Zur strategischen (Neu-)Ausrichtung

Zur Friedensbewegung gefragt

von Alex RosenInga Blum

Wenn man auf Treffen der Friedensbewegung ist, wird oft an "prägende Ereignisse" und "große Erfolge" erinnert. Unweigerlich kommen dann Anekdoten von Großdemonstrationen im Bonner Hofgarten oder der Mutlanger Heide. Die Menschen, die damals aktiv demonstrierten, sind heute mindestens 48 Jahre alt. Was ist jedoch mit all denen, die erst danach zur Friedensbewegung gekommen sind? Was sind ihre Schlüsselerlebnisse?

Für Menschen, die heute 35 oder jünger sind, sind es häufig keine Großereignisse, die zur Politisierung geführt haben, sondern das wachsende Bewusstsein über die globale Ungerechtigkeit, über den unkontrollierbar scheinenden Einfluss der Wirtschaft und über rücksichtslose Umweltzerstörung. Aufgewachsen in einer Zeit, in der die Schrecken des zweiten Weltkrieges und die Drohkulisse des Kalten Kriegs Geschichte sind, kommt die Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg und Frieden bei der jüngeren Generation häufig zu kurz. Andererseits haben Themen wie globale Gerechtigkeit, interkultureller Austausch und Nachhaltigkeit natürlich viel mit Krieg und Frieden zu tun.

Die Alten und  die Jungen könnten sich also ergänzen und bereichern. Schaut man allerdings auf die Bilder der Ostermärsche der letzten Jahre oder die Unterschriftenlisten der aktuellen Friedensappelle, dann sieht man, dass immer noch die „Bonner“ und „Mutlanger“ federführend und jüngere Generationen oft nicht vertreten sind. Um ehrlich zu sein, ist ein wichtiger Grund vermutlich, dass die junge Generation, wenn man es wörtlich nimmt, tatsächlich weniger friedensbewegt ist.

Junge Leute demonstrieren und bewegen sich weniger für den Frieden, weil Frieden in Deutschland heute trügerischerweise etwas zu sein scheint, wofür man sich kaum noch bewegen muss. Die Bedrohungen erscheinen viel diffuser als damals. Die Polarisierung ist einer differenzierteren, zum Teil auch relativierenden Sichtweise gewichen, die sich schwer tut, Feindbilder auszumachen. Ein wenig ist das sicherlich ein Ergebnis der Lektionen der Vergangenheit - der Anspruch, weniger ideologisch zu sein, sich nicht "rechts" oder "links" einordnen lassen zu wollen. 

Eine wichtige Rolle spielen aber auch die deutlich vielfältigeren Informationskanäle, über die man sich heutzutage sein Bild von der Welt macht. In Zeiten von Online-Medien, sozialen Netzwerken und der alltäglichen Bombardierung mit Nachrichten, Analysen und Kommentaren erscheint es vielen immer schwerer, überhaupt noch durchzublicken.

Die Bewaffnung der Kurden im Norden Syriens ist ein gutes Beispiel für einen Fall, wo so viele unterschiedliche Positionen in der öffentlichen Diskussion gewälzt wurden, dass sich viele am Ende gar kein eigenes Urteil mehr erlaubten, aufgaben und sich einfach darauf verließen, dass ihre gewählten RepräsentantInnen die richtige Entscheidung treffen würden. Die Friedensbewegung könnte hier eine wichtige Rolle spielen - als Lieferantin von Argumenten, Alternative gegen den neuen deutschen Interventionismus und als wahrnehmbare Stimme im öffentlichen Diskurs, die auf viele Jahrzehnte Wissen und Erfahrung bauen kann.

Viele junge Friedensbewegte haben jedoch den Eindruck, die Friedensbewegung sei gegen zu vieles auf einmal. Sie sehen Demos, auf denen alle möglichen Fahnen geschwenkt werden und RednerInnen vom eigentlichen Thema immer wieder zur Weltrevolution kommen. Jüngere Leute bevorzugen jedoch Protestformen, bei denen man sich zunächst informieren und dann gezielt entscheiden kann, wogegen man sich engagiert. Dementsprechend hat sich der Protest in den letzten Jahren differenziert und von der Straße wegbewegt, wodurch häufig der irrige Eindruck entsteht, die jüngere Generation sei unpolitisch.

Gezielte Onlinekampagnen von teils gigantischem Ausmaß, bewusstes Konsumverhalten und das Engagement vieler junger Menschen in sozialen Projekten sowie Kampagnen wie der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN), die vor allem auf qualitative Aufklärungs- und Lobbyarbeit setzen, sind  jedoch ebenfalls wichtige Beiträge zu einer friedlicheren und gerechteren Welt.

Wie können alte und junge Friedensbewegung trotz ihrer unterschiedlichen Sprache und Medien zusammenfinden? Eine thematische Neuausrichtung der Friedensbewegung? Gerade da scheint das Problem nicht zu liegen. Denn es sind ja eben die Atomwaffen, das mobilisierende Feindbild des Kalten Kriegs, die Tausende junge Menschen aktuell politisieren, z.B. in der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons, die sich für eine Ächtung von Atomwaffen einsetzt.

Wir glauben vielmehr, dass es einen gut koordinierten Generationenwechsel braucht. Nicht weil die jungen Menschen besser wären, sondern weil es dringend nötig ist, dass sich wieder mehr Menschen für Frieden engagieren, und dass auch die Jüngeren begreifen, dass Frieden bei uns und weltweit keine Selbstverständlichkeit ist.

In der Bewegung gegen Atomwaffen funktioniert der Wissens- und Verantwortungstransfer derzeit sehr gut. Viele traditionelle Organisationen und Friedensvereine lassen allerdings dem Nachwuchs zu wenig Entfaltungsfreiheit. Die Kommunikationswege der Friedensbewegung ändern sich nur langsam, die der jungen Generation rapide. Schon heute gehen viele wichtige Informationen der Friedensbewegung an den jungen Friedensbewegten vorbei, die auf Twitter und Facebook unterwegs sind, WhatsApp oder Threema nutzen und nur noch selten ein gedrucktes Stück Papier in die Hand nehmen. Und andersrum ist es genauso.

Es gibt sicher keine Patentrezepte, aber ein paar Schritte liegen auf der Hand:

  • Jungen Menschen eigene Projekte ermöglichen und aus dem Hintergrund unterstützen.
  • Koordinierte Wissens- und Erfahrungsvermittlung an die junge Generation – wie in Wirtschaft und Politik auch. Sonst geht das Wissen verloren.
  • Bei Kampagnen, Projekten und Aktionen klare, von allen Beteiligten akzeptierte, nachprüfbare und erreichbare Ziele und Forderungen definieren, damit auch Erfolge möglich sind.
  • Die neuen Medien für die Verbreitung von Information aktiv nutzen – schon allein, um nicht abgehängt zu werden.
  • Auf das konzentrieren, wo man gut, kompetent und glaubwürdig ist.

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