Frauen für den Frieden in Deutschland

Wider den militärischen Geist!

von Susanne Hertrampf

In ihrem Roman Die Waffen Nieder! (1889) zeigte Bertha von Suttner (1843-1914) den Krieg als das, was er ist: Grausam, Tod bringend und ein Instrument der Mächtigen. Den Heldentod entlarvte sie als Mythos und forderte ihre LeserInnen auf, wie ihre Romanfigur Baronin Martha den Militarismus zu hinterfragen, sich eine eigene Meinung zu bilden und so auf die Gesellschaft einzuwirken.

Mehr Frauen für die Friedensidee zu gewinnen, war auch das Anliegen von Margarethe Lenore Selenka (1860-1923). Im Hinblick auf die Erste Haager Friedenskonferenz 1899, bei der nur Männer miteinander verhandelten, rief sie nationale Frauenvereine dazu auf, Kundgebungen zum Thema Frieden abzuhalten. So versammelten sich wenige Tage vor Konferenzbeginn tausende Frauen an 565 Orten in insgesamt 18 Ländern, um die Friedensidee zu unterstützen. Das militärische Denken stellten die meisten aber nicht wirklich in Frage. Die Pazifistinnen blieben eine Minderheit und kamen in der Regel aus der radikaleren Frauenstimmrechtsbewegung wie Anita Augspurg (1857-1943) und Lida Gustava Heymann (1868-1943).

Vor und nach dem 1. Weltkrieg
Auf internationaler Ebene engagierten sie sich in der 1904 gegründeten International Woman Suffrage Alliance (IWSA, heute als International Alliance of Women bekannt). Am 31. Juli 1914, dem Tag, an dem der Erste Weltkrieg begann, appellierte die IWSA – Kassandra gleich – an neutrale und Krieg führende Staaten, „keine Methode zur Versöhnung oder zur Schlichtung unversucht zu lassen, um (…) so zu vermeiden, dass die Hälfte der zivilisierten Welt in Blut ertrinkt“; und sie betonte, dass Frauen diese unheilvolle Entscheidung nicht mitgetragen hätten, da ihnen die politische Teilhabe verwehrt werde. Es waren dann auch führende Frauen der IWSA, die an dem internationalen Frauenkongress 1915 in Den Haag teilnahmen und die „Womens’ International League for Peace and Freedom“ (WILPF) ins Leben riefen, unter ihnen Augspurg und Heymann. In den 20 Resolutionen, die die Teilnehmerinnen verabschiedeten, spiegelt sich ihr Verständnis von Demokratie, Pazifismus und Frauenrechten wider. Zudem entlarvten sie die Behauptung der Militärs, Frauen im Krieg zu schützen, als Mär, indem sie gleich in ihrer ersten Resolution gegen die „entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen“ als Phänomen eines jeden Krieges protestierten.
Es gab auch Sozialistinnen, die sich gegen den Krieg aussprachen. Dazu hatte Clara Zetkin – ebenfalls im Jahr 1915 – einen internationalen Kongress in Bern einberufen. Nur ca. 28 Sozialistinnen aus 8 Ländern nahmen daran teil, weshalb diese Initiative folgenlos blieb.

Das zentrale Büro der Deutschen WILPF-Sektion befand sich erst in München, später in Berlin. Die Leitung übernahm Gertrud Baer (1890-1981) bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933, danach war die Deutsche Sektion gezwungen, sich aufzulösen. Zuvor war es ihr gelungen, trotz staatlicher Repressionen und Diffamierung als angebliche Handlangerin Moskaus, eine beachtliche Anzahl friedenspolitischer Aktionen durchzuführen. Zum Beispiel protestierte sie gegen die imperialen Bestrebungen Deutschlands, klärte die Bevölkerung über Antisemitismus und die Folgen von Giftgaseinsätzen auf und warb eindringlich dafür, Kinder und Jugendliche in einem Völker versöhnenden Geist zu erziehen.

Während sie die Öffentlichkeit vor allem mit Informationen und Analysen wachrütteln wollte, wollte Käthe Kollwitz (1867-1945) mit ihrer Kunst den Schmerz und die Wut, die der Krieg verursacht, spüren lassen. Mit dem Schmerz war sie vertraut; ihr jüngster Sohn Peter, gerade 18 Jahre alt, fiel schon im ersten Kriegsjahr. Immer wieder stellte sie lebende oder tote Kinder dar - von Müttern umschlossen, beschützt und gehalten. Ihre Darstellungen dienten auch der Deutschen WILPF-Sektion, sichtbar zu machen, was Krieg für Frauen bedeutet. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges waren die Friedensfrauen noch zuversichtlich, endlich gehört zu werden, aber 1931 warf Lida Gustava Heymann die Frage in den Raum: „Soll Frauenruf abermals ungehört verhallen?“ Die Antwort der Nationalsozialisten nach ihrem Wahlsieg hieß: Ja!

Nach dem 2. Weltkrieg
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 begrub vorerst alle Hoffnungen der Friedensfrauen, die Welt von der Geißel des Krieges zu befreien. Umso bemerkenswerter ist es, dass Hamburger WILPF-Frauen schon bald nach dem Ende des Krieges im Mai 1945 begannen, die Deutsche Sektion zu reaktivieren. Gertrud Baer, die als Jüdin und Pazifistin in die USA emigriert war, ließ sich in Genf nieder und übernahm die Vertretung der WILPF bei den Vereinten Nationen. Für radikal feministische Ideen, so wie Baer sie vertrat, gab es in der westdeutschen Nachkriegszeit keinen Nährboden. Frauenorganisationen konzentrierten sich darauf, Frauen gemäß dem westlichen Demokratieverständnis politisch zu schulen. Gleichberechtigung definierten sie in Bezug auf den Status des Mannes. Innerhalb der WILPF rückten frauenspezifische Denkansätze in den Hintergrund. Nicht so die Friedensaktivistinnen, die sich der „Westdeutschen Frauenfriedensbewegung“ (WFFB) zugehörig fühlten. Die WFFB, die nie eine feste Organisationsform angenommen hat, war aus einem Frauenfriedenstreffen im Oktober 1951 in Velbert hervorgegangen. Anlass dieser Zusammenkunft von ca. 1.000 Frauen waren Pläne zur Wiederbewaffnung der BRD. Ihren Protest begründeten die Vertreterinnen des WFFB mit der Auffassung, dass Frauen „die Bewahrerinnen des Lebens und des Friedens“ seien. Mitbegründerin der WFFB und ihre bekannteste Vertreterin war Klara-Maria Fassbinder (1890-1974). Wider den Geist des Kalten Krieges suchte sie den Dialog mit dem Osten. Dafür wurde sie – wie viele FriedensaktivistInnen ihrer Zeit – als naiv tituliert und verdächtigt, von der Stasi bzw. von Moskau als Werkzeug benutzt zu werden. Durch gemeinsame Aktionen sorgten die WILPF und die WFFB dafür, dass die westdeutsche Frauenfriedensbewegung in den 1950er und 1960er Jahren sichtbar blieb. In einer kurzen Entspannungsphase des Ost-West-Konflikts in den 1970er Jahren löste sich die WFFB auf.

Frauen für Frieden
Die deutsche WILPF-Sektion, mit der internationalen Frauenfriedensbewegung im Rücken, fand neue Bündnispartnerinnen, die aus der „Neuen Frauenbewegung“ kamen, wodurch die alte mit der neuen Frauenfriedensbewegung verflochten wurde.

Vor dem Hintergrund des Nachrüstungsbeschlusses der Nato 1979 kam die Frage auf, ob die Wehrpflicht auf Frauen ausgedehnt werden sollte, um das Truppenkontingent zu erreichen. Einzelne Frauen sowie Frauengruppen, darunter auch die WILPF, reagierten mit der Initiative „Frauen in die Bundeswehr – Wir sagen nein!“. Für die neuen Feministinnen unter ihnen bedeutete Gleichheit nicht, sich männlichen Strukturen anzupassen, sondern die eigenen Lebenszusammenhänge zu reflektieren und zu fragen, was für eine Gesellschaft sich Frauen wünschen. Der Nato-Beschluss beinhaltete auch, Mittelstreckenraketen in Westeuropa zu stationieren. Um dem Rüstungswettlauf in Ost und West Einhalt zu gebieten, initiierten Feministinnen, darunter die Mitbegründerin der GRÜNEN, Eva Quistorp, unter dem Aufruf „Anstiftung der Frauen für Frieden“ eine Vielzahl von Unterschriftenkampagnen und Aktionen, wie die Frauenfriedensmärsche Kopenhagen - Paris 1981 und Berlin - Wien 1982. Frauen in Europa zu ermutigen, eigene Friedensvisionen zu entwickeln und sich entsprechend Gehör zu verschaffen, war ein wichtiger Beweggrund der „Frauen für Frieden“. 1982 kam Bärbel Bohley (1945-2010) diesem Appell, für ihr eigenes Anliegen zu sprechen, nach. Gemeinsam mit anderen Frauen protestierte sie gegen das neue DDR-Wehrdienstgesetz, nach dem Frauen im Falle einer Mobilmachung Militärdienst leisten sollten. Diese Aktion wirkte als Initialzündung für die Gründung von „Frauen für den Frieden“-Gruppen in Ostberlin, Halle, Magdeburg, Dresden und Weimar. Für den Frieden kämpfen heißt auch, transnational zu denken, weswegen Ellen Diederich und Fasia Jansen (gestorben 1997) in den 1980er Jahren mit ihrem Bus in alle Himmelsrichtungen für die Friedensidee unterwegs waren. Sie klärten über Menschenrechtsverletzungen auf und unterstützten Frauen anderer Länder bei ihren Aktionen für den Frieden.

Die Frauenfriedensbewegungen bekunden, dass sich Frauen sicherheitspolitische Themen, einst Domäne der Männer, angeeignet haben. Dass sich jenes aber nur für den außerparlamentarischen Raum sagen lässt, spiegelt sich in der Erfahrung der langjährigen WILPF-Aktivistin Eleonore Romberg (1923-2004) wider. Als parteilose Abgeordnete des Bayerischen Landtages (1986-1990) nutzte sie sicherheitspolitische Debatten, um die Gefährdung von Frauen- wie Menschenrechten durch Waffengeschäfte zu thematisieren. Bei einer ihrer Reden hielt sie ihren parlamentarischen Kolleginnen vor, dass sie als einzige Frau zu Rüstungsthemen Stellung bezog, obwohl insbesondere Frauen und Kinder als ZivilistInnen davon betroffen seien.

Frauen in Krisen und Kriegen
Dass Krieg nicht nur bedeutet, Menschen zu töten, sondern auch andere Formen von Gewalt mit sich bringt, zeigte Helke Sander eindringlich in ihrem Film Befreiter und Befreite von 1991/92. In ihm kommen Frauen zu Wort, die in der Endphase des Zweiten Weltkrieges vergewaltigt wurden. Sie geben Zeugnis ab über die vielfachen Nachwirkungen dieser Gewaltakte auf ihr Leben. Mit diesem Film lässt sich ein Bogen schlagen zu der Erklärung der Teilnehmerinnen beim Frauenkongress 1915, dass Vergewaltigung von Frauen Bestandteil – und somit Strategie – eines jeden Krieges sei.
Auch der Krieg in Bosnien-Herzegowina 1992 bestätigte dies. Um den traumatisierten Frauen und Mädchen sofort zu helfen, gründete die Gynäkologin Monika Hauser einen Verein, der auch heute unter dem Namen „Medica Mondiale“ weltweit Vergewaltigungsopfern beisteht. Letztlich ist es das Ziel, Frauenrechte vor und in Krisen- und Konfliktsituationen zu schützen, weshalb Frauen auf allen Entscheidungsebenen paritätisch vertreten sein müssen. Dazu hat die UN die Resolution 1325 verabschiedet. Der „Deutsche Frauensicherheitsrat“, in dem erfahrene Friedensfrauen wie Ute Scheub (Initiatorin der Frauenaktion Scheherzade 1991) und Heidi Meinzolt (WILPF) aktiv sind, setzt sich seit 2003 dafür ein, dass die Geschlechterperspektive konsequent in der Außen- und Sicherheitspolitik einbezogen und die Resolution 1325 auf nationaler Ebene umgesetzt wird.
Die Frauenfriedensbewegungen wurden und werden von weitaus mehr Frauen getragen, als oben genannt. Ihre Spuren finden sich in Archiven wie dem der deutschen Frauenbewegung in Kassel und dem Internationalen FrauenFriedensArchiv in Oberhausen.
Die Anliegen der Friedensaktivistinnen sind nicht erfüllt. Im Gegenteil! Wie viel Wissen, Expertise und Lösungskapazitäten in Konfliktsituationen (Kolumbien, Bosnien, Ukraine, Kongo, Nahost…) in ihren Reihen zur Verfügung steht, konnte beim 100-jährigen Jubiläum der WILPF im Jahr 2015 sowohl in Den Haag als auch in München und beim 20-jährigen Jubiläum des Frauennetzwerkes für Frieden e.V. (Vorsitzende: Heide Schütz) in Bonn 2016 erlebt werden. Dazu braucht es allerdings noch mehr Öffentlichkeit!

Ein paar wichtige Links:
http://wilpf.org/events/convening-on-meaningful-participation/
http://www.wilpf.org.uk/history/2015-centenary-congress/
http://www.iofc.org/de/100-jahre-internationale-frauenliga-f%C3%BCr-frie...
http://www.wilpf.de/verabschiedung-des-wilpf-2015-manifest-100-jahre-fri...
https://www.frauennetzwerk-fuer-frieden.de/verein/20-jahre-fnf.html

Teile des Artikels wurden bereits in Heft 3 (2014) des Frauenrats zum Thema: "Das weibliche Gesicht des Krieges“ veröffentlicht.

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Schwerpunkt
Dr. phil. Susanne Hertrampf ist Historikerin und Mitarbeiterin der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn. Studium der Geschichte, Ethnologie und Philosophie an der Universität Freiburg. Forschungsschwerpunkte: deutsche und internationale Frauen(friedens)bewegungen sowie feministisches Denken. Mitglied der Deutschen WILPF-Sektion seit 2011.