Von Rio über Seattle nach Johannesburg und ...?

von Ulrich Brand
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Nun ist er also vorbei, der "Umweltgipfel", wie er hierzulande genannt wurde. Denn in der Tat ging es "dem Norden" - Regierungen wie NGOs - beim World Summit on Environment and Development in Johannesburg weitgehend um Umweltfragen. Entwicklungspolitische Aspekte wurden weitgehend an den Rand gedrängt. Ein 70-seitiger Aktionsplan wurde beschlossen, und es gab jede Menge diplomatischen Zoff um das, was aufgenommen werden sollte. Eine Bekräftigung des Kyoto-Protokolls zur Emissionsreduzierung der sog. Treibhausgase kam heraus sowie den Verlust an biologischer Vielfalt zu bremsen, das Konsum- und Produktionsverhalten zu verändern. Der Spiegel schrieb in seiner Online-Version, dass das geforderte Verantwortungsbewusstsein Rhetorik blieb: "In Wahrheit regierten jedoch Egoismus und knallharte Wirtschaftsinteressen diesen Gipfel der Uno."

Die Bundesregierung warf sich für erneuerbare Energien ins Zeug, die ja wirklich hierzulande ein Exportschlager werden könnten. Die USA "lenkte ein" beim Thema Wasser: Bis 2015 soll die Zahl der nicht an Trink- und Abwasser angeschlossenen Menschen halbiert werden. Gute Aussichten in einem 100-Milliarden-Dollar-Markt. Die Unternehmen werden zu sozialen und ökologischem Handeln aufgefordert.

Ans Eingemachte ging es nicht, alles bleibt vage und freiwillig. Die EU war nicht bereit, die Subventionen in der Landwirtschaft zur Disposition zu stellen, wie viele Südländer forderten. Letztere schlugen sich daher bei der Klimafrage auf die Seite der USA. Kein Wunder, denn in der sog. Gruppe der 77, in der sich über 100 Südregierungen auf internationalen Konferenzen koordinieren, setzten sich weitgehend die OPEC-Länder durch. Die WTO und erzwungene Handelsliberalisierungen wurden nicht kritisiert. Man fragt sich, warum dort nicht das vielbeschworene Prinzip der freiwilligen Regeleinhaltung herrscht.

Was bleibt, sind Versprechen (die berühmten 0,7 Prozent bei der "Entwicklungshilfe", die Fischereibestände sollen - "wo dies möglich ist" - wieder vergrößert werden) und unterschiedliche Einschätzungen über den (Miss-)Erfolg. Kofi Annan ist zufrieden, die bundesdeutsche Regierung zum Teil, die NGOs nicht. Der BUND sprach von einem "Gipfel der nachhaltigen Enttäuschung". Allenfalls wurden bestimmte Themen kurzzeitig ins öffentliche Bewusstsein geholt.

Wenn Johannesburg etwas für kritisch-emanzipatorische Kräfte "gebracht" haben soll, dann die Einschätzung, dass ein bestimmtes Politikmodell abgewirtschaftet hat. Solche Treffen wie in Johannesburg sind solange ein Problem, wie sie zum einen symbolisch ein technokratisches Politikverständnis stärken und zum anderen institutionell nicht in der Lage sind, mächtige nicht-nachhaltige Interessen zurückzudrängen.

Das Problem ist also nicht der "fehlende Wille" der Regierungen, sondern der Prozess selbst. Denn in Rio wurde 1992 ein Politiktypus gestärkt, der die gesamten 90er Jahre über dominierte. Ich nenne ihn den "Rio-Typus" von Politik.

"Weltprobleme", die angeblich alle betreffen, werden identifiziert und eine katastrophische Situation heraufbeschworen. Die Welt wird hier weitgehend "von oben" gesehen im doppelten Sinne: Als Planet und vom Nordwesten her. Die "Lösung" wird mitgeliefert: An einem imaginären Runden Tisch sollen alle zusammenkommen und Konsense für "die Menschheit" erreichen. Die Publizistin Christa Wichterich schrieb dazu kürzlich: "Partnerschaft" werde "als Gleitmittel gegen Interessengegensätze und Machtungleichheit gepriesen. Doch sie findet weder auf Augenhöhe statt noch kann sie die wichtigsten Entscheidungen beeinflussen. Dissens wird weichgespült und Kritik handverlesen integriert." Zudem wurden Experten mit ihrem überlegenen (wissenschaftlichen) Wissen im Rio-Typus von Politik dazu auserkoren, die Welt zu retten. Ein "Diskurs der Komplexität" wurde wirkungsmächtig und auch von vielen Nichtregierungsorganisationen akzeptiert.

Diese Denk- und Politikhaltung delegitimierte von Beginn an andere Ansätze. Grundsätzliche Kritik und der Verweis auf gar nicht nachhaltige Interessen von Konzernen und Wirtschaftsministerien wurden mit dem Argument abgebügelt, es sei keine Zeit für so etwas. Und nach "1989" hätten sich die "großen Alternativen" erledigt. Der Sieg der Technokraten in Rio trug, trotz aller Verweise auf die Bedeutung demokratischer Prozesse, zur Entpolitisierung des gesamten Prozesses bei. Die ständigen Verweise darauf, wie komplex alles sei, führte zu paternalistischen Vorgaben, wie eine "nachhaltige Welt" am besten auszusehen habe. Konkrete Lern- und Erfahrungsprozesse sowie widerständige Praxen hatten es schwer.

Und entgegen dem umfassenden Anspruch des Rio-Prozesses, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern, wurde ein Sachverhalt beharrlich ignoriert: Parallel zum Rio-Prozess gewann ein anderer an Fahrt, nämlich jener der neoliberalen Globalisierung und Re-Militarisierung der internationalen Politik. Selbst die beiden völkerrechtlich verbindlichen Rio-Institutionen, die Konvention zu Klima und jene zu biologischer Vielfalt, sind längst zu Instrumenten geworden, um die Natur zu ökonomisieren.

Irgendwie sind die Probleme des "Rio-Typus" von Politik präsent. Es herrscht Unwohlsein bei vielen, die sich vor zehn Jahren oder bereits vorher das Projekt "nachhaltige Entwicklung" auf die Fahnen geschrieben haben.

In Johannesburg haben die Technokraten nochmals Oberwasser behalten. Es gab einige symbolische Show-downs. Jetzt wäre es an der Zeit für eine Neuausrichtung. Die Herrschaftsförmigkeit des Prozesses selbst wäre allgemein und an vielen konkreten Punkten infrage zu stellen. Voraussetzung dafür ist, dem gesamten Prozess seine Legitimität zu entziehen. Nach Johannesburg geht es um eine Perspektive, der zufolge eine nachhaltige Entwicklung nicht ohne handfeste Konflikte mit wirtschaftsliberalen und nordwestlichen-wohlstandschauvinistischen Interessen zu haben ist. Zudem kann ein so weitgehender Anspruch, wie ihn viele Menschen insbesondere in südlichen Ländern mit nachhaltiger Entwicklung verbinden, nicht von Experten und Technokraten durchgesetzt werden.

Das Potenzial ist da: Es mehren sich die Stimmen, etwa von indigenen Völkern und kritischen NGOs, welche die Biodiversitäts-Konvention als legale Biopiraterie bezeichnen. Sie kämpfen für Regeln, welche die Interessen der transnationalen Unternehmen schwächen und ihre eigenen stärken.

Daher kommen die wichtigsten Impulse heute weniger aus den vielen Organisationen, die sich damals in den Rio-Prozess eingeklinkt haben und nun enttäuscht sind. Vielmehr wird unter dem Stichwort "Globalisierungskritik" mehr und mehr sichtbar, dass neoliberale Kräfte nicht dadurch ihr Handeln verändern, wenn man an ihre aufgeklärten Eigeninteressen appelliert oder sie publicity-trächtig freiwillige Vereinbarungen treffen. Gegen das neoliberale Einheitsdenken setzt Kritik an Globalisierung die Anerkennung von Verschiedenheit, unterschiedliche Erfahrungen, gegenseitigen Respekt - und notwendige Konflikte mit herrschenden Kräften. Es ist der "Seattle-Typus" von Politik, der den "Rio-Typ" infrage stellen könnte.

Johannesburg ist also keine "Wasserscheide" oder Konferenz der "verpassten Chancen", sondern der Misserfolg bekräftigt die dringende Suche nach neuen Ansätzen. Wichtig wäre, dass sich diesem Prozess auch umwelt- und entwicklungspolitische Verbände anschließen.

Denn die vielfältigen Krisen sind offensichtlich und für die Mehrheit der Weltbevölkerung alltäglich erlebbar. Um ihnen im Sinne einer umfassenden Friedenspolitik zu begegnen, müssen Strukturen, Kräfteverhältnisse und Politikformen verändert werden. Gesellschaft verändert sich in komplizierten Lern- und Erfahrungsprozessen, in veränderten institutionellen Praxen und anderen Orientierungen. Diskussionen und Reflexionen sind Teil dieser Prozesse. Wird dies nicht gegenüber den technokratischen, neoliberalen und militaristischen Kräften gestärkt, wird sich nicht viel ändern. Denn internationale Treffen wie in Johannesburg werden so lange gegenüber den WTO-, IWF- oder Weltbank-Konferenzen im Hintertreffen sein, solange sich innerhalb der Gesellschaften nicht grundlegend etwas verändert - insbesondere der nördlichen. Die neoliberalen Wirtschaftsminister stechen die "schlechten Gewissen" in den Entwicklungsressorts allemal aus.

Ein besonders aussagekräftiges Bonmot am Ende: Das Thema Flugverkehr wurde in Johannesburg ausgespart. Dafür ist aber die Flugsicherheit zum "globalen öffentlichen Gut" erhoben worden. Der 11. September und die Ängste der globalen Mittelklasse lassen grüßen.

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Ulrich Brand arbeitet an der Universität Kassel am Fachgebiet "Globalisierung und Politik", ist politisch aktiv in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und im wiss. Beirat von Attac.