Vorschläge der IPPNW zu Verhandlungen

Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine

von Angelika Wilmen
Schwerpunkt
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Mit einer Sammlung von Vorschlägen und möglichen diplomatischen Schritten, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden, macht die IPPNW auf Alternativen zu Waffenlieferungen aufmerksam. Der Krieg, der seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands in der Ukraine herrscht, verursacht Leid, Tod und Verwüstung. Mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert, kommen mehr Menschen ums Leben, werden körperlich verletzt oder psychisch traumatisiert. Auch Unzählige der Millionen vertriebenen Menschen leiden an körperlichen und psychischen Schäden, die noch lange nachwirken werden, wenn die eigentlichen Kampfhandlungen längst beendet sind. Hass und Gewalt machen friedliches Zusammenleben zwischen Nachbarn zukünftig immer schwerer. Gegen die Gefahr einer Eskalation hin zu einem Atomkrieg oder zu einem dritten Weltkrieg hilft nur Prävention.

Daher soll nach Ansicht der IPPNW der Fokus von der militärischen Lösung auf eine Verhandlungslösung gerichtet werden. Die Ideensammlung beinhaltet verschiedene Konzepte auf bilateraler, multilateraler, wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene. Das Papier soll einen Beitrag zu einer konsequenten Suche nach friedlichen Mitteln zur Konflikttransformation leisten. Der Text wird fortlaufend aktualisiert und ergänzt und ist bereits in einer vierten überarbeiteten Auflage erschienen. (1)

Bisher haben weder das Warten auf ein militärisches Patt noch Waffenlieferungen oder Sanktionen ein Zeitfenster für Waffenstillstandsgespräche eröffnen können. In jüngster Zeit intensiveren sich die Vermittlungsaktivitäten jedoch wieder. Chinas Präsident Xi Jinping hatte am 24. Februar 2023 einen 12-Punkte-Friedensplan veröffentlicht, in dem ein Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine vorgeschlagen wird, sowie die Aufnahme von Friedensgesprächen. (2) Auch der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva setzt sich vehement für einen Waffenstillstand und eine friedliche Lösung ein. Er kündigte im Februar 2023 an, einen sogenannten „Friedensclub“ zu gründen (3)

Bei einem Telefonat zwischen Chinas Präsident Xi Jinping und Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende April 2023 kündigte Staatschef Xi an, einen Sonderbotschafter in die Ukraine und in weitere europäische Länder zu senden, um über eine „politische Lösung“ Gespräche zu führen. Wie chinesische Staatsmedien berichteten, warnte Xi Jinping in dem Telefonat eindringlich vor einer atomaren Eskalation des Konflikts. Selenskyj erklärte anschließend, für Verhandlungen mit China als Vermittler offen zu sein.

Im März 2022 waren die russischen und ukrainischen Unterhändler einem Friedensabkommen bereits sehr nahegekommen. Die Financial Times berichtete am 16. März 2022, die ukrainischen und russischen Verhandlungsteams hätten „bedeutende Fortschritte bei einem vorläufigen Friedensplan“ gemacht, der einen Waffenstillstand und einen russischen Rückzug vorsah, „wenn Kiew seine Neutralität erklärt und eine Begrenzung seiner Streitkräfte akzeptiert“. Der weitere Kriegsverlauf mit den militärischen Erfolgen der Ukraine, den Zusagen westlicher Staaten für umfangreiche Waffenlieferungen und der damit verbundenen Erwartung, dass die Ukraine siegen könnte sowie das Bekanntwerden von Kriegsverbrechen in Butscha trugen aber dazu bei, dass der Verhandlungsprozess zum Erliegen kam.

Weitere Friedensinitiativen z.B. von der Internationalen Arbeitsgruppe des Vatikans beziehen sich bei ihren Vorschlägen auf den Zehn-Punkte-Plan von Istanbul. Die Gruppe schlug im Juni 2022 einen Abbruch der Kampfhandlungen, Neutralität und Sicherheitsgarantien für die Ukraine vor. (4) Der Status der Krim solle nach einem Zeitraum von mehreren Jahren friedlich ausgehandelt werden und die Volksrepubliken Donezk und Luhansk sollten Autonomie innerhalb der Ukraine erhalten. Schrittweise sollte die Einstellung der Sanktionen mit dem Rückzug des russischen Militärs verknüpft werden.

Friedensforschung

Gestützt wird die Forderung nach Verhandlungen auch von Friedensforscher*innen. Die vier führenden deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute empfahlen bereits in ihrem Friedensgutachten 2022, Russland zu einer Verhandlungslösung zu bewegen: „Anstatt auf eine militärische Niederlage Russlands zu setzen oder gar den Sturz des Putin-Regimes zu propagieren, sollte Russland mittels Sanktionen und militärischer Unterstützung der Ukraine zu einer diplomatischen Bearbeitung des Konflikts bewegt werden.“ Das Ziel solle gleichzeitig sein, „diplomatische Auswege aus dem Krieg aufzuzeigen, so dass sich die russische Führung zu Verhandlungen bereitfindet“. Und selbst, „wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag“, sei bereits heute für die Zeit nach dem Krieg zu planen und Strategien zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung zu entwickeln, so das Friedensgutachten 2022. (5)

Kleine Schritte

Wolfgang Sporrer, der zahlreiche Verhandlungen im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Europäischen Union (EU) begleitet hat, spricht sich dafür aus, zum Vertrauensaufbau kleine Schritte zu vereinbaren, die für beide Seiten hinnehmbar sind. Weitere Verhandlungsthemen könnten eine „entmilitarisierte Zone um das Atomkraftwerk Saporischschja“, „lokale Waffenstillstände“ oder „humanitäre Korridore“ sein. Er macht auch darauf aufmerksam, dass Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien in einzelnen Bereichen ständig stattfinden – zum Beispiel über das Getreideabkommen und den Austausch von Gefangenen. (6)

So gab es zuletzt im April einen Gefangenenaustausch. Hundert ukrainische und 106 russische Kriegsgefangene kamen nach Angaben von ukrainischen und russischen Medien frei. Seit Februar 2022 sind laut dem ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Dmytro Lubinets 2.105 Menschen aus der russischen Gefangenschaft befreit worden.

Nach einer langen Blockade der ukrainischen Häfen haben sich die Ukraine und Russland im Juli 2022 unter Vermittlung der Türkei auf ein Abkommen geeinigt, das den Weg zur Freigabe von dringend benötigtem Getreide und anderen Agrarprodukten aus ukrainischen Häfen ebnet. Russland droht allerdings immer wieder damit, das Abkommen über den ukrainischen Getreideexport über das Schwarze Meer nicht zu verlängern.

Auch die gefährliche Zuspitzung der Lage im Territorium um das russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja zeigt die Dringlichkeit, dass alle Konfliktparteien sich jetzt an den Verhandlungstisch setzen müssen. Die IPPNW plädiert für einen Verhandlungsfrieden und Interessenausgleich statt des Versuchs, ohne Rücksicht auf zivile Opfer einen militärischen Sieg zu erringen. Um das Risiko eines Atomkrieges zu minimieren, sollten sich alle fünf Atommächte in einer gemeinsamen Erklärung verpflichten, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten.

Sie finden das vollständige IPPNW-Papier unter https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Waffenstillstand_und_Fried...  

Anmerkungen

1 https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Waffenstillstand_und_Fried...

2 https://www.merkur.de/politik/moskau-ukraine-krieg-news-aktuell-waffenst...

3 https://www.fr.de/politik/brasilien-lula-ukraine-krieg-frieden-verhandlu...

4 https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/285535/erreich...

5 http://www.friedensgutachten.de/user/pages/02.2022/02.ausgabe/01.Gutacht...
samt/FGA2022_Gesamt.pdf

6 https://te.ma/art/x7yp78/verhandlungswege-frieden-sporrer-interview

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