme an. Damit wäre es dann Daimler-Benz, der die Teststrecke Horstwalde plant und betreibt ... Aus für Papenburg?

Die Beteiligung von Daimler-Benz an Horstwalde ist offensichtlich, vom Kon­zern wird sie jedoch nicht öffentlich gemacht. Dazu hatte Edzard Reuter, Vorstandschef von Daimler-Benz, jedoch am 26. Mai  diesen Jahres Gele­genheit, als er auf der Aktionärs­ Haupversammlung von einer Rednerin des AK Teststrecke darauf angespro­chen wurde. Herr Reuter bestritt nicht die Beteiligung Daimlers, stellte aber fest, daß aus "ökologischen und logisti­schen Gründen" der Standort Papenburg Priorität habe.

Widerstand gegenjede Teststrecke Für die Teststreckengegnerinnen ist klar, daß eine Entscheidung Daimlers gegen Papenburg und für Horstwalde nicht unbedingt als Erfolg angesehen werden könnte. Natürlich geht es um die Erhaltung des Papenburger Moores, doch bedeutet das nicht, daß nach dem St. Florians-Prinzip die Teststrecke wo­anders akzeptiert werden würde.

Zum einen würde auch eine Teststrecke in Horstwalde erhebliche ökologische Eingriffe bedeuten, zum anderen geht es prinzipiell darum, daß eine "unsinnige Technologie" wie das Auto nicht weiter getestet werden muß. Es geht um die Verhinderung einer Teststrecke an sich.

Es bleibt abzuwarten, ob und wie Daimler den Standort Horstwalde öffentlich macht. Das Eingeständnis der Tatsache, daß die Standortwahl in erster Linie von ökonomischen Erwägungen abhängig ist, und nicht von der Sorge um die Ökologie und Ökonomie einer entwicklungsbedürftigen Region, dürfte schwer in die Werbekampagne für Pa­penburg zu integrieren sein: Das klammheimliche "Umschauen nach bes­seren Möglichkeiten" könnte gar viel an Vertrauen zerstören, was sich Daimler in kostenintensiver Kleinarbeit im Emsland aufgebaut hat.

Der Konzern wird wohl zunächst zweigleisig fahren, um die endgültige Entscheidung für oder gegen (bzw. ge­gen oder für) Papenburg von den dann gültigen "Rahmenbedingungen" abhän­gig zu machen...

Bleibt für den Widerstand, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Er­ste Kontakte zwischen dem AK Test­strecke und der Bürgervereinigung Kummersdort-Gut e.V., die gegen die Teststreckenpläne in Horstwalde arbei­tet, sind bereits geknüpft. Vielleicht steht ja demnächst die Gründung von ANATOPIA-Ost an...

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Andreas Speck war Pressesprecher von Action AWE während des Burghfield Disarmament Camp. Seit Mitte September lebt er in Sevilla und engagiert sich im Red Antimilitarista y Noviolenta de Andalucia (RANA). mail@andreasspeck.info, http://andreasspeck.info