Syrien

Türkisches Störfeuerwerk und Deutschlands Beitrag

von Ulrich Cremer
(c) uwe_hiksch

Je einiger sich Russland und USA im Syrienkonflikt werden, desto größer werden die Spannungen zwischen Washington und Ankara, das sich immer mehr zu dem Hauptstörfaktor für eine Lösung entwickelt. Auch das Verhältnis zwischen oppositionellen Rebellenmilizen und Washington verschlechtert sich.

Einig sind sich Washington und Moskau, dass der Krieg gegen Terrororganisationen in Syrien weitergeführt werden soll. Dabei wird die Al Nusra (als syrische Al Qaida-Filiale) als solche eingestuft. Russland darf diese weiterhin bombardieren. Dissens besteht aber bisher bezüglich der Gruppen, die mit Al Nusra Seite an Seite kämpfen und zusammenarbeiten: „Nusra-Brigaden sind an vielen Fronten Teil von Allianzen mit Rebellenbrigaden. ... Es wäre demnach auch schwer zu prüfen, ob ein etwaiger Luftangriff eine Verletzung der Waffenruhe darstellt.“ (1) Die FAZ zitiert einen „Leutnant Abu Iskandar al Daher aus der oppositionellen Freien Syrischen Armee“: „Die Nusra-Front sei in Aleppo präsent, im nördlichen Umland des früheren Wirtschaftszentrums, in der Provinz Idlib, im Umland der Stadt Hama und auch im Umland der Hauptstadt Damaskus. In diesen Regionen, fürchtet er, würden gemäßigte Brigaden es womöglich gar nicht wagen, die Bedingungen für einen Waffenstillstand zu akzeptieren und sich von den kampfstarken Dschihadisten zu distanzieren – aus Angst vor deren Rache, die womöglich größer sei als die Furcht vor den russischen Jagdbombern.“ (2)

 

Washington als Schutzmacht der syrischen Kurden

Die US-Regierung scheint die Geduld mit diversen Rebellengruppen zu verlieren. Der im türkischen Gaziantep residierende General der Freien Syrischen Armee (FSA) Abdul Jabbar al-Oqaidi bewertet den Entfremdungsprozess so: „Während die FSA die Türken ‚noch‘ als Freunde wahrnimmt, werden die USA noch nicht als Feind gewertet. Aber Verbündete seien sie auch nicht mehr, sagt General Abdul Jabbar al-Oqaidi.“ (3)

Denn die USA sind inzwischen zur Schutzmacht der syrischen KurdInnen mutiert. Diese sind für Washington unverzichtbarer Partner im Krieg gegen den IS. Dafür nimmt die US-Regierung nicht nur die Verstimmung der verschiedenen Rebellengruppen, sondern auch den Konflikt mit Ankara in Kauf.

Seit Kobane unterstützt die US-Luftwaffe den Vormarsch der YPG-Milizen in Nordsyrien. An deren Seite kämpfen inzwischen auch einige Tausend arabische Rebellengruppen. Dieses auf Initiative der USA zustande gekommene Bündnis firmiert unter dem Label „Syrische Demokratische Kräfte“ (SDF = Syrian Democratic Forces). Es besteht aus insgesamt 55.000 KämpferInnen, darunter 51.000 KurdInnen. (4) Die SDF werden nicht nur aus der Luft unterstützt und mit Waffen versorgt, sondern die in Nordsyrien anwesenden US-Militärberater sind auch bei Operationen vor Ort dabei. (5)

Die Nachhaltigkeit der Zusammenarbeit ist auch daran zu erkennen, dass die USA inzwischen Luftwaffenstützpunkte im kurdisch kontrollierten nordsyrischen Gebiet errichten. (6) Damit wäre die US-Luftwaffe nicht mehr auf den türkischen Stützpunkt Incirlik angewiesen. Der türkische Außenminister Cavusoglu drohte nämlich bereits, „den USA die Nutzung ... wieder zu entziehen. ‚Es gibt keine Entschuldigung für die Verbindungen der USA zu einer Terrororganisation, die die Türkei angreift‘, sagte Ministerpräsident Davutoglu.“ (7)

Jedenfalls: Die USA haben sich in Syrien selbst inzwischen ebenso festgesetzt wie Russland.

Ankara: „Schutzzone“ statt Rojava

Genau diese mit den USA verbündeten YPG-Milizen werden seitens der Türkei militärisch bekämpft. Strategisches Ziel Ankaras ist dabei, einen zusammenhängenden kurdischen Landkorridor an der türkischen Grenze zu verhindern. Dem dienen die Errichtung von Flüchtlingslagern auf syrischem Territorium und die damit einhergehende Forderung nach Einrichtung einer „Schutzzone“. Diese stellt man sich so vor:

Wir müssen die syrische Opposition unterstützen, damit sie ihr Gebiet kontrollieren kann. Dieses Gebiet könnte in eine Sicherheitszone verwandelt werden ... Wenn der Westen nicht in die PKK in Syrien investieren würde, könnte deren Herrschaftsgebiet eine Sicherheitszone sein.

Am Boden wäre die syrische Opposition zuständig, aber sie brauchte Unterstützung aus der Luft. Wenn Russland nicht mehr bombardiert, kann es eine Sicherheitszone geben. Nur erfordert das eine klare politische Positionierung Amerikas, der Europäer und der Türkei. ... Ohne eine militärische Faust, wenigstens als Teil einer politischen Position, sollte niemand erwarten, dass sich etwas ändert.“ (8)

Die Schutzzone soll also nicht nur aus ein paar Quadratkilometern bestehen, sondern am Ende die gesamte von den KurdInnen besiedelte bzw. kontrollierte Region („Rojava“) umfassen.

Bei den Bündnispartnern zum Erreichen der eigenen Ziele ist Ankara nicht zimperlich: „Die Nusra-Front ist auch sehr wirksam, es sind erbitterte Feinde des IS und Assads. Warum unterstützt man sie nicht? Wir werden dem nicht tatenlos zusehen.“ (9)

Nur pro forma ist die Türkei Mitglied der westlichen Anti-IS-Allianz geworden. Sie unterstützt die oppositionellen Rebellen seit 2011 logistisch, mit Waffen, möglicherweise sogar mit Giftgas. (10) Sie war und ist beliebtes Transitland für islamistische Kämpfer, die sich erst der Al Nusra und später dem IS anschlossen. Große Mengen Öl fanden ihren Weg vom IS-Gebiet in die Türkei. Bis heute gibt es offenbar direkte Zusammenarbeit mit dem IS – sowohl beim Bürgerkrieg in der Türkei als auch auf syrischem Territorium. Das belegen Aussagen gefangengenommener IS-Kämpfer. (11)

Im Februar besuchte der US-Sondergesandte McGurk Kobanê, woraufhin einmal mehr der US-Botschafter in Ankara einbestellt wurde. “‘Wie können wir euch trauen?‘, fragte Erdoğan die US-Regierung. ‚Bin ich euer Partner oder sind es die Terroristen in Kobanê?‘“ (12)

Merkel unterstützt Ankaras Syrien-Politik

In Tradition des deutschen Kaiserreichs pflegt Deutschland heute wieder ein Bündnis mit der Türkei. Das osmanische Reich stieg nach dem Abgang Bismarcks und dem damit verbundenen Bruch mit dem russischen Zarenreich zu dem deutschen Partner im Osten auf und kämpfte im 1. Weltkrieg an der Seite Deutschlands, das damals nicht nur die Augen vor dem Völkermord an den Armeniern verschloss, sondern in Form von Militärberatern und politischen Funktionsträgern aktiv mitmischte. (13)

Über 100 Jahre später stehen die gesamte EU auf der Seite Deutschlands. Sie hat im Herbst 2015 beschlossen, die Türkei mit drei Milliarden Euro zu unterstützen. Dafür soll die Türkei syrische Flüchtlinge an der Flucht in die EU hindern. Inzwischen ist der Preis sogar gestiegen. Solange die Flüchtlingsabwehr oberste Priorität der EU und Deutschlands ist, hält Ankara alle Trümpfe in der Hand: „Die Berliner Verhandlungsposition ist in Wirklichkeit so schwach, dass die Forderung der Opposition, man möge den Türken wegen der Kurden und der Menschenrechte die Leviten lesen, weltfremd ist.“ (14)

Es gibt keine offiziellen deutschen Hilfsprojekte im kurdischen Rojava-Gebiet. Wie die Türkei unterstützt Deutschland (nur) die irakischen KurdInnen politisch, mit Waffen und Militärausbildung, sogar bei der Vorbereitung einer Staatsbildung. An die syrischen KurdInnen ist weder eine Waffe, noch ein Arzneimittel oder eine Yoga-Matte geliefert worden.  (15)

Unter den EU-Staaten spielt Deutschland an der Schutzzonenfront eine verbale wie praktische Vorreiterrolle. Merkel sprach sich wiederholt „für eine Flugverbotszone aus, in der zum Schutz der Flüchtlinge keine Luftangriffe geflogen werden sollten. ‚Das wäre ein Zeichen des guten Willens.‘“ (16) Das deutsche THW wurde zur Unterstützung der Flüchtlingslager auf syrischem Territorium in die Region entsandt. Diese Flüchtlingslager sind für die Türkei als Protoschutzzone ein wichtiges Faustpfand gegen die syrischen Kurden.

Voraussetzung für eine Lösung des Syrienkonflikts bleibt, dass die USA und Russland ihre jeweilige Klientel disziplinieren. Der russischen Regierung scheint das immerhin zu gelingen. Die US-Regierung hat offenbar erheblich größere Schwierigkeiten. Denn die deutsch-türkische Achse ist ein Störfaktor bei der Lösung des Syrienkonflikts. Der Beitrag, den Deutschland zur Lösung in Syrien leisten könnte und sollte, besteht zuallererst darin, die Kumpanei mit Ankara zu beenden. Anderenfalls wird die Erdogan-Regierung noch zu weiteren abenteuerlichen Eskalationsschritten ermutigt, sei es der Einsatz eigener Bodentruppen oder die Sperrung der Dardanellen für russischen Nachschub nach Syrien.

 

Anmerkungen

1 Christoph Ehrhardt: Nach dem Drehbuch Putins, FAZ 24.2.2016

2 ebda

3 Freie Syrische Armee – Von aller Welt verlassen“, taz 9.3.2016

4 Thomas Schmidinger: Afrin and the Race for the Azaz Corrido, Atlantic Council 23.2.2016

5 „On the road to retake Raqqa, U.S.-backed forces have surrounded key Syrian town, Pentagon chief says“, Washington Post 25.2.2016

6 http://www.imi-online.de/2016/03/07/syrien-us-militaerbasen/

7 Frank Nordhausen: Türkei erkennt Attentäter nicht an, FR 22.2.2016

8 Interview mit Tahan Özhan, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im türkischen Parlament, in: FAZ 29.2.2016

9 ebda

10 Fabian Köhler: Wer steckt hinter dem syrischen Giftgas-Angriff? http://www.heise.de/tp/artikel/46/46414/1.html – Englisch-sprachige Quelle: http://www.counterpunch.org/2015/10/23/hersh-vindicated-turkish-whistleblowers-corroborate-story-on-false-flag-sarin-attack-in-syria/

11 Elke Dangeleit: Pentagon wendet sich von Erdogan ab, Telepolis 12.03.2016 http://www.heise.de/tp/artikel/47/47674/1.html

12 http://www.sueddeutsche.de/politik/kampf-gegen-den-is-erdoan-usa-muessen-sich-zwischen-tuerkei-und-kurden-entscheiden-1.2853914, gefunden 8.2.2016

13 Vergl. hierzu: Jürgen Gottschlich: Das deutsche Kaiserreich und der Völkermord an den Armeniern, 2015

14 Nikolas Busse: Schwache Position, FAZ 23.1.2016

15 Vergl. hierzu: http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/syrienkrieg-tuerkei-und-kurd...

16 http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/tuerkei-konkretis...

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Rubrik

Krisen und Kriege

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Uli Cremer ist Mitglied in der Grünen Friedensinitiative.