Redebeitrag zur Hiroshimagedenkveranstaltung  am 6. August 2019 in Hannover

 

- Sperrfrist: 06.08.2019, Redebeginn: 8 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

Vor 74 Jahren, am Morgen des 6. August 1945 um 8.15 Uhr detonierte die Bombe Little Boy über Hiroshima. Diese erste militärisch von der US Air Force eingesetzte Atombombe schlug ein neues Kapitel der Kriegsführung auf, das unermessliches Leid hervorgerufen hat - ein Verbrechen von Menschen gegen die Menschheit!

Diejenigen, die dieses Inferno überlebten, haben die schrecklichen Bilder von Massenvernichtung, Feuersturm, schwarzem Regen, Zerstörung und unbeschreiblichem Leid nie vergessen können.

Eine unvorstellbare Hitze - bis zu 3.900 Grad Celsius im Inneren des Feuerballs – ließ noch in einem halben Kilometer Entfernung Dachziegel schmelzen; in zwei Kilometer Distanz entzündete sich die Kleidung auf der Haut der Menschen. Die freigesetzte radioaktive Strahlung sorgte dafür, dass fast alles Leben im Umkreis von rund einem Kilometer um das Epizentrum ausgelöscht wurde. Und auch Gebäude hielten der Detonation nicht stand, rund 70 Prozent aller Häuser Hiroshimas wurden verbrannt und dem Erdboden gleichgemacht.

Beauftragt vom Magazin „The New Yorker“ hat der Journalist John Hersey anhand von Augenzeugenberichten die schrecklichen und leidvollen Erfahrungen Überlebender in einer überaus lesenswerten, zugleich tief berührenden und erschütternden Reportage 1946 geschildert.1

Bis Ende des Jahres 1945 starben etwa 140.000 Menschen an den Folgen der Atombombenexplosion.

Bis zum Jahre 1950 waren es etwa 200.000 Menschen. Noch bis heute erliegen damalige Einwohner* innen Hiroshimas und Nagasakis dem Krebs und anderen gesundheitlichen Langzeitfolgen der Strahlungen.

Die Fotoausstellung „Black Rain Hibakusha“ von Thomas Damm, die zurzeit in der Volkshochschule und in Kooperation mit der DJG gezeigt wird, thematisiert den Kampf um die offizielle Anerkennung der Überlebenden als Strahlenopfer.

Im Namen der Landeshauptstadt Hannover begrüße ich Sie alle sehr herzlich zu unserem Gedenken an die Opfer der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki hier in der Ruine der Aegidienkirche, unserem zentralen Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewalt.

Wir treffen uns hier seit mehr als 30 Jahren, immer am 6. August um 8 Uhr morgens, um daran zu erinnern: was mit Hiroshima, was mit Nagasaki passierte, darf nicht vergessen werden. Niemals soll sich wiederholen, was damals in den beiden japanischen Städten geschah!

Deshalb ist der 6. August, der "Hiroshima-Tag“, auch 74 Jahre nach dieser Menschheitskatastrophe für uns ein kein leeres Ritual, sondern ein unverzichtbarer Tag des Gedenkens, der Mahnung und des Lernens für die Zukunft.

Und diese Mahnung scheint wichtiger denn je! Obwohl die Zahl der Atomsprengköpfe in den letzten Jahren gesunken ist, kann man kaum von einer Abrüstung sprechen, da die vorhandenen Atomwaffen stetig modernisiert werden. Weltweit gibt es noch immer rund 14.000 Atomwaffen, die die Menschheit bedrohen. Einschließlich der auf deutschem Boden stationierten US-Sprengköpfe im rheinland-pfälzischen Büchel. Jede davon ausgestattet mit der mehrfachen Zerstörungskraft der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Einige Staaten erproben weiterhin neue Einsatzszenarien, entwickeln neue Atomwaffentypen und modernisieren bestehende Arsenale.

Der aktuelle Streit um das internationale Atomabkommen mit dem Iran, das Infragestellen bis hin zur Aufkündigung bestehender Verträge wie des INF Vertrags und die stagnierenden Verhandlungen über einen Atomausstieg Nordkoreas zeigen die aktuelle Krise der nuklearen Abrüstungsbemühungen auf und versetzen die Welt in Angst und Schrecken. Das darf nicht sein!

Im Städteappell von ICAN, den auch der Rat der Landeshauptstadt Hannover mit großer Mehrheit im Frühjahr 2019 beschlossen hat, heißt es:

"Unsere Stadt ist zutiefst besorgt über die immense Bedrohung, die Atomwaffen für Städte und Gemeinden auf der ganzen Welt darstellt. Wir sind fest überzeugt, dass unsere Einwohner und Einwohnerinnen das Recht auf ein Leben frei von dieser Bedrohung haben. Jeder Einsatz von Atomwaffen, ob vorsätzlich oder versehentlich, würde katastrophale, weitreichende und lang anhaltende Folgen für Mensch und Umwelt nach sich ziehen. Daher begrüßen wir den von den Vereinten Nationen verabschiedeten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen 2017 und fordern die Bundesregierung zu deren Beitritt auf."

Diese Forderung haben auch die 661 Mitgliedsstädte der Deutschen Sektion der Mayors for Peace an die Bundesregierung gerichtet. Bisher leider ohne Erfolg. Ist die Bündnisverpflichtung der NATO gegenüber wichtiger als ein Leben ohne Bedrohung durch Atomwaffen?

Unsere Gesellschaft, unsere Medien sind derzeit stark auf den Schutz unserer natürlichen Ressourcen, unseres Klimas fixiert. Ich gebe Georg Mascolo in seinem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung Recht, wenn er angesichts der unübersichtlichen Weltlage ein gleiches Engagement der Gesellschaft, gerade der jüngeren Generationen, für weltweites Abrüsten und Friedenssicherung vermisst und einfordert.2

Die existenzielle Gefährdung unserer Welt bekäme in diesen Tagen die Aufmerksamkeit, die sie verdiene.

Das Ende des INF-Vertrages aber bringe niemanden auf die Straße. Bekommen heutzutage „die Regierungen von ihren Bürgern nicht mehr genügend Druck, sich für atomare Abrüstung einzusetzen, weil Menschen nicht realisierten, wie groß die Gefahr tatsächlich sei?“3

Beides, Klimaschutz wie Friedenssicherung gehören gleichermaßen zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.

Die vollständige atomare Abrüstung ist das erklärte Ziel des weltweiten Netzwerkes "Mayors for Peace“, das 1982 von Hiroshima gegründet wurde und dem Hannover als Partnerstadt und Vizepräsidentin von Anfang an angehört. Weltweit treten 7.785 Städte und Gemeinden aus 163 Ländern mit weit mehr als einer Milliarde Menschen für dieses Ziel ein.

Ich freue mich sehr, dass am 11. und 12. November dieses Jahres die Executive Conference der Mayors for Peace hier in Hannover stattfinden wird, um Impulse für die Generalversammlung in Hiroshima im nächsten Jahr zu setzen.

Auch durch die Städtepartnerschaft tragen Hiroshima und Hannover zu Frieden, Völkerverständigung und den Abbau von Vorurteilen bei. Dies geschieht zum Beispiel durch Jugendbegegnungen, Kulturaustausch und Bürgerreisen zwischen unseren beiden Städten seit über 50 Jahren. Im Neuen Rathaus gibt es heute um 19 Uhr eine Live-Schaltung zu den Teilnehmenden des Deutsch-Japanischen Freundschaftskreises an der Jugendfriedenskonferenz in Hiroshima.

Besonders bedanken möchte ich mich beim Hiroshima Bündnis, der Deutsch Japanischen Gesellschaft Chadokai e.V. und dem Deutsch-Japanischen Freundschaftskreis Hannover-Hiroshima-Yukokai e.V., dem Arbeitskreis Hiroshima unter der Leitung von Hanna Kreisel-Liebermann und der Marktkirche sowie der offiziellen Kulturbotschafterin der Stadt Hiroshima, Hiroyo Nakamoto, für das Engagement bei der Gestaltung der Gedenkfeier.

Ganz herzlich bedanken möchte ich mich auch bei den Jugendlichen des CVJM, die in diesem Jahr wieder 1.000 Papierkraniche als Zeichen des Friedens und als warnendes Zeichen für die Zukunft gefaltet haben und diese am Altar niederlegen werden. Es ist die Aufforderung an uns alle, alles für den Frieden zu tun, an ihn zu glauben und für ihn einzutreten.

Niemand soll vergessen, was den Menschen in Hiroshima und Nagasaki zugestoßen ist.

Im Anschluss an die Worte von Superintendent Thomas Höflich werden wir im Gedenken an die grausamen Ereignisse vor 74 Jahren die Friedensglocke anschlagen.

 

Anmerkungen:

  • 1. John Hersey, Hiroshima, Hamburg 2005. Die Reportage erschien erstmals 1946 als Sonderausgabe des Magazins „The New Yorker“.
  • 2. Georg Mascolo, Es fehlt eine junge Generation, die sich für Abrüstung einsetzt, in: Süddeutsche Zeitung vom 04.08.2019
  • 3. Ebda

 

Thomas Hermann ist 1. Bürgermeister der Landeshauptstadt Hannover und Mitglied bei den Mayors for Peace.