Zur strategischen (Neu-)Ausrichtung

Wie wieder mehr werden? Fünf Thesen zur Stärkung der deutschen Friedensbewegung

von Karl-Heinz Peil

1. Die Zusammenarbeit in der Friedensbewegung kann und muss verbessert werden.

Die deutsche Friedensbewegung war in der letzten Zeit weniger in ihrer Gesamtheit, als vielmehr durch den „Friedenswinter“ in den Medien präsent. Der Friedenswinter war ein Versuch, angesichts realer friedenspolitischer Zuspitzungen der Notwendigkeit wirksamer Kampagnen gerecht zu werden. Bei den traditionellen Strukturen der Friedensbewegung fand der Friedenswinter aber aus unterschiedlichen Gründen keine Zustimmung. Sowohl der Bundesausschuss Friedensratschlag wie auch die Kooperation für den Frieden lehnte eine Beteiligung ab. Bei der letztgenannten Dachorganisation gab es sogar eine ausgeprägte Polarisierung von BefürworterInnen und GegnerInnen, d.h. eine wechselseitige Blockade. Auf der Friedenswinter-Aktionskonferenz am 14.3. wurde nun die Fortsetzung der Kampagne bis zum 10. Mai beschlossen, wo eine überregionale bzw. (je nach Lesart) bundesweite Demonstration anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus in Berlin stattfinden soll. Wie es danach weitergeht, ist derzeit noch offen. Insgesamt gesehen hat sich der Friedenswinter als temporäre Struktur von wichtigen Teilen der Friedensbewegung als nicht hilfreich erwiesen. Die in diesem Kontext erfolgten Debatten haben die eigentlich notwendige Außenwirkung massiv behindert. Natürlich ist dafür auch die von außen geschürte Kampagne in Bezug auf angeblich oder tatsächlich nicht erfolgte Abgrenzungen gegen rechts verantwortlich, die sich vor allem auf die am Friedenswinter beteiligten örtlichen Mahnwachen bezieht.

Die diesjährigen Ostermärsche haben gezeigt, dass die Friedenswinter-Kampagne überflüssig und eher kontraproduktiv ist. Deshalb sollten bei weiteren bundesweiten Aktionen nach dem 10. Mai wieder die gewachsenen Strukturen der deutschen Friedensbewegung mit der Kooperation für den Frieden und dem Bundesausschuss Friedensratschlag maßgebend sein.

Nach den Ostermärschen und den Aktionen zum 8. Mai steht der 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki an. Im Kampf für ein atomwaffenfreies Deutschland und weltweite atomare Abrüstung gibt es bereits eine langjährige Kampagne, die im kleineren Aktivenkreis diesen Jahrestag vorbereitet (1) und auf die gesamte Breite der Friedensbewegung angewiesen ist. Schließlich ist die Atomkriegsgefahr derzeit durch die Neuauflage des Ost-West-Konfliktes um die Ukraine so hoch wie nie zuvor seit Ende des Kalten Krieges.

Zum jährlichen Antikriegstag am 1.9. - der traditionell auch im gewerkschaftlichen Umfeld stark verankert ist – kann auf die aktuell in den Gewerkschaften wiederbelebte Debatte zur Rüstungskonversion zurückgegriffen werden. Eine große Rolle spielen hierbei vorhandene Anträge zum nächsten IG-Metall-Kongress im Spätherbst.

Gedenktage wie diese sind deshalb gute Anlässe, die in der Vergangenheit erfolgte Kampagnen-bezogene Zusammenarbeit der Friedensbewegungs-Strukturen wieder aufzugreifen und darüber hinausgehend zu optimieren.

2. Die Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen und Initiativen kann stark ausgebaut werden.

Die Mobilisierungsschwäche der Friedensbewegung erfordert nicht nur ein Hinterfragen eigener Strukturen und Aktionsformen. Lohnenswert ist ein Blick auf die Teilnahmezahlen von Demonstrationen aus anderen Anlässen. So haben zahlreiche Umweltverbände am 17. Januar 2015 in Berlin annähernd 50.000 TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland mobilisiert, um gegen Tierfabriken, Gentechnik und TTIP bzw. für eine Agrarwende zu demonstrieren. Bei den Blockupy-Demonstrationen in Frankfurt a.M. waren am 18.3. etwa 20.000 Menschen auf den Straßen. Ebenso sind die regionalen TeilnehmerInnenzahlen der Anti-PEGIDA-Demonstrationen beachtlich. Dieses zeigt, dass eine Massenmobilisierung erheblich einfacher ist, wenn sich persönliche Betroffenheit mit der konkreten Wahrnehmung politischer Gegner verbindet.

Im Kampf gegen TTIP geht es im Kern um die Verhinderung von Demokratieabbau, z.B. bei notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfungen, weshalb vor allem UmweltaktivistInnen alarmiert sind. Es gilt aber auch klarzumachen, dass dahinter die gemeinsame Strategie von USA und EU steht, den weltwirtschaftlich sich abzeichnenden Bedeutungsverlust gegenüber den BRICS-Staaten mit einer „Wirtschafts-Nato“ aufzuhalten.

Umgekehrt kann bei anderen Umweltthemen auch die Friedensfrage ansatzweise vermittelt werden. Im Kampf gegen den Klimawandel, der vor allem durch den CO2-Ausstoß fossiler Brennstoffe verursacht wird, ist eines klar: Jedes Barrel Rohöl, das in der Erde gelassen wird, reduziert das weltweite, kriegerische Konfliktpotenzial. Denn bei fast allen geostrategischen Konflikten spielen der Zugriff auf vorhandene Erdöl- und Erdgasvorkommen sowie die dafür notwendigen Transportwege eine zentrale Rolle.

Ansätze für übergreifende Herangehensweisen gibt es durchaus: Insbesondere die IPPNW hat nach der Katastrophe von Fukushima diesen Gesamtkontext thematisiert.

3. Die Entwicklung von Medienkompetenz ist eine zunehmende Herausforderung.

Trotz der zunehmenden Rolle der Online-Medien haben immer noch die Printmedien vorrangige Bedeutung. Hier muss man sich damit auseinandersetzen, dass diejenigen, die für Friedensaktionen mobilisierungsfähig sind, primär immer noch zur Leserschaft der vormalig linken Tageszeitung FR oder der pseudo-linken Tageszeitung taz gehören. Beide Blätter haben in den zurückliegenden Monaten sich auch vehement darum bemüht, die Debatte um den Friedenswinter als Spaltpilz für die Friedensbewegung zu instrumentalisieren. (2) Mit den Print-Ausgaben der linken Tageszeitungen ND und Junge Welt wird hingegen nur der kleinere Teil von friedensbewegten Menschen erreicht, auch wenn die Junge Welt in der letzten Zeit (leichte) Auflagensteigerungen zu verzeichnen hat.

Die Wahl von „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres 2014 hat sicher dazu beigetragen, der notwendigen Kritik an der deutschen Medienlandschaft die Spitze zu nehmen. Albrecht Müller als verantwortlicher Betreiber des Internetportals Nachdenkseiten hat dazu den Vorschlag gemacht, anstelle des aus guten Gründen abzulehnenden Wortes „Lügenpresse“ stattdessen von „Kampfpresse“ oder auch von „Kampagnenjournalismus“ zu sprechen. (3)

Bei dem letzten Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel gab es im Rahmen einer Podiumsdiskussion konkrete Vorschläge zum Umgang mit den Medien in Bezug auf Online-Blogs und klassische Leserbriefe in den Printmedien, die immer noch eine wichtige Rolle spielen. Letztlich geht es darum, ein Modell einzufordern, wie es die „öffentlich-rechtlichen“ Rundfunk- und Fernsehsender gemäß ihrem verfassungsmäßigen Auftrag darstellen müssten. Denn auch Internet-Beiträge kosten Geld. Qualifizierter und unabhängiger Journalismus ist nicht nur jenseits von politischer Einflussnahme, sondern auch frei von wirtschaftlichen Zwängen möglich.

Websites von Organisationen und AktivistInnen der Friedensbewegung sind im Netz zahlreich vorhanden. Die vom Internetprovider gelieferten Statistiken mit Klick-Raten werden aber häufig überschätzt bzw. falsch interpretiert. Ebenso gibt es zahlreiche Rundmails zu friedenspolitischen Themen, deren VerfasserInnen aber teilweise zu viel Sendungsbewusstsein mitbringen und bei den Adressaten deshalb schnell im virtuellen Papierkorb oder im Spam-Filter landen.

Eine Professionalisierung des passiven Umgangs mit vorhandenen Medien und der aktiven, eigenen Nutzung dieser Medien bedarf es? deshalb sicherlich einer Diskussion.

4. Alle Aktivitäten und Aktionsformen sollten auf den Prüfstand.

Bei Streitfragen darüber, ob ein „mehr“ an Friedensaktionen möglich ist oder nur ein nicht zielführender Aktionismus, spielt auch die notwendige Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Aktionsformen eine Rolle. Seit einigen Jahren geistert der Begriff „Latschdemo“ durch die Kommunikation linker AktivistInnen. Nun ist durchaus zu hinterfragen, inwieweit klassische Aktionsformen noch zeitgemäß sind, vor allem deshalb, weil heutzutage Massenmedien sich im Unterschied zu früher nicht nur die Anzahl von DemonstrationsteilnehmerInnen klein rechnen, sondern selbst bei Großdemonstrationen eine Berichterstattung immer häufiger völlig unterschlagen. Sehr populäre Straßenaktionen sind heute Flashmobs, die aber in Bezug auf Breitenwirkung keine Alternative zu klassischen Demos sind und eher den Bedürfnissen nach spontanen Aktionen mit den Mobilisierungsaktionen in sozialen Netzwerken entspringen.

Wichtig sind in jedem Fall die verbesserten Möglichkeiten zur Unterschriftensammlung über Internet-basierte Petitionen. Allerdings lässt sich z.B. kontrovers darüber diskutieren, ob dieses Instrument sich auf bloße Fingerübungen reduziert oder als Einstieg in weitergehende Aktivitäten zu sehen ist, wie eine jüngste Debatte über das soziale Netzwerk campact zeigt (4).

In jedem Fall sollte man alle politischen Aktivitäten als eine sinnvolle Verbindung von Einzelaktionen und mehr kontinuierlich ablaufenden kleineren Aktivitäten und Aktionen ansehen, was natürlich nicht nur für die Friedensbewegung gilt. Beispielsweise ist die Umweltbewegung in Deutschland segmentiert durch eine Organisation wie Greenpeace, die nach außen hin zumeist mit spektakulären Einzelaktionen in Erscheinung tritt, welche von zentralen „Campaignern“ gesteuert wird. Bei dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hingegen gibt es zwar auch zentrale Kampagnen, jedoch in erster Linie eine Wahrnehmung nach außen durch die Arbeit örtlicher und regionaler Organisationsstrukturen.

Zu jeder Aktionsform sollten Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken stärker gegeneinander abgewogen und realistisch bewertet werden.

5. Neue Kampagnenfähigkeit erfordert vor allem neue FriedensaktivistInnen.
Zweifellos gehört die Altersstruktur in der Friedensbewegung zu deren größten Problemen. Die Ursachen der stark zugenommenen Protestaktionen – auch im rechten Spektrum – beruhen auf den zu recht wahrgenommenen Krisensymptomen. Die Frage ist dabei: Führt dieses zum Verständnis der wahren Ursachen – gegen die es zu kämpfen gilt – oder zur Manipulation von Wahrnehmungen? Am deutlichsten zeigt sich dieses bei dem notwendigen Schutz für Menschen, die von Krieg, Übergriffen und Diskriminierungen betroffen sind, was im rechtspopulistischen Spektrum mit „Flüchtlingsströmen“ umschrieben wird. Damit werden Ressentiments und Rassismus gefördert, anstelle einer notwendigen Aufklärung und Debatte über die Verantwortung der deutschen Politik an diesen Entwicklungen. Gerade deshalb sind auch Gespräche mit den TeilnehmerInnen von Mahnwachen notwendig.

Zu vermitteln gilt vor allem: Der Kampf um den Weltfrieden und die Verhinderung eines neuen Krieges in Europa hängen sehr eng mit den Themen zusammen, für die bereits heute eine wesentlich höhere Sensibilität und Mobilisierungsfähigkeit bestehen.

 

Anmerkungen
1 Kampagne atomwaffenfrei.jetzt – siehe unter http://www.atomwaffenfrei.de

2 An dieser pauschalen Bewertung der taz ändert auch nicht der Umstand, dass dort regelmäßig mit Andreas Zumach ein alter Friedensaktivist mit lesenswerten Kommentaren vertreten ist, welche z.B. auf dem Internetportal Lebenshaus Schwäbische Alb publiziert werden. Dem gegenüber stehen problematische Beiträge, wie z.B. das Interview mit Monty Schädel vom 13.3.2015 ( http://www.taz.de/Zukunft-der-Friedensbewegung/!156414/ ) mit Suggestivfragen und verkürzten Gesprächswiedergaben oder die selektive Berichterstattung über die „Friedenswinter-“-Aktionskonferenz vom 14.3.

3 siehe dazu die Nachdenkseiten vom 29.1.2015: „'Lügenpresse' – ein blödes Wort, vorbelastet und viel zu pauschal. Aber 'Kampfpresse' – das passt.“ - http://www.nachdenkseiten.de/?p=24792 – auch in Friedensjournal Nr. 2-2015, S.14

4 siehe dazu: „Klicken: Bei Campact weit mehr als eine Fingerübung“, Telepolis-Beitrag von Günter Metzges und Jörg Haas vom 21.11.2014 - http://www.heise.de/tp/artikel/43/43394/1.html

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Karl-Heinz Peil ist Mitglied des Bundesausschusses Friedensratschlag und verantwortlicher Redaktion des zweimonatlich erscheinenden Friedensjournals. Der Artikel wurde entnommen von: www.friedensratschlag.de.