Gendered Hate

Wie Hass im Internet vergeschlechtlicht ist und was hieraus spricht

von David Scheuing

Das Internet wird (neuerdings?) als eine männliche Angelegenheit betrachtet. Diese Raumnahme ist Ausdruck patriarchaler Vorstellungen und Strategie. Sie bleibt weder unbemerkt noch unwidersprochen, verändert es doch das egalitäre Grundprinzip hinter dem Internet als Ort. Aber die misogynen Strategen sind gut organisiert (1) und entschieden, während die technische Anlage des Internets ihnen Freiräume einräumt und die schwarm “intelligente“ Mobilisierung konservativer gesellschaftlicher Vorstellungen erlaubt. Was sie erzeugen wollen, ist ein Ende jeder Debatte, ein vollständiges Schweigen von weiblichen InternetnutzerInnen, im netzpolitischen Slang bekannt als: „Get The Fuck Out“-Ziel oder „Silencing-Techniques“ (Warren 2015). Frauen und genderqueere Personen sollten sich möglichst in keiner Form digital zu erkennen geben, das ist die Botschaft.

Viele JournalistInnen, AktivistInnen und prominente Personen schildern solche Erfahrungen mit Hass, den sie durch digitale Medien erfahren. Allerdings verschleiert der Blick auf wenige prominente Beispiele auch die Breite des Problems. Die vielen ungenannten Betroffenen von Sexismus, Rassismus oder der Diskriminierung aufgrund anderer zugewiesener Merkmale bleiben oft unsichtbar. Seit in den Jahren 2015 und 2016 auch in der breiteren Gesellschaft über die Bekämpfung von „Hate Speech“ (Hassrede/Hasskommentaren) im Internet diskutiert wurde, kann auch davon ausgegangen werden, dass die Probleme viel mehr Menschen betreffen, als bis dahin anerkannt wurde. (2)

Sexismus als Gewalt: Vergeschlechtlichter Hass
Gegenderter Hass ist nichts Neues, wie die Forschering Emma Jane in ihrer kurzen Geschichte des digitalen Frauenhasses („Misogyny Online“ 2017) schildert – aber er hat sich gewandelt und ist über die Zeit immer stärker vergeschlechtlicht worden, hat spezifische Ausdrucksformen gefunden und sein eigenes stereotypes und sich wiederholendes Repertoire an Ausdrücken und Sprachfiguren verfestigt. Dieses Argument macht auch die Journalistin Rosalyn Warren in ihrem schmalen Band „Targeted and Trolled: The Reality of being a woman online“(2015). Beschimpfungen, Herabwürdigungen, Beleidigungen, Entmenschlichungen – sie alle tragen ihre geschlechtsspezifischen Zuweisungen im Internet und die prozentualen Verteilungen der Beleidigungsarten sprechen für sich, wo sie überhaupt erhoben werden.
Gender spielt aber auch als inhaltliches Thema eine Rolle in Debatten um Hass im Netz: Auseinandersetzungen um „Gender“ - oder den vom rechten Spektrum gefürchteten „Genderismus“ - sind fester Bestandteil der Hassagenda im Internet, wie nicht zuerst und nicht zuletzt Carolin Emke in ihrem weit beachteten Buch „Gegen den Hass“ (2016) darlegt. (3) Die Fragen um Gender und Geschlecht sind zum Einen Anlass von hasserfüllten Botschaften gegen von der heterosexuellen und cis*-gender Norm der Gesellschaft abweichende Personen oder Gruppen – zum Anderen sind als solche gelesene oder sich selbst positionierende Menschen direkte AdressatInnen extremer, gegenderter digitaler Gewalt.

Formen und Folgen des Hasses
Hass im Netz ist groß, er ist vielschichtig, vielfältig. Hass im Netz ist über die Bandbreite der medialen Ausdrucksformen und digitalen Plattformen weit verteilt: Von klassischen Hasskommentaren in Foren oder Chatplattformen (facebook, etc.) über direkte Angriffe per E-Mail und Kurznachricht bzw. über Messenger Dienste (whatsapp, u.a.) über digitales Stalking („doxing“ und „SWATting“ als Ausdrücke dieses Stalkings) und Mobbing in digitalen PartnerInnenbörsen bis hin zu bildlichen Missbräuchen – dem ungewollten Hochladen von privaten Bildern, der sogenannten „Rachepornographie“ (revenge porn), oder „virtuellen Vergewaltigungen“ (virtual rape), in denen Vergewaltigungsphantasien explizit animiert werden (Hentschel/Schmidt 2014:86).

All diese Formen sind in sich nicht gegendert, aber die Häufigkeit, mit der Frauen*, Transpersonen und intersexuellen Personen, Homosexuellen oder bisexuellen Menschen direkte sexualisierte Gewalt im Netz erfahren, ist kaum mit der Belästigung zu vergleichen, die Männer* im Schnitt im Netz erfahren.
Wo direkt Daten erhoben wurden, sprechen sie eine deutlich gegenderte Sprache: In einer kürzlich veröffentlichten Studie des Pew Research Center (2017) (4) zur US-amerikanischen Situation ergibt sich, dass Männer sogar eher als Frauen erleben, angegriffen zu werden (30% zu 23%) - durch Beleidigung oder Bedrohung. Jedoch dreht sich das Bild in radikaler Weise, wenn nach der Art der Belästigung oder des Hasses gefragt wird. 21% der Frauen im Gegensatz zu 9% der Männer erfahren eindeutig sexualisierte Angriffe. Männer wie Frauen werden angegriffen, aufgrund ihrer geschlechtlichen Zuweisung mit je spezifischen Formen, aber eben unterschiedlich (Pew Reseach Center 2017:7, ebenso Jane 2017:10).

Online Hass fügt diesen eher klassischen Dimensionen von Hass eine vorher unerdenkliche Reichweite, eine nie gesehene autonome Vervielfältigung und eine schier nicht mehr in den Griff zu bekommende Archivierung der Beschimpfungen, Herabwürdigungen und Missbräuche hinzu.
Gleichzeitig sind die Rückzugsräume von AggressorInnen bislang noch nicht kleiner geworden: Anonymisierung, die wichtiger Bestandteil digitaler Verfahren ist, wird missbraucht; Verlagerung von Foren auf Server, für die andere Rechtsordnungen gelten, machen die Mangelhaftigkeit der Internet-Gesetzgebung (5) sichtbar.

Digitaler Hass hat also auch offline Konsequenzen. Emma Jane listet in ihrem Buch auf, wie Betroffene „sozial, psychisch, professionell, finanziell und politisch“ (2017:4) die Konsequenzen des Hasses tragen. Nicht zuletzt lässt sich auch eine Selbstzensur derjenigen beobachten, die lieber nichts mehr schreiben, als wieder und wieder angegriffen zu werden – hier wird digitale Gewalt zu einem Werkzeug, um Frauen, Transmenschen und intersexuelle Menschen zum Schweigen zu bringen (silencing tool/techniques) (Warren 2015; Jane 2017).

Kein ganz unerheblicher Teil des Problems stellt auch dar, dass Medien an der Reproduktion verharmlosender Erzählungen um digitale Gewalt beteiligt sind und von diesen profitieren. Der Skandal um die unverpixelte und unerlaubte Wiederverwendung von Nacktbildern einer dänischen Journalistin durch RTL im Jahr 2016, um vorgeblich deren Kampf gegen Rachepornographie zu illustrieren, verdeutlicht dieses Problem exemplarisch und auf traurig ironische Weise. (6)

Hier verdichten sich viele Dimensionen der Vergeschlechtlichung von Hass im Netz: Während zum einen die (mehr oder weniger) subtile Herabwürdigung weiblicher Aktivitäten und  Entwertung von Frauen diskursiv zementiert wird, werden gleichzeitig Angriffe auf Selbstbestimmtheit, Würde, oder schlicht auf die  Gleichberechtigung, normalisiert, in dem noch nicht einmal verstanden wird, dass Visualität ein Mitbestandteil des Problems ist.

Daten? Welche Daten? Forschung? Welche Forschung?
Viele der hier geschilderten Probleme sind scheinbar verdeckt, da viele Erkenntnisse zur vergeschlechtlichten Art des Online Hasses vor allem in den USA bzw. in Großbritannien erhoben werden – systematischer und über deutlich längere Zeiträume, als das irgendeine deutschsprachige Forschungseinrichtung für sich reklamieren kann. Im deutschsprachigen Diskurs fehlen großangelegte Studien, die systematischer versuchen, das Problem zu erkunden – quantitativ wie qualitativ. Eine Fehlstelle, die auch politisch Konsequenzen hat – es wird mit wenig belastbaren Zahlen umgegangen, viele Erkenntnisse sind aus anderen Debatten anderer Länder geborgt.
Dies macht die Debatte nicht weniger zentral oder gerechtfertigt, noch steht es einer voll umfänglichen Anerkennung der bisherigen Ergebnisse der hier zitierten Studien im Wege. Allerdings macht es das Argumentieren für eine Veränderungsnotwendigkeit unnötig schwer. Es stünde also mindestens an (für Öffentlichkeit wie Wissenschaft), den FeministInnen und AutorInnen, die sich mit all ihrer Kraft gegen den Hass stemmen, wenigstens 'von einer Mehrheitsgesellschaft glaubbare Zahlen' zu liefern, die vermutlich ihre Forderungen, Beobachtungen und Problemanalysen unterstützen werden.

Und jetzt schweigen?
Was als Beobachtung bleibt: Der neue vergeschlechtlichte Hass ist nicht neu, aber gut organisiert. Inzwischen gibt es viele (oft englischsprachige) Debattenartikel zu verschiedenen Ebenen des vergeschlechtlichten Hassens im Web 2.0, viele mutige AktivistInnen und Projekte setzen sich gegen Herabwürdigung und Entmenschlichung von Frauen, Transgender und intersexuellen Menschen – und auch von Männern - im Netz ein (7), es erscheinen immer mehr Bücher, die auf das Phänomen und die dahinterliegende gesellschaftliche Gewalt hinweisen. (8) Das macht zum einen Mut, dass das Phänomen „Hass im Netz“ nicht unwidersprochen bleibt oder gar als „Meinungsfreiheit“ kaschiert werden kann – zum anderen macht es deutlich, was als Aufgabe bleibt: Hass (im Netz) zu beenden. Dies fängt bei uns allen an, mahnt strukturelle Veränderungen in der Geschlechterpolitik und den gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen an, schließt die Verknüpfung des Kampfes gegen Sexismus mit Kämpfen gegen Klassismus und Rassismus mit ein (Intersektionalität) und endet nicht zuletzt in organisierter Gegenaktion – konkret, politisch und systematisch – gegen organisierte HaterInnen.

Anmerkungen
1 Dieser Artikel illustriert dieses Problem auf eindrucksvolle Weise. Daten, die hier zitiert werden, stammen ebenso aus diesen Publikationen. http://www.spiegel.de/netzwelt/web/re-publica-vortrag-zu-organisierter-l...
2 Emma Jane sieht hier ein generelles Problem der Wissenschaft: „[S]ome sectors of the academy have been caught off guard by the contemporary epidemic of misogyny online even though this is a phenomenon whose precursory forms have been evident for many years.“ (Jane 2017:6).
3 Emke ist sicherlich nicht die erste AktivistIn für die Belange gender-nicht-konformer Menschen, brachte diese aber in ihrem Beitrag einer weißen heteronormativ und cis-gender-normiert argumentierenden Mehrheitsgesellschaft deutlich und pointiert nahe.
4 Dies ist die zweite Auflage dieser großen, nationalen Studie nach 2014; ähnliche quantitative, repräsentative und inhaltlich umfassende Forschungsvorhaben fehlen bislang in Deutschland bzw. dem deutschsprachigen Diskurs
5 https://www.gwi-boell.de/de/2018/01/09/kollektive-rechtsmobilisierung-ge...
6 http://meedia.de/2016/07/05/racheporno-zur-primetime-rtl-zeigt-gestohlen...
7 Lautstarke AktivistInnen für den deutschsprachigen Diskurs umfassen nicht zuletzt Jasna Strick, Anne Wizorek, Stefanie Sargnagel, Yasmina Banaszczuk oder Jamie Schaerer. Inititativen, wie beispielsweise für Möglichkeiten, in Deutschland auch juristische Wege einzuschlagen, siehe unter anderem: https://www.gwi-boell.de/de/2016/12/16/auf-dem-weg-zur-verbandsklage-dig.... Hörenswert zu diesem Aspekt ist auch dieser Bericht von BBC von 2013 über eine Gruppe von Frauen, die sich in Texas gegen das Phänomen des „revenge porn“ zur Wehr setzen: <http://www.bbc.co.uk/programmes/p02rsj9k>. Zum Phänomen an sich auch: <https://www.theguardian.com/technology/2016/apr/26/revenge-porn-nude-pho....
Interessante Gegenprojekte lassen sich beispielsweise im „Zero Trollerance“ Projekt des Peng!Kollektivs oder im „Rapeglish“-Projekt von Emma Jane finden
8 Siehe auch die Literaturliste, die in der Langfassung des Artikels nachzulesen ist.

Dieser Artikel ist die Kurzfassung eines Beitrags, der bei der Redaktion bestellt werden kann.

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David Scheuing ist Projektkoordinator bei „LOVE-Storm: Gemeinsam gegen Hass im Netz“, dem netzpolitischen gewaltfreien Projekt des BSV e.V. Ihn beschäftigt die Rolle, die „zivile Formen der Gewalt“ in heutiger Gesellschaft einnimmt: Hass als digitale Gewaltform, die reale, gesellschaftliche, politische und normative Konsequenzen nach sich zieht. Er ist bislang noch nie in einen Shitstorm geraten.