Kampffeld Sahel

Warum Europa den Krieg im Sahel nicht gewinnen kann

von Kathrin Vogler
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In Mali und den Nachbarländern sehen wir wie in einem Brennglas die Folgen einer kontraproduktiven militärischen Intervention. Dabei sah anfangs alles so gut aus. Bis 2011 galt Mali als Musterland in Westafrika. Was ist passiert?

2011 intervenierte die NATO in Libyen und half den Aufständischen, die Regierung Gaddafi niederzuringen. Dessen gut bewaffnete Unterstützer zogen sich, um Verfolgung und Tod zu entgehen, nach Mali zurück. Dort trafen sie auf Einheiten der djihadistischen „Al Qaida im Maghreb" und auf eine Befreiungsbewegung der Tuareg, die schon lange mit der Zentralregierung unzufrieden waren, die sich auf die Entwicklung in der Hauptstadt und im Zentrum des Landes konzentriert und die Randgebiete vernachlässigt hatte. Eine explosive Mischung, die in einen bewaffneten Aufstand und der Eroberung weiter Teile Nordmalis durch die Allianz aus Djihadisten und Befreiungsbewegung mündete.

Dieser wurde 2013 von französischen und alliierten Truppen der „Operation Serval“ blutig niedergeschlagen. Seit 2013 ist auch die Bundeswehr, offiziell ausgestattet mit zwei Mandaten des Bundestags, im Einsatz. 2019 wurden diese Mandate auf das gesamte Gebiet der Sahel G5 ausgedehnt, zu der neben Mali auch Niger, Burkina Faso, Mauretanien und Tschad gehören.

Mit der EU-Mission EUTM Mali sollen einheimische Sicherheitskräfte ausgebildet werden, in der UN-Mission MINUSMA übernimmt die Bundeswehr vor allem Aufklärungsdienste für die malischen Truppen. Dazu sind u.a. Drohnen vom israelischen Typ HERON TP im Einsatz. Die französische „Opération Barkhane" dient der Aufstands- und Terrorbekämpfung und ist für ihre Brutalität auch gegenüber Zivilist*innen gefürchtet. Dazu kommen fünf US-Basen in Niger und Burkina Faso. In der neu gegründeten Sahel G5 Joint Force sollen künftig 5.000 Soldat*innen und Polizist*innen die Grenzen zwischen den Staaten sichern. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die EU-Staaten und ihre Verbündeten investieren also viel, um den Sahel militärisch zu befrieden. Erfolgreich ist diese Strategie nicht.

Die Sicherheitslage im Sahel verschärft sich von Jahr zu Jahr dramatisch. Zwischen 2016 und 2020 hat sich die Zahl der Anschläge verfünffacht, seit 2014 die Zahl der Toten verzehnfacht. Auch den einheimischen Militärs werden zunehmend Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, etwa willkürliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen. (1) Im Zuge der Corona-Krise haben die gewaltsamen Übergriffe auf die Bevölkerung durch die so genannten Sicherheitsorgane noch zugenommen, etwa bei Razzien und bei Maßnahmen gegen (vermeintliche) Lockdown-Brecher.

Zunehmender Widerstand in der Bevölkerung
Kein Wunder, wenn die lokale Bevölkerung die ausländischen Truppen zunehmend als Besatzer empfindet. Laut „Oxfam" und „Aktion gegen Hunger" geben 80.000 Binnenflüchtlinge an, dass sie aufgrund von Militäroperationen fliehen mussten.

In Burkina Faso, Mali und Niger sind aktuell mehr als sieben Millionen Menschen akut von Hunger betroffen, das Welternährungsprogramm warnt, dass es bald 13 Millionen sein könnten. Allein in Mali benötigten im August 2020 6,8 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten geht von 1,6 Millionen Binnenflüchtlingen aus.

All diese überwiegend jungen Menschen bilden das Nachwuchsreservoir für Widerstandsgruppen, djihadistische Milizen oder kriminelle Gangs, die ihnen Einkommen und Anerkennung bieten.

Die Regierungen, die weder öffentliche noch soziale Sicherheit garantieren können, geraten zunehmend unter Druck. So jagte die malische Bevölkerung im August 2020 nach wochenlangen Massenprotesten gegen die unfähige, korrupte und Wahlen fälschende Regierung den Präsidenten Ibrahim B. Keita aus dem Amt. Die Militärs, die anschließend die Regierung übernahmen, haben inzwischen auf Druck der EU und der Nachbarländer eine zivil geführte Übergangsregierung ernannt und Wahlen in eineinhalb Jahren angekündigt. Es gibt zaghafte Hinweise auf erfolgreiche Gespräche mit den Tuareg, so wurden kürzlich ein verschwundener Oppositionspolitiker und mehrere europäische Geiseln überraschend freigelassen.

Europäische Militär- und Polizeipräsenz
Welche Auswirkungen hat dieser Putsch auf die militärische und polizeiliche Kooperation der EU? Keine. EUTM Mali und die Polizeimission EUCAP Sahel wurden zwar im August vorübergehend eingestellt, nehmen die Ausbildung und Beratung von Militär und Polizei nun jedoch wieder auf.

Wenn all diese vielen hoch ausgerüsteten ausländischen Soldat*innen mit ihren Drohnen, Panzern und Hubschraubern nicht dafür sorgen, dass die Sahelzone von Terroristen „befreit" wird, was tun sie dann? Die europäische Militär- und Polizeipräsenz verfolgt vor allem eigene Ziele:

Erstens geht es wie immer um Geostrategie. Der afrikanische Kontinent mit seiner Nähe zu Europa und seinen zum Teil immer noch postkolonialen Verbindungen nach Europa, mit einer wachsenden Bevölkerung, die wachsende Märkte verspricht, soll nicht kampflos dem Einfluss Chinas überlassen werden.

Das zweitwichtigste Motiv ist die militarisierte Migrationsabwehr. In einer Region, die seit Jahrhunderten auch ökonomisch von Migration und grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Aktivitäten lebt, wirkt dieses Vorgehen der europäischen Staaten, das den freien Grenzverkehr einschränkt, zugleich extrem konfliktverschärfend.

Drittens benötigen die EU und die USA die Sahelzone als Truppenübungsplatz und stationären Flugzeugträger für die Erprobung neuer Waffensysteme und Kriegstechniken. Nachdem im europäischen Luftraum aus Zulassungsgründen mit den meisten unbemannten Flugsystemen nicht geübt werden kann, bietet sich ein Feldeinsatz wie bei MINUSMA dazu an, die eigenen Soldat*innen auszubilden und das Material unter Einsatzbedingungen zu testen.

Und, last but noch least, geht es auch wieder um die Aneignung fremdem Eigentums: „Der sogenannte Kampf gegen Terrorismus dient als Rechtfertigung für die Ausplünderung unserer Ressourcen, auf deren Verwertung der Reichtum der Amerikaner und Europäer basiert. Die Kriege in unserer Region sind zur DNA des globalisierten Kapitalismus geworden",  so Issa N’Diaye, ehemaliger Bildungsminister und Vorsitzender des „Forum Civique Mali“ am 10.19.2020 zur Tagezeitung "junge welt". Der Sahel ist reich an Bodenschätzen. Insbesondere Frankreich mit seinen Atomkraftwerken und seiner force de frappe hängt am Uran aus nigrischen Minen, in Westafrika und dem Sahel gibt es Erdöl, Kupfer, Gold, Eisenerz und viele andere wertvolle Rohstoffe für die Fabriken der Industrieländer. Der Zugang zu Rohstoffen, Märkten und Handelswegen bleibt das zentrale Motiv für die Bundeswehreinsätze in aller Welt, gerade auch in der Sahelzone. 

Und genau deshalb wird dieser Krieg nicht zu gewinnen sein: Solange die Länder Afrikas, auch die der Sahelzone, keine fairen Handelsbeziehungen erhalten und nicht darin bestärkt werden, ihre Reichtümer an Bodenschätzen, Agrarland und Arbeitskräften in eigenen Wertschöpfungsketten zum Wohl der Bevölkerung zu nutzen, kann noch so viel Militär die Region nicht zur Ruhe bringen. Die Milliarden, die in den letzten sieben Jahren für diese Militäreinsätze bereitgestellt wurden, ziehen weitere Milliarden in den nächsten Jahren nach sich - ohne Aussicht auf eine nachhaltige Stabilisierung. Deswegen müssen die Militäreinsätze beendet und die Ausgaben dafür in nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und funktionsfähige, demokratische Strukturen umgelenkt werden.

Anmerkung
1 Deutsche Welle: Niger: Angst vor Terror - und dem Militär, https://bit.ly/2HTZ7sZ

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