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Eine Zeitansage
Sicherheit neu denken
vonAls 2018 die Studie „Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik – Ein Szenario bis zum Jahr 2040“ vorgelegt wurde, war die gesellschaftliche Entwicklung hierzulande und weltweit offener, hoffnungsvoller. Auf dem Steuerpult der großen und kleinen krisenhaften Prozesse haben die Atomwissenschaftler*innen den Zeiger der Doomsday Clock, der Atomkriegsuhr, auf 90 Sekunden vor Mitternacht gestellt, so nah wie nie zuvor seit 1947. Die Wissenschaftler*innen am anderen Ende der Zeitskala, die Geolog*innen, die in Jahrmillionen messen, geben ein neues Weltzeitalter an: das „von Menschen gemachte“, das Anthropozän. Nach Kreide, Jura usw. bestimmen nun wir mit unseren Eingriffen in die anorganische und organische Materie, in Klima, Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit den Zustand der Erde - wie wir (alle?) wissen, nicht zu ihrem besten.
Zwischen diesen beiden existentiellen Gefährdungen allen Lebens auf unserem Planeten, dem schnellen Nuklearen Winter und den allmählich sich steigernden gesetzmäßigen Naturreaktionen, sortieren sich die vielen sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Prozesse, wo ebenfalls viele Zeiger ins Negative tendieren: die Multikrise der menschlichen Zivilisation. Besonders dramatisch ist die Abwärtsbewegung im Sektor internationaler Politik. Im Negativszenario von 2018 war bereits folgendes im Blick: die „Eskalation eines Regionalkonflikts zu einem Weltkrieg“. Die Regional-Kriege haben wir schon, und dort setzen die unmittelbaren Akteure und ihre jeweiligen Unterstützer auf militärischen Sieg, lehnen substantielle Verhandlungen explizit ab, und Deutschland finanziert und munitioniert die zerstörerischen Eskalationen.
Um der Unerbittlichkeit und Komplexität der weltgesellschaftlichen Multikrise entgegenzutreten, braucht es zweierlei, Entschlossenheit und einen angemessen differenzierten Zugang. Zu beidem liegt nun speziell im Themenfeld Sicherheit & Frieden ein Beitrag vor, der zugleich die Verflechtung mit anderen Politikbereichen in den Blick nimmt, wie schon im 2018er Szenario. Die Initiative „Sicherheit neu denken“ hat ihr „Impulspapier 4“ vorgelegt: „Sicherheits-Strategien neu denken: Gewalt stoppen und überwinden! In Israel und Palästina. In der Ukraine. Global.“
Vom Ende her denken
Aktuell geht es darum: Wie können wir dazu beitragen, aus den Kriegen heraus zu friedlichen Konfliktlösungen zu kommen? Vom Ende her denken, empfiehlt Friedrich Glasl. Konzeptionell geht es mittel- und langfristig um eine „sicherheitsbezogene Friedenspolitik“ - die Friedensbewegung anerkennt, dass ein Umstieg in der Übergangsphase beides verstehen und steuern muss, die noch-Gewaltlogik degressiv und die schon-Friedenslogik progressiv.
Aus der Sicht des traditionellen und offiziellen militärbasierten Sicherheitsverständnisses geht es um eine „friedensorientierte Sicherheitspolitik“; sie ist neu auszurichten auf das Ziel, die militärische Komponente kontinuierlich zu reduzieren und schließlich zu überwinden, ohne dass es unterwegs zu Sicherheitslücken in diesem Verständnis kommt. Die Umstiege in der Energie von fossil zu regenerativ oder im Strafrecht hin zu Resozialisierung stehen modellhaft Pate.
Dieser Transfer-Ansatz will also erstens sicherheits- und friedenspolitische Anregungen geben. Zweitens geht es darum, die Verflechtung von Rüstung und Krieg mit den anderen Krisenprozessen zu thematisieren und daraus zu entwickeln: Wie kann die Friedensbewegung zur Lösung der Multikrise beitragen? Deshalb wendet sich der Text auch an diejenigen, die auf ihren Baustellen der Ökologie, der Gerechtigkeit, der Freiheit arbeiten. Er will beitragen zu einem strategischen Prozess, verstanden als Gemeinschaftsaufgabe, an der vielerorts bereits viele konstruktiv arbeiten. Er bringt friedenslogische Überlegungen ein - gespannt auf Resonanz und Vernetzung.
Das Papier strebt somit eine doppelte Sprechfähigkeit an: gegenüber dem Politikbetrieb und zu den Menschen, die sich da auskoppeln (mit ihren jeweiligen Medienwelten …): Die Zeichen der Zeit verlangen einen Politikwechsel in vielen Feldern.
Inklusive Sicherheitsarchitektur
Was also ist die Zeitansage? Wenn weltweite Kooperation das Gebot der Stunde ist, ist die Herstellung friedlicher globaler Verhältnisse der Schlüsselprozess. Wenn Kooperation miteinander nicht gleichzeitig einhergehen kann mit Blockbildung und Hochrüstung gegeneinander, ist eine inklusive Sicherheitsarchitektur mit den USA, mit Russland, mit China und allen anderen neuen Mächten zusammen zu entwickeln. Wenn Europa sich seine koloniale Geschichte, seine geografische Lage und seine möglichen Zukünfte vergegenwärtigt, wird es seine Perspektive in dieser Richtung finden. Wenn dieser Weg eingeschlagen wird, werden Tausende von Rüstungsmilliarden Schritt für Schritt sinnlos und frei für die wirklichen Aufgaben der Menschheit und für die Bedürfnisse der Menschen.
Das Gegenbild zeigt Claudia Major, Stiftung Wissenschaft und Politik, eine Dystopie, bei der man nicht weiß, was sie noch als wissenschaftliche Prognose oder schon als politische Ansage versteht: „Die neue Sicherheitsordnung in Europa wird für lange Zeit nicht mehr kooperativ-integrativ zusammen mit Russland funktionieren, sondern ohne oder sogar gegen Russland …(es) ist auch die Zeit endgültig vorbei, in der sich Krieg und Frieden sauber trennen und Konflikte klar begrenzen ließen. Eine neue Ordnung muss anerkennen, dass Europa in permanenten Auseinandersetzungen steht, sei es mit Russland oder China. Dabei wird der Konflikt auf alle Lebensbereiche ausgeweitet und nicht mehr nur militärisch geführt …“ (24.3.22, 9:02 Zeit Online)
Dem entgegen setzt das Impulspapier auf das Zielbild einer zusammenwachsenden Menschheit, die mittels Rüstungsbegrenzung, Konfliktlösung, Interessenausgleich und fairem Wirtschaftsaustausch zusammenwächst, um kooperativ ihre nicht unerheblichen Probleme zu lösen - vor denen alle gleich sind, spätestens im Untergang. Impulse in diese Richtung zu setzen, ist die Chance, die Aufgabe und die Möglichkeit Europas.
Aktuell ist es dringlich, sich bei Freund und Feind für den Spurwechsel aus dem Krieg zu Verhandlungen einzusetzen, in der Ukraine, in Israel-Palästina und den vielen anderen bereits kriegerischen Konflikten.
Die Konzeptpapiere der Bundesregierung bilden das offizielle Gegenüber, namentlich die Nationale Sicherheitsstrategie und die China-Strategie. Diese Texte enthalten einige historische und wissenschaftliche Ansätze, auf die man sich positiv beziehen kann. Insgesamt sind sie in ihren Konsequenzen unzureichend und weiterzuentwickeln bzw. zurückzuweisen. Würden sie umgesetzt wie beschrieben, verschärften sie die Multikrise und erschwerten sie Lösungen. Sie sind Teil des Problems wie die ganze sogenannte Zeitenwende.
Eine erfreuliche Feststellung kommt aus der Geschichtswissenschaft. Dort ist man sich einig, dass „Zeitenwenden“ nicht proklamiert, sondern von der historischen Zunft in angemessenem zeitlichen Nachlauf festgestellt werden …
Siehe: www.sicherheitneudenken.de/