Vielleicht kommt der Deal mit Out-of-area erst noch?

von Andreas Buro

Wie das Leben so spielt. Was als Debatte um den Einsatz der Bundes­wehr out-of-area, also außerhalb des Vertragsgebietes der NATO, begann, endet bei der Verantwortung der Deutschen für die Läufe der Welt, die per Blauhelme wahrzunehmen sei. Das gilt nicht etwa nur für die SPD mit ihrem Bremer Beschluß, sondern auch für die vielen Diskussionen der Friedensbewegung.

Wie durch ein geheimes Einverständnis richtet sich alles Augenmerk auf die Blauhelme. Die eigentliche Problematik, daß die nun große Bundesrepublik nach 2+4 + Vereinigung + Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte die „Normalisierung nationaler Militärsouveränität“ auf die Tagesordnung setzt, verschwindet dahinter fast. Nicht, daß der Bundesregierung an Blauhelmen nicht gelegen sei, natürlich, warum eigentlich nicht, aber wer wird sich darüber hinwegtäuschen, daß die Blauhelme nur Spielmaterial sind für die Er­reichung höherer Ziele deutscher Souveränität! Mit Spielmaterial wird man solchen Ambitionen nicht beikommen können.

Oskar Lafontaine hat die Problematik auf den Punkt gebracht, indem er sagte: „Ich habe mich überzeugen lassen, daß dies (gemeint ist die schließliche Vorlage des Vorstandes der SPD auf dem Parteitag) eine Verbesserung der gegenwärtigen Lage ist.“ (taz 31.5.91). Ohne eine Änderung des Grundgesetzes bestünde die Gefahr, daß das Verfas­sungsgericht auch militärische Einsätze zulasse. Das ist klug gedacht, nur in welcher Welt leben wir denn? Gibt es irgendjemanden im Parteivorstand, der glaubt, die Regierungskoalition würde sich auf eine solche Grundgesetzänderung einlassen, in der auch noch ausdrücklich das, was sie so dringend will, ein für alle Mal ausgeschlossen wird? Da lachen ja die Hühner und vielleicht auch ein erheblicher Teil des Parteivorstan­des, der, um Bündnis- und Regierungsfähigkeit der SPD bangend, sich stets ausdrücklich für den Kampfeinsatz der Bundeswehr out-of-area zumindest im Rahmen von UN-Maßnahmen eingesetzt hat.

Zweifellos hat der Beschluß des Parteitages eine jetzige schnelle und vorgezogene Änderung des Grundgesetzes im Sinne der Regierungskoalition ausgeschlossen. Ließe sich die Bundestagsfraktion trotzdem auf solches Spiel ein, verlöre sie in den sozialen Bewegungen jegliche Glaubwürdigkeit, was sich die SPD nicht leisten kann. Doch da sind andere Wege in Sicht. Der eine wird bereits munter beschritten. In Abwandlung des berühmten Wortes von Egon Bahr könnte man von „Wandel durch Praxis“ sprechen. Step by step wird die Aktivität der Bundeswehr ausgebaut, und zwar nicht ohne Geschick für die public-relation-Seite. Sind doch unsere Jungens so hilfreich beim Räumen der Minen mit ihren schmucken Booten. Schließlich geht es doch im Golf - out-of-area hin, out-of-law her - um die Sicherheit der internationalen Schiffahrt. Könnte doch jeder von uns bei einer Kreuzfahrt im Golf auf eine solche Mine laufen. Zur humanitären Hilfe für die Kurden werden Soldaten der Bundeswehr nicht etwa in der Türkei, die leider nach wie vor zum NATO-Gebiet gehört, eingesetzt, sondern out-of-area im Iran. Was für glückliche Zufälle, die zu Präzedenzfällen werden! Wir dürfen sicher sein, dem Verteidigungsminister werden noch weitere gute Ideen dieser Art kommen.

Der andere Weg, um sich von den die 2/3-Mehrheit regierenden Sozialdemokraten zu befreien, fällt unter die Rubrik „soziales Lernen von Politikern“. Noch im März 1991 schrieb das CDU-nahe Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung in einer internen Studie: „Unabhängig von der faktischen Rechtslage hat die Festlegung sämtlicher Bundesregierungen auf die restriktive Auslegungsvariante des Grundgesetzes eine eigene 'Realität' geschaffen, die nicht durch einfache Reinterpretationen getilgt werden kann.“ Eine bewundernswert demokratisch fundierte Aussage, die zusätzlichen Nachdruck dadurch erfährt, daß die Bundesregierung während des Golfkrieges gerade mit dem Hinweis auf die restriktive Verfassungsinterpretation jeglichen Einsatz deutscher Streitkräfte abgelehnt hat. Nun aber beginnt das große Vergessen zwecks Uminterpretation des Schnees von gestern. Ruppert Scholz, Ex-Verteidigungsminister, marschiert an der Spitze des Zuges und klammheimlich folgen ihm schon immer mehr nach. Wen wundert das, vertritt doch gerade die Regierungskoalition stets unsere grundlegenden privat-innovatistischen Werte in der Gesellschaft. Bedenklich stimmt dagegen die Aussage aus SPD-Führungskreisen, es sei doch höchst zweifelhaft, wie sich das Verfassungsgericht in seiner Interpretation des Grundgesetzes in dieser Frage schließlich entscheiden würde. Heißt das etwa, man würde den schicken Umgehungsstrategien bestenfalls verbalen Protest entgegensetzen, während man andererseits so zwischen Gesichtserhalt und Realpolitik einen Weg finden könnte?

Blickt man in die Zukunft, so läßt sich noch ein anderer Weg grundgesetzlicher Änderung erblicken. Wie immer auch, eine Änderung oder stellenweise Neuformulierung des Grundgesetzes steht ins Haus. Auch die linke Opposition und die sozialen Bewegungen sind daran interessiert, wie man an dem neuen Verfassungsentwurf sieht, der von diesen Seiten her am 15./16. Juni 91 in der Frankfurter Paulskirche vorgestellt worden ist. Dabei wird es um die Aushandlung vieler Kompromisse gehen. Pakete sind zu schnüren und Deals zu machen. Wie groß mag die Versuchung sein, Ombudsmänner gegen gut verpackte out-of-area-Optionen einzutauschen. Da wird die politische Differenz zwischen Partei und Fraktion eine Rolle spielen.

Freilich würden bei solchen Versuchen zwei schwergewichtige Prinzipien demokratischer Politik in Frage gestellt: Ist die Politik der BRD an demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze gebunden oder dient das Grundgesetz nur als Legitimationsfassade, die nach Opportunität vorgehängt oder abgenommen wird? Und, begreift die Bundesrepublik ihre neue Rolle als tendenzielle Großmacht im Rahmen der EG als Chance für eine neue internationale Politik der Kooperation, die sich der Lösung der Probleme widmet, an denen diese Welt zugrunde zu gehen droht?

Frage:

Wie stehen Sie zum Einsatz der Bundes­wehr auch außerhalb des NATO-Geltungsbereiches?

A.: Die Bundeswehr soll grundsätzlich weltweit dort zum Einsatz kommen können, wo es notwendig ist.

B.: Nur in Ausnahmefällen, etwa im Rahmen von UNO-Friedenstruppen zur Sicherung eines Waffenstillstands, soll die Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes zum Einsatz gelangen können.

C.: Die Bundeswehr soll nur innerhalb des NATO-Geltungsbereiches zum Einsatz kommen können.

D.: Ein Einsatz der Bundeswehr, gleich wo und unter welchen Umständen, wird grundsätzlich abge­lehnt.

Erhebungszeitraum: März 1991

In dem Bremer Beschluß der SPD, der sicher manches positive Element enthält, so z.B. wenn ein Friedenskorps gefordert wird, fehlt die Perspektive zu einer anderen internationalen Politik, die nicht für und für neue Aufrüstungsschritte und gewaltträchtige Interventionen gebiert. Wo ist der laute Protest gegen die NATO-Eingreiftruppen, die, was immer gesagt wird, nur out-of-area einen Sinn machen? Wo ist wirklich eine Politik der nicht-militärischen Konfliktbearbeitung, konsequent entworfen und zu Ansatzpunkten politischer Aktion ausgearbeitet? Der Beschlußsatz der SPD, „Deutschland wird auf absehbare Zeit Streitkräfte zu seiner Verteidigung brauchen. Ziel ist es, sie überflüssig zu machen.“, kann es doch nicht gewesen sein! Nein, Genossinnen und Genossen, das reicht nicht. Ihr seid aufgefordert, endlich Eure Hausaufgaben zu machen. Die Alternative muß auf den Tisch. Die Blauhelme sind keine.

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