Münchhausen

Was hat Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew in München gesagt?

von Karl Grobe
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Es war in seiner Aggressivität auch ein selbstbewusster Auftritt“, stand auf der Webseite Spiegel online. „Das gehetzte Stakkato seiner Rede, das die Übersetzerin zur Verzweiflung trieb, das Trommelfeuer der Vorwürfe, Sätze wie Salven“.

Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew „hatte zuvor bei der Münchner Sicherheitskonferenz die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen als ,neuen Kalten Krieg’ bezeichnet“ (Die Welt). „Ich kann es auch noch deutlicher sagen: Wir sind in einen neuen Kalten Krieg zurückgerutscht.“ (ZDF), „wir sind abgerutscht in die Ära eines neuen Kalten Krieges“ (ARD Tagesschau), „wir sind in einem neuen Kalten Krieg“ (Die Zeit und gleichlautend Stern). Etwas vorsichtiger formulierte der Deutschlandfunk: „In Übersetzungen seiner Rede heißt es, man sei bereits ,in einen Kalten Krieg abgerutscht’“. Das ließ wenigstens die Möglichkeit offen, dass die ÜbersetzerInnen etwas missverstanden hatten.

Aber was hatte Medwedew am 13. Februar 2016 in München wirklich gesagt? Dieses: „Man kann es auch schärfer sagen: Im Grunde sind wir in die Zeit eines neuen Kalten Krieges gerutscht.“ So steht es im Redemanuskript, und diesen Satz hat Medwedew tatsächlich auch ausgesprochen. Darauf verwies Viktor Funk in der Frankfurter Rundschau. Er fügte eine wichtige Information hinzu: Medwedew „zitierte zum Schluss John F. Kennedy, der vor den Gefahren der Außenpolitik in den 60er Jahren gewarnt hatte. ,Ich glaube, dass wir heute alle klüger und erfahrener und verantwortungsvoller sind’, schloss Medwedew. Das war nach dem Wochenende nirgends zu lesen oder zu hören.“

Davor hatte Medwedew dem Handelsblatt gesagt, die Weltmächte müssten „alle Seiten“ (des Syrienkonflikts) an den Verhandlungstisch bringen und „nicht einen neuen Krieg auf Erden“ anfangen. Daraus war im Handumdrehen per flüchtiger (fehlerhafter) Übersetzung die „Drohung mit dem Dritten Weltkrieg“ geworden.

Der russische Regierungschef hatte nicht mit einer Neuauflage des Kalten Krieges und nuklearer Konfrontation gedroht, sondern im Gegenteil davor gewarnt. Aber die Berichterstattung erzeugte den gegenteiligen Eindruck, weil die Berichterstatter das gehört hatten, was sie hatten hören wollen. Der Auftritt des letzten Redners – US-Senator McCain – verstärkte schließlich noch die Wahrnehmung, auf der Konferenz selbst habe sich ein Eskalationsprozess abgespielt, was wiederum Medwedews Ausführungen nachträglich martialischer erscheinen ließ. Russland – der aggressive Nachbar. Das saß, es sitzt noch.

In den folgenden Tagen meldeten Fernsehsender und Zeitungen noch: Russische Militärflugzeuge fliegen in gefährlicher Nähe zum Nato-Luftraum herum. Russische Armeen begeben sich in die Nähe der Nato-Ostgrenze. Und ergänzend: In Syrien bombardieren russische Flugzeuge alle möglichen Gruppen, die Widerstand gegen das Assad-Regime leisten. So viel Aufmerksamkeit hatten die Stationierung immer weiterer NATO-Verbände in der Nähe der russischen Westgrenze, die dauerhafte NATO-Stationierung ebendort und die Bombenangriffe beispielsweise französischer Maschinen (seit September 2015) offenbar nicht verdient.

Gerade diese Vorgänge gehören aber zum Hintergrund der Ausführungen Medwedews. Die Ost-Erweiterung der Nato gehört dazu. Russlands Regierung interpretiert sie als Bedrohung, und das kann den Dauergästen der Münchner Sicherheitskonferenz und den ständigen journalistischen Beobachtern nicht entgangen sein. Vor neun Jahren, im Februar 2007, hatte Präsident Wladimir Putin in durchaus ungnädigem Ton auf eine kontinuierliche Entwicklung hingewiesen, die in seinem Verständnis durchaus eines Kalten Krieges (er vermied damals dieses Wort) würdig gewesen wäre:

Im Februar 1990 versprachen die Außenminister westlicher Staaten wie der USA und der Bundesrepublik, auch nach der deutschen Wiedervereinigung (in Moskauer Sicht: dem Anschluss der DDR an die BRD) werde sich die NATO um keinen Zentimeter nach Osten ausdehnen. Im Dezember 1994 garantierten Großbritannien und USA gemeinsam mit Russland die Grenzen und die Unabhängigkeit der Ukraine, Kasachstans und von Belarus. Daraufhin lieferten die drei ehemaligen Sowjetrepubliken die bei ihnen gelagerten sowjetischen Massenvernichtungswaffen, besonders die Nuklear-Sprengköpfe, bis 1996 an Russland (den Rechtsnachfolger der UdSSR) ab. Das war die Voraussetzung für die Unterzeichnung und Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrags und des Teststopps. Aber schon ein Jahr später gab sich die NATO eine neue Doktrin – zur weltweiten Verteidigung ihrer Interessen – und entwickelte die „Schutzverpflichtung“ (etwa um Minderheiten gegen Diktatoren beizustehen). 2002 baute sie die erste schnelle Eingreiftruppe auf; Tschechien, Polen und Ungarn waren da schon NATO-Mitglieder geworden. Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien folgten 2006, dazu die ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen. Damit stand die NATO an der Grenze Russlands.

Anders als 1990 verabredet hatte sich das West-Bündnis kräftig nach Osten ausgedehnt. Zwar hatten sich die jeweiligen Völker (oder ihre Regierungen) souverän für den Anschluss an „Europa“, also den Westen, entschieden; das militärische Vordringen, die Aufkündigung einiger Rüstungskontrollabkommen durch die USA (unter George W. Bush), die Stationierung von NATO-Truppen in neu errichteten Stützpunkten in den Beitrittsländern, das Anti-Raketen-System in Polen und Tschechien, die Förderung „bunter Revolutionen“ – alles das kann man aus Moskauer Sicht „im Grunde“ (d.h.: beinahe) schon als Hineinrutschen in einen Kalten Krieg begreifen.

Auf diesem Hintergrund mutet die Missdeutung der Medwedew-Rede wie eine verwässerte Neuauflage der Emser Depesche von 1870 an. Damals folgte binnen sechs Tagen der deutsch-französische Krieg.

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Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.