Nahostkrise

„Wir weigern uns, Feinde zu sein!“

von Otmar Steinbicker
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Die nach elf Tagen Krieg vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas im Gaza streifen dürfte voraussichtlich für einige Zeit halten. Ob sie dauerhaft hält, bleibt nach bisheriger Erfahrung fraglich.

Israels Premier Benjamin Netanyahu hatte nach bewährtem Prinzip Gläubige auf dem Tempelberg in Jerusalem durch die Polizei provozieren lassen. Sein Motiv war durchsichtig: Spannungen und erst Recht Krieg sollten sein Verbleiben im Amt sichern und somit seine Immunität, die ihn vor Strafverfolgung wegen Korruption schützt. Die Hamas schickte tausende Raketen in Richtung Tel Aviv und Jerusalem, tötete damit zehn Menschen und inszenierte sich so als Hüter der heiligen Stätten auf dem Tempelberg. Die israelische Armee bombardierte als Antwort Ziele im extrem dichtbesiedelten Gazastreifen und tötete rund 250 Menschen.

Die Waffenruhe wurde vor allem durch den Druck der US-Regierung unter Joe Biden beendet, der zuvor Initiativen in diese Richtung im UNO-Sicherheitsrat verhindert hatte. Biden kündigte finanzielle Hilfen für die Palästinenser*innen in der Westbank und im Gazastreifen an und propagierte als Ziel eine Zwei-Staaten-Lösung, ohne zu benennen, wie diese aussehen soll.

Anders als bei früheren Kriegen zwischen Israel und der Hamas gab es in einigen Städten Israels blutige Zusammenstöße zwischen jüdischen und palästinensischen Jugendlichen, in anderen demonstrieren jüdische und palästinensische Menschen gemeinsam für Frieden unter der Losung: „Wir weigern uns, Feinde zu sein!“. Die Situation im Israel-Palästina-Konflikt hat sich offenbar deutlich verändert.

Vor mehr als zehn Jahren formulierte der bekannte Friedensaktivist Uri Avnery die grundlegende Problematik des Konflikts, indem er eine Geschichte erzählte. Danach hätte Gott Golda Meir nach dem Krieg 1967 einen Wunsch freigestellt und diese hätte geantwortet: „Ich wünsche mir ein jüdisches und demokratisches Israel, das vom Meer bis zum Jordan reicht.“ Gott hätte gesagt: „Das sind drei Wünsche und einer mehr als ich erfüllen kann. Nur zwei Wünsche sind möglich: Ein jüdisches und demokratisches Israel – das geht nicht mit dem ganzen Land, ein jüdisches Israel mit dem ganzen Land – das ist dann aber nicht demokratisch oder ein demokratisches Israel mit dem ganzen Land – das ist dann aber nicht jüdisch.“

Uri Avnery hielt wie die meisten friedensorientierten Israelis und Palästinenser*innen seiner Generation eine Zwei-Staaten-Lösung für die beste aller denkbaren Alternativen. Widerspruch bekam er hin und wieder von Aktivist*innen aus der jüngeren Generation, denen weniger an einem speziell jüdischen Staat lag, als an einem zukunftsorientierten Gemeinwesen mit gleichen demokratischen Rechten für alle Bürgerinnen und Bürger.

Mittlerweile erscheint eine Zwei-Staaten-Lösung, wie sie vor allem die Genfer Initiative von israelischen und palästinensischen Intellektuellen 2003 vorschlug, als nicht mehr realistisch. Zu weit ist der israelische Siedlungsbau in der besetzten Westbank vorangeschritten, als dass da noch ein lebensfähiges palästinensisches Staatsgebilde übrig bliebe – nicht einmal bei einem theoretisch denkbaren Gebietsaustausch. Dass zwischen 100.000 und 150.000 jüdische Siedler*innen aus der Westbank zwangsweise nach Israel umgesiedelt werden, ist ebenso unwahrscheinlich wie die Alternative, die Annahme einer palästinensischen Staatsangehörigkeit durch die Siedler*innen.

Wenn es aber keine Zwei-Staaten-Lösung gibt, dann bleibt nur noch eine wie auch immer geartete Ein-Staaten-Lösung übrig. Diese hätte dann bei gleichen demokratischen Rechten für alle womöglich zur Konsequenz, dass eine palästinensische Mehrheitsbevölkerung in Zukunft den Staat Israel per Parlamentsbeschluss abschaffen könnte.

Kritische Köpfe wie der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, befürchten für einen solchen Fall, dass eine rechtsgerichtete Mehrheit der Israelis als Ausweg auf eine „Apartheid mit weniger Rechten für einen Teil der Bevölkerung“ setzt und sich damit an der Praxis des südafrikanischen Rassistenregimes orientiert. Eine solche Gefahr ist real, allerdings würde ein solches Regime Israel auch in eine internationale Isolierung treiben, die das Land auf Dauer gefährdet.

Die Menschen in Israel und den besetzten Gebieten müssen jetzt ihre Konsequenzen aus der gescheiterten Zwei-Staaten-Lösung ziehen und ihren gemeinsamen Weg des Zusammenlebens finden. Aus Deutschland können wir ihnen da nicht dreinreden, wie das im Detail aussehen soll. Uns bleibt nur zu hoffen, dass Wege gefunden werden. Wir können nur konsequent all diejenigen unterstützen, die sich, wie aktuell auf den Straßen demonstrierend „weigern, Feinde zu sein“.

Einfach dürfte das nicht werden. Schließlich ist in den letzten 20 Jahren das Friedenslager in Israel deutlich zusammengeschmolzen und rechtsgerichtete bis rechtsextreme Parteien haben bei den Parlamentswahlen mehr und mehr Zuspruch erfahren.

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de