Weltstrategien

USA wollen „Global Leadership“ verewigen

von Knut Mellenthin

Zehn Jahre nach dem 11. September 2001 führen die USA, teilweise gemeinsam mit ihren NATO-Verbündeten, Krieg in Afghanistan, Pakistan, Somalia und Jemen. Aus dem Irak haben sie sich im vorigen Jahr zurückgezogen, die Intervention in Libyen dauerte nur einige Monate, dafür drängt es viele westliche Politiker zur Entsendung von Streitkräften nach Syrien. In Afghanistan wollen die USA noch mindestens bis zum Jahr 2024 mit mehreren Tausend Soldaten – einige US-Politiker und -Militärs wünschen sich eine Zahl über 20.000 – präsent bleiben und über strategisch wichtige Stützpunkte verfügen. Hinzu kommen etliche kaum registrierte Schauplätze wie beispielsweise die Philippinen, wo US-Soldaten bei der Bekämpfung muslimischer Aufständischer behilflich sind. Auch in Afrika beginnt das US-Militär in Gestalt von „Ausbildern“ und „Beratern“, in immer mehr Ländern Fuß zu fassen. Von Stützpunkten in Dschibuti, Äthiopien, auf den Seychellen-Inseln im Indischen Ozean und an einem unbekannten Ort auf der arabischen Halbinsel aus setzten das Kommando für Spezialoperationen und der Auslandsgeheimdienst CIA unbemannte Flugkörper, sogenannte Drohnen, gegen Jemen und Somalia ein.

Keinen dieser Kriege hat die US-Regierung formal erklärt. Die meisten von ihnen laufen unter dem Label des „War on Terror“ oder werden propagandistisch mit diesem vermengt, um sie wirkungsvoller rechtfertigen zu können. Der „Krieg gegen den Terror“ hat aus imperialistischer Sicht einen entscheidenden Vorteil gegenüber allen früheren militärischen Auseinandersetzungen: Er ist zeitlich und räumlich absolut unbegrenzt. Er hat keine präzis definierbaren Gegner und kennt keine auch nur halbwegs eindeutigen Kriterien für Sieg oder Niederlage. Terrorismus wird es noch auf eine unabsehbar lange Zeit geben. Die immer aggressivere Strategie des westlichen Militärbündnisses trägt sogar wesentlich zu seiner Verstetigung und territorialen Ausbreitung bei. Daher könnten die USA ihre unter dem Arbeitstitel „War on Terror“ zusammengefassten Militäroperationen noch jahrzehntelang fortsetzen, ohne dass ihnen die Gegner ausgehen würden.

Der „War on Terror“ ist schon jetzt nach dem Vietnamkrieg die zweitlängste militärische Konfrontation in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Trotz seiner außergewöhnlichen Länge und seiner geographisch ausgedehnten Schauplätze ist dieser Krieg jedoch für die US-amerikanischen Streitkräfte sehr viel weniger verlustreich als frühere militärische Konfrontationen: In sämtlichen seit 2001 geführten Militärkonflikten haben sie bis Mitte Juni dieses Jahres knapp 6.500 Soldaten durch Tod verloren, davon rund 4.400 im Irak. Zum Vergleich: In den Vereinigten Staaten sterben jährlich 15.000 bis 17.000 Menschen durch Gewaltverbrechen. Von den aktiven Soldaten der US-Streitkräfte enden derzeit mehr durch Selbstmord als durch Tod im Kampfeinsatz.

Vergleichsweise – relativ zu Erfahrungen der Vergangenheit - geringfügige Verluste der eigenen Streitkräfte, wie gegenwärtig im „War on Terror“, senken eindeutig die Schwelle für den Beginn und die Fortführung militärischer Operationen. Verstärkt gilt das für Konflikte, in denen die USA fast ausschließlich mit Angriffen aus der Luft operieren und so gut wie gar keine eigenen Kräfte am Boden einsetzen, wie in Pakistan, im Jemen, in Somalia und im vorigen Jahr in Libyen.

Verglichen mit früheren Kriegen, an denen die USA beteiligt waren, ist die Personalstärke ihrer Streitkräfte im zehnten Jahr des „War on Terror“ auffallend gering. Rund 1,45 Millionen Männer und Frauen befanden sich nach offizieller Zählung am 31. März dieses Jahres im aktiven Militärdienst. Seit 1940 – dem letzten Jahr vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg – hatten die Zahlen nur zwischen 1996 und 2001 – nach dem Ende der Sowjetunion und des von ihr angeführten Militärpakts – etwas niedriger gelegen. Zwischen 1975 und 1990 hatten die USA nie weniger als zwei Millionen aktive Soldaten, 1970 während des Vietnamkriegs waren es sogar über drei Millionen und bei Kriegsende 1945 rund zwölf Millionen.

Wenig Betroffenheit
Diese Zahlen unterstreichen, dass der „War on Terror“ die US-amerikanische Gesellschaft vergleichsweise wenig belastet, wenn man von den finanziellen Kosten einmal absieht. Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass auch künftige US-Regierungen den Krieg noch viele Jahre lang auf gleichem oder sogar ausgeweitetem Niveau fortsetzen könnten, ohne dass es auch nur zu relevanten öffentlichen Debatten oder gar breiten Protesten im eigenen Land kommen würde. Anders als während des Vietnamkriegs (in der zweiten Hälfte der 1960er und den ersten 1970er Jahren), des ersten Irakkrieges (1991) oder auch noch vor dem zweiten (2003) bleibt ethische Kritik am militärischen Massenmord auf eine sehr kleine Minderheit beschränkt, erreicht die Mainstream-Medien nicht und drückt sich kaum in Straßendemonstrationen aus. Das gilt nicht nur für die USA, sondern für den Westen insgesamt.

Dabei gehört der „Krieg gegen den Terror“ zu den stärksten intellektuellen Zumutungen, die sich die westliche Gesellschaft jemals gefallen ließ: „Al-Qaida und ihre Ableger“, in allen amtlichen Gefahrenanalysen der US-Administration die Nummer Eins, stellt in Wirklichkeit keine relevante Bedrohung für die Bevölkerung der USA dar. Einer Statistik des State Department zufolge starben im Jahre 2011 lediglich 17 US-amerikanische „Privatbürger“ durch Terroristen, davon 15 in Afghanistan und je einer in Israel und im Irak, aber nicht ein einziger in den USA. Ein Jahr zuvor waren es 13 in Afghanistan, je einer im Irak und in Uganda, und ebenfalls keiner auf dem Boden der Vereinigten Staaten. Gleichzeitig aber sterben durch den „War on Terror“ in jedem Jahr Hunderte westliche Soldaten und Tausende örtliche Aufständische und Nicht-Kombattanten. Allein die USA haben dafür inzwischen mehr als eine Billion Dollar ausgegeben.

Wem es nützt
Irrational ist das gigantische Militärunternehmen aus Sicht der Mächtigen dennoch nicht: Schließlich spült das, was als „Krieg gegen den Terror“ verkauft wird, zuverlässig Milliarden von Dollar in die Kassen der Rüstungsunternehmen und legitimiert immer noch massenwirksam einen „Verteidigungshaushalt“, der ungefähr den Ausgaben der gesamten übrigen Welt entspricht. Darüber hinaus verschafft er den USA auch einen weiteren entscheidenden Vorteil gegenüber allen potentiellen Konkurrenten: Sie sind die einzige Großmacht, die über Streitkräfte im permanenten Einsatz verfügt und die sowohl ihre Militärtaktik als auch ihre Waffentechnologie aufgrund realer Erfahrungen weiterentwickeln kann. Das ist letztlich wesentlich wichtiger als die politische Frage, ob die Kriege im Irak oder in Afghanistan für die USA ein „Erfolg“ waren – was sie vordergründig  betrachtet gewiss ganz und gar nicht waren.

Der US-Imperialismus kämpft um die Durchsetzung und Behauptung seiner „Global Leadership“, seiner ungeteilten Vorherrschaft überall und auf allen Gebieten. Der „War on Terror“ ist selbst ein Instrument dieser „Leadership“, weil er einen jahrelangen Rahmen bietet, die Unterordnung anderer Staaten, nicht nur des Westens, unter die USA zu verstärken. Gleichzeitig wird das Militär von immer mehr Ländern an die Standards der US-Streitkräfte angepasst und zunehmend mit diesen vernetzt.

Der Krieg gegen Iran, auf den Obama zusteuert und den im Fall eines republikanischen Wahlsieges selbstverständlich auch sein Konkurrent Mitt Romney führen würde, ist voraussichtlich die letzte militärische Konfrontation in der Reihe, die mit dem ersten Irakkrieg 1991 gleich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des von ihr dominierten Bündnisses begann. Der Feind der Zukunft, gegen den sich letzten Endes der gesamte Aufwand richtet, ist China. 

Das Stichwort ist: Schwerpunktverschiebung der US-Globalpolitik auf den Pazifik und auf die an China grenzenden Regionen in den kommenden Jahren bis etwa 2020. In einer Rede an das australische Parlament verkündete Präsident Barack Obama am 16. November 2011, er habe „eine wohlbedachte strategische Entscheidung getroffen: „Während wir die heute geführten Kriege beenden, habe ich mein Nationales Sicherheitsteam angewiesen, unsere Präsenz und unsere Missionen im asiatischen Pazifik zur Top-Priorität zu machen. Infolgedessen werden Kürzungen unserer Verteidigungsausgaben nicht – ich wiederhole nicht – auf Kosten des asiatisch-pazifischen Raums gehen.“

Diese Entscheidung ziele nicht darauf ab, China zu isolieren. Sie sei jedoch „ein unmissverständliches Signal“, dass in den USA die Besorgnis gegenüber den chinesischen Absichten im Wachsen sei. Seine Regierung sei zwar daran interessiert, mit der Volksrepublik noch stärker als bisher sowohl auf wirtschaftlichem als auch auf militärischem Gebiet zusammenzuarbeiten. Zugleich werde sie aber deutlich Meinungsverschiedenheiten in Themen wie den Menschenrechten und in Sicherheitsfragen, beispielsweise über die Lage im Südchinesischen Meer, an- und aussprechen.

Die USA begrüßten zwar den Aufstieg Chinas, sagte Obama, aber nur unter der Voraussetzung, „dass sie sich an die Verkehrsregeln halten“. „Es gibt Zeiten, wo sie das nicht tun. Dann werden wir ihnen eine klare Botschaft senden, dass sie in die Fahrspur zurückkehren müssen, was das Akzeptieren der Regeln und der Verantwortungen als Weltmacht angeht.“

Die Ambition des US-Imperialismus, die „Verkehrsregeln“ in der Welt nicht nur allein zu bestimmen, sondern auch durchzusetzen, lässt sich jedoch angesichts der expandierenden Wirtschaftskraft Chinas nur noch mit militärischen Mitteln verfolgen. Rein ökonomisch betrachtet sind die USA beim Wettstreit um die Weltherrschaft bereits gescheitert.

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Knut Mellenthin ist (Jg. 1946) ist freier Journalist und lebt in Hamburg.