Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2021 in Kiel

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 18 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Atompolitik Gefahr des Krieges

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

Covid-Pandemie, Klimakatastrophen und Bundestagswahlen haben eine Gefahr in den Hintergrund gedrängt, die wir alljährlich wieder aus dem Vergessen holen müssen: die Gefahr eines Atomkrieges. Schon vor gut drei Jahren, Anfang 2018 stellte die Wochenzeitung DIE ZEIT fest, dass die Atomwaffen eine „verdrängte Wirklichkeit“ seien, aber alles Verdrängte irgendwann wiederkäme. Doch jetzt sei die Angst vor dem Atomkrieg zurückgekehrt, und sie sei berechtigt. Sie führte damals drei Ereignisse auf, die das zu bestätigen scheinen: Ein Großalarm in Japan im August 2017, der die Bürger in die Schutzräume trieb, da eine nordkoreanische Rakete über die Insel Hokkaido hinweggerast war. Ein Workshop der US-amerikanischen Seuchenschutzbehörde im Januar 2018, auf dem Ärzte und Regierungsangestellte lernen sollten, wie sie sich bei einer atomaren Explosion verhalten sollten. Und eine Panik, die ebenfalls im Januar 2018 in Hawaii ausgebrochen war, nachdem an einem friedlichen Sonntagmorgen plötzlich auf den Displays aller Mobiltelefone eine Notfallwarnung erschien: „Ballistische Raketen im Anflug auf Hawaii. Suchen Sie sofort Schutz. Dies ist keine Übung.“ Mögen diese Ereignisse in der Tat die Rückkehr einer Angst signalisieren, so geben sie aber keinen Aufschluss darüber, ob diese Angst berechtigt ist. Da es sich in Japan und Hawaii um Fehlalarme handelte, könnte man sogar den Umkehrschluss ziehen und die Angst für unberechtigt halten – nur keine Panik, wir haben davon derzeit genug.

Eine Meldung jedoch, welche die Angst als durchaus berechtigt erscheinen lässt, fand nicht den Weg in die Medien. Ebenfalls im Januar 2018 hielt der Generalstabschef der britischen Armee, General Sir Nicholas Carter, vor dem „Royal United Service Institute“ einen Vortrag mit dem Thema „Dynamic Security Threats and the British Army“. Seine Thesen: Russland sei „der archetypische Vertreter einer Bedrohung für Großbritannien“ und daraus folge die Notwendigkeit, sich auf die Bedrohung vorzubereiten, „den Krieg zu führen, den wir vielleicht führen müssen“. Seine Worte zeichnen mit ungeschminkter Deutlichkeit ein erschreckendes Feindbild: „Ich will keinesfalls unterstellen, dass Russland in der traditionellen Definition des Begriffs in den Krieg ziehen will, aber es gibt Faktoren, die sich auf die Frage nach ihren Absichten beziehen und man muss die russische Psyche, ihre Kultur und ihre Philosophie der Prävention verstehen. Ich denke, Russland könnte die Feindseligkeiten früher einleiten, als wir erwarten, und viel früher, als wir es unter ähnlichen Umständen tun würden. Höchstwahrscheinlich werden sie schändliche Maßnahmen unterhalb der Schwelle gegenseitigen Beistands von Artikel 5 des NATO-Vertrages nutzen, um die Fähigkeit der NATO zu untergraben und die Struktur zu bedrohen, die unsere eigene Verteidigung und Sicherheit bedrohen (...). Die Parallelen zu 1914 sind überdeutlich. Unsere Generation hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges daran gewöhnt, Kriege nicht wirklich führen zu müssen – aber wir haben vielleicht keine Wahl hinsichtlich eines Konflikts mit Russland. Und wir sollten uns an Trotzkis Worte erinnern: ‚Du bist vielleicht nicht an Krieg interessiert, aber der Krieg ist an Dir interessiert‘.“ Die ganze Rede liest sich wie eine Aufforderung zur Mobilmachung gegen die Russen: „Als nächstes, denke ich, müssen wir uns darauf vorbereiten, den Krieg zu führen, den wir vielleicht führen müssen“ (1).

Inzwischen hat sich der Focus der Konfrontation von Russland nach China verschoben, was die Gefahr nicht verringert hat. Die USA haben sich in den territorialen Streitigkeiten Chinas mit mehreren Nachbarländern eindeutig gegen die Volksrepublik gestellt. Da ist vor allem die Taiwan-Frage, bei der das Organ der Kommunistischen Partei Chinas, die Zeitung „Global Times“, die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen sieht. Die chinesische Gesellschaft müsse daher den Mut haben, sich auf einen Krieg einzulassen, der darauf abziele, die zu schützen, und bereit sein, die Kosten zu tragen. …China müsse ein Land sein, das sich auf einen Kampf einlässt.

An martialischen Reden auch von Militärs gegen den Osten war zu Zeiten des Kalten Krieges kein Mangel. Aber vor dem Hintergrund der sich jetzt durchsetzenden Aufrüstung der NATO-Staaten, und ihrer aggressiven strategischen Konzepte gegen die beiden größten Atommächte nach den USA, ist die Angst vor einem drohenden Atomkrieg durchaus nicht abwegig.

Ein Atomwaffenverbotsvertrag ohne Atommächte.

Ein halbes Jahr vor der Carter-Rede waren in New York die Vertreter von 122 Staaten zusammengekommen, um einen Vertrag über das vollständige Verbot von Atomwaffen abzuschließen. Es sollte ein Meilenstein der Abrüstung werden, der das Entwickeln, Produzieren, Testen, Besitzen und Weitergeben, die Lagerung, das Drohen und den Einsatz verbieten sollte. Er sollte die Lücke schließen, die die Richter des IGH noch in ihrem Gutachten vom 8. Juli 1996 gelassen hatten, als sie über die Legalität der Atomwaffen zu urteilen hatten. Ihre grundsätzliche Ablehnung der Atomwaffen war klar: „Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts“. Sie sahen drei wesentliche Prinzipien des Völkerrechts verletzt:

  • Die mangelnde Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten,
  • die Zufügung unverhältnismäßiger Leiden und unnötiger Grausamkeiten und
  • die Verletzung der territorialen Souveränität unbeteiligter und neutraler Staaten.

Nur im Falle einer unmittelbaren Gefährdung der Existenz eines Staates meinten die Richter, „nicht genügend Grundlagen zu haben, die sie in die Lage versetzen, mit Sicherheit zu entscheiden, dass die Anwendung von Atomwaffen unter allen Umständen im Widerspruch steht zu Regeln des für den bewaffneten Konflikt verbindlichen Rechts“ (2).

Dieses Schlupfloch nutzten die Atommächte, ihr Arsenal und ihre Strategien auch weiterhin als rechtlich legitimiert zu betrachten und über die Abrüstungsverpflichtung, die die Richter zum Ausgleich in das Gutachten geschrieben hatten, hinwegzusehen.

Im Juli 2017 haben dann 122 Staaten in New York für den Atomwaffenverbotsvertrag gestimmt. Die entscheidenden Atommächte sind bis heute abwesend. Sie befanden sich bis auf China in Hamburg bei dem G20-Gipfel. 80 Unterschriften erhielt der Vertrag damals, 86 sind es jetzt. Aber jetzt haben schon 54 Staaten den Vertrag ratifiziert, und er ist am 22. Januar dieses Jahres in Kraft getreten.

Würde die Bundesrepublik den Vertrag ratifizieren, würde das allerdings für die Bundesrepublik erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. So müsste die Bundesregierung den Abzug aller in der Bunderepublik stationierten Atomwaffen von den USA fordern und alle Stationierungsabkommen kündigen, die sich auf Atomwaffen beziehen. Sie müsste alle Übungen der Bundeswehr mit Atomwaffen einstellen und darüber hinaus der Regierung der USA den Transport und die Lagerung von Atomwaffen über und auf deutsches Territorium untersagen. Das würde darüber hinaus auch die Beendigung der atomaren Teilhabe in der NATO bedeuten, und die Bundesregierung müsste ihre Mitarbeit in der nuklearen Planungsgruppe der NATO beenden. Allen verborgenen aber immer noch latenten Wünschen nach einer eigenen Atommacht wäre damit jede Aussicht auf Erfüllung entzogen.

Doch alle Freude darüber, dass der Vertrag nun in Kraft getreten und für 54 Staaten auch verbindlich ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dann die Atommächte nur verpflichtet werden, wenn sie selbst unterschreiben und ratifizieren – aktuell und bis auf weiteres nur ein Wunschtraum. Diese Skepsis beruht nicht einmal auf dem kurzen aber schmerzhaften Regierungs-Intermezzo von Donald Trump. Auch mit Obama oder seinem damaligen Vize und heutigen Präsidenten Biden standen und stehen die Chancen für einen vollständigen Verzicht auf Atomwaffen nicht besser.

Trump hatte schon im Wahlkampf erklärt: „Wir werden diese Waffen entwickeln müssen...Wir haben enorm viel Geld, um mit unserem Geld herumspielen zu können“. Einer seiner ersten Paukenschläge auf der internationalen Bühne war die Kündigung des mit Iran geschlossenen Atomabkommens und gleichzeitige Verhängung weiterer Sanktionen. Das war nur der Auftakt seiner eigenen Nuklearstrategie, die den neuen Nuclear Posture Review 2018 bestimmte. Seit 1993 hat jeder US-Präsident mit dem Review eine Übersicht über das nukleare Abschreckungspotential der USA und seine strategischen Einsatzoptionen gegeben. Bush 2002 und Obama 2010. Für Obama lag die größte Herausforderung in der nuklearen Proliferation und dem möglichen Nuklearterrorismus. Er war an der Reduzierung des Atomwaffenarsenals, der Rüstungskontrolle und der Stärkung des Nonproliferation-Vertrages interessiert.  Den NewStart-Vertrag zur Begrenzung der strategischen Atomwaffen hatte er 2010 unterzeichnet. Allerdings verzichtete auch er nicht auf den Ersteinsatz – jedoch nicht gegen Staaten, die nicht im Besitz vom Kernwaffen sind. Außerdem verzichtete er auf die Entwicklung neuer atomarer Sprengköpfe.

Trump hatte in seiner Nationalen Sicherheitsstrategie eine völlig neue Bedrohungslage bestimmt, die insbesondere durch Russland entstanden sei. Die Sezession der Krim 2014, die ja nicht nur in seinen Augen eine russische Annexion war, die militärische Einmischung in der Ost-Ukraine und der angebliche Verstoß gegen den INF-Vertrag waren für ihn höchste Warnsignale. Aber auch die Volksrepublik China sah und sieht er immer mehr mit ihrem Modernisierungsprogramm der Nuklearkapazitäten als Bedrohung an. Hinzu kamen Nordkorea, Iran und drohende Cyberangriffe. Trump war nicht allein mit diesem Bedrohungskomplex. In der NATO sieht das ihr Generalsekretär Stoltenberg ähnlich. Und selbst das ansonsten nüchterne Militär ist von diesem Russenbazillus befallen. Noch einmal der britische Generalstabschef Sir Nicholas Carter: „Ich glaube, es (Russland) stellt die komplexeste und fähigste staatliche Bedrohung für unser Land seit dem Ende des Kalten Krieges dar. Und meine Stabschefkollegen aus den USA, Frankreich und Deutschland teilten diese Ansicht.“

Biden nun hat Trumps Sicherheitsstrategie bisher nicht widersprochen und in diesem Jahr nur eine Interim National Security Strategic Guidance vorgelegt, in der er seine zentrale strategische Position bestimmt: die USA müssen ihren dauerhaften militärischen Vorsprung erneuern, so dass sie den täglichen Herausforderungen von einer Position der Stärke begegnen können. Biden ist noch nicht wieder in das Iran-Abkommen zurückgekehrt und hat keine der von Trump verfügten Sanktionen gelockert. Allerdings hat er sich mit Präsident Putin, den er vor kurzem noch als Killer bezeichnet hatte, über eine Erneuerung und Verlängerung um fünf Jahre des START-Vertrages bis 1926 verständigt – das ist der Vertrag zur strategischen Begrenzung der Atomwaffen.

NPT- und INF-Vertrag: der Weg zur Abrüstung.

Seit 1970 ist zudem der Nichtweiterverbreitungsvertrag (Non Proliferation Treaty, NPT) in Kraft, der zwar nicht die nukleare Aufrüstung in Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea verhindern konnte, aber doch den Stopp der Nuklearpläne Libyens, Südafrikas und des Iran für sich verbuchen kann. Die Verpflichtung, „ernsthafte Verhandlungen zur vollständigen atomaren Abrüstung“, die die Atommächte mit ihrer Unterschrift unter den Vertrag übernommen hatten, ist bis heute jedoch Papier geblieben.

Dem immer wieder proklamierten Abschied von den Atomwaffen sind die USA und die Sowjetunion auch mit dem INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty) von 1987, dem einzigen substantiellen Abrüstungsschritt, nur einen kleinen Schritt nähergekommen. Dieser von Reagan und Gorbatschow abgeschlossene Vertrag verpflichtet die beiden Parteien, landgestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometer sowie ihre Abschussvorrichtungen und Infrastruktur zu zerstören. Der Vertrag trat 1988 in Kraft und beendete die sogenannte Raketenkrise zwischen 1978 bis 1985. Bis 1991 wurden in der Tat 846 US-amerikanische Raketen und 1.846 sowjetische INF-Systeme zerstört. Im September des gleichen Jahres 1991 konnte Reagans Nachfolger George Bush auch die Beseitigung aller bodengestützten nuklearen Kurzstreckenraketen (Short-Range Nuclear Forces), den Abzug aller taktischen Nuklearwaffen (Cruise Missiles) auf US-Kriegsschiffen und den Abzug der Atombomben in Depots in Europa bis auf einige hundert bekanntgeben.

Mit diesem Rüstungshemmnis hat Präsident Trump 2019 Schluss gemacht. Während einer Wahlkampfveranstaltung hatte er schon getönt, dass er den INF-Vertrag kündigen werde, was vertraglich möglich ist. Russland verletze den Vertrag seit vier Jahren und das INF Arsenal der Chinesen gefährde die US-amerikanische strategische Position. Seinem Vorwurf, Russland habe sogenannte SSC-8-Raketen mit einer Reichweite von 2.800 Kilometern östlich des Ural in Jekaterinburg und am Kaspischen Meer aufgestellt, begegnen die Russen mit einem Hinweis auf US-Langstreckendrohnen, ballistische Mittelstreckenraketen und Abschussvorrichtungen für seegestützte Marschflugkörper. Eine Nachprüfung dieser wechselseitigen Vorwürfe ist kaum möglich, aber auch nicht nötig. Unmittelbar nach dem Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag hat nun auch Russland die Entwicklung neuer landgestützter Langstreckenraketen angekündigt. Der befürchtete Rüstungswettlauf ist bereits in vollem Gange.

Dazu gehört die Erweiterung der US-amerikanischen Nuklearoptionen um kleine, taktische, substrategische Atomwaffen. Diese „Mininukes“ haben eine vergleichbare Sprengkraft wie die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Bomben, 15 bis 20 Kilotonnen. Die US-Streitkräfte verfügen zwar derzeit über etwa 1.000 taktische Nuklearsprengköpfe, von denen ein Teil seit 2002 in Europa stationiert ist, sie sollen aber um seegestützte Langstreckenraketen und Marschflugkörper mit substrategischen atomaren Sprengköpfen ergänzt werden. Die Trump-Administration begründet diesen neuen Rüstungsschritt damit, dass die Abschreckung strategischer Atomwaffen nicht mehr überzeugend sei.        

Die Fixierung auf Russland hat sich inzwischen zunehmend auf China verlagert, das vor allem für die USA von zunehmender Bedeutung ist. Sie übergeht aber die Gefahr, die entsteht, wenn durch die kleinen atomaren Sprengkörper die Einsatzschwelle gesenkt wird. Dadurch wächst vor allem die Bedrohung schwächerer Staaten wie Korea oder Iran. Denn Trumps Nuklearstrategie hat den Verzicht Obamas, Staaten ohne Atomwaffen nicht mit Atomwaffen anzugreifen, wieder aufgegeben. Vor zwei Jahren, am 11. Juni 2019 hat der Vereinigte Generalstab der US-amerikanischen Streitkräfte eine neue Ausgabe der offiziellen Doktrin über den Einsatz von Atomwaffen (Joint Publication 3-72) herausgegeben. Sie verschwand zwar schnell wieder vom Schirm, weil sie offensichtlich gravierende Erweiterungen des Einsatzes von Atomwaffen enthält, sie ist aber noch in der Joint Electronic Library verfügbar. Dort ist zu lesen: „Der Einsatz von Atomwaffen könnte Bedingungen für entscheidende Ergebnisse und die Wiederherstellung der strategischen Stabilität schaffen.“ Und weiter: „Insbesondere wird der Einsatz einer Atomwaffe grundlegend das Ausmaß einer Schlacht verändern und Bedingungen schaffen, die beeinflussen, wie Kommandeure in einem Konflikt siegen werden.“ (4) Darin liegt allerdings die größte Gefahr nicht nur für die schwächeren Staaten. Aus jedem Einsatz atomarer Waffen kann sich unkalkulierbar und unkontrollierbar ein atomarer Schlagabtausch mit unvorstellbaren Dimensionen entwickeln.

Atomwaffen – ein deutscher Traum?

Die neue US-amerikanische Nuklearstrategie hat offensichtlich auch die deutsche Debatte über die atomare Bewaffnung wiederbelebt. Am 17. Oktober 2018 organisierte die „Gesellschaft für Sicherheitspolitik“ den 3. Berliner Sicherheitsdialog unter der Überschrift „Zukunft von Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung“. Da sprachen sich verschiedene Diskutanten wie zum Beispiel Thorsten Berner vom Berliner „Global Public Policy Institute“ und der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter für die Entwicklung eines europäischen Nuklearschildes aus, bei dem sie über die Beteiligung an der Finanzierung zweifellos eine Beteiligung auch an der Verwendung und dem Einsatz der Waffe im Auge haben. Teilnehmer war auch der Politologe Christian Hacke, emeritierter Professor der Universität Bonn, der sich wiederholt öffentlich für eine Atommacht Deutschland ausgesprochen hat. Dies mag derzeit eine allenfalls provokative Träumerei sein. Denn die atomare Bewaffnung Deutschlands bedeutet einen klaren Verstoß gegen den Zwei-Plus-Vier-Vertrag und würde den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag voraussetzen. Den hatte zuletzt Nordkorea 2003 verlassen.

Eine Finanzierung und Teilhabe an einer europäischen Atomwaffe halten die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages allerdings für rechtlich unbedenklich (3). Aber bei genauer Betrachtung unterläuft eine Mitbestimmung über den Einsatz einer europäischen Atombombe zumindest den Zwei-Plus-Vier-Vertrag, der in Artikel 3 bestimmt: „Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihren Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen. Sie erklären, dass sich auch das vereinte Deutschland an diese Verpflichtungen halten wird. Insbesondere gelten die Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 für das vereinte Deutschland fort.“ Ich halte die Nukleare Teilhabe an den US-amerikanischen Atombomben, wie sie derzeit von Deutschland praktiziert wird, für eindeutig verfassungswidrig (5). Sollte der Bundestag der Option der Bundesregierung zustimmen, als Ersatz für die veralteten Tornado-Kampfflugzeuge US-amerikanische F-18 Jäger als Träger der in Deutschland stationierten Atombomben zu kaufen, wäre damit für die nächsten 20 Jahre die Nukleare Teilhabe automatisch beschlossene Sache. Aus einer solchen Situation kommt man nur sehr schlecht wieder heraus.

Ist die Angst vor einem Atomkrieg also berechtigt oder Panikmache? Das Grauen, welches die Bomben über Hiroshima und Nagasaki verbreitet haben, verblasst allmählich und verliert seine weltweit abschreckende Wirkung, obwohl alljährlich daran erinnert wird. Dafür erleben wir eine demonstrative Abkehr von der Verpflichtung zur Abrüstung, die Rückkehr zu einer aggressiven Machtpolitik auf der Basis eines jederzeit und überall einsetzbaren atomaren Potentials und die Entwicklung neuer kleinerer Atomwaffen, die erneut einen Rüstungswettlauf entfachen wird. Das alles könnte uns nur dann nicht beunruhigen, wenn die Atommächte unter der Führung von rational kalkulierenden, verantwortungsvoll handelnden und verlässlichen Politikern ständen. Doch das ist nicht der Fall und das ist die Gefahr, die Angst macht.

Das Ende der Atombombe wird kommen, da bin ich optimistisch – es fragt sich nur, ob vor oder nach dem Ende dieser Zivilisation. Die Erde wird auch einige Atomexplosionen überleben, aber kaum wird das die Zivilisation können, die mit der Bombe spielt. Die Dinosaurier wurden Opfer eines Kometen, die atlantisch eurasische Zivilisation vielleicht Opfer ihrer Zerstörungswut. Aber irgendwo werden Menschen überleben, doch unter welchen Bedingungen.

Was können wir tun? So wichtig es ist, die Bundesregierung zur Aufgabe der Nuklearen Teilhabe und zur Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag zu bewegen, sollten wir uns nicht in der Illusion wiegen, dass dies ohne eine nachhaltige Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse möglich sei. Ein erster Schritt auf dem Weg raus aus den Atomwaffen wäre jedoch die Selbstverpflichtung der Atomwaffenstaaten, auf den Ersteinsatz in militärischen Auseinandersetzungen zu verzichten. Wenn kein Staat Atomwaffen als erster einsetzt, gäbe es überhaupt keinen Einsatz dieser Waffen mehr. Das wäre eine bedeutende Entscheidung für die Sicherheit in der Welt. Bisher hat nur China offiziell sich zu einem solchen Verzicht bekannt. Vor der UNO-Vollversammlung im Jahr 1972 erklärte der Vertreter der Volksrepublik, „dass China zu keinem Zeitpunkt und unter keinen Umständen als erstes Land Atomwaffen einsetzen wird.“ (6). Am 15. April 2021 haben die demokratische Senatorin Elisabeth Warren und der Abgeordnete des Repräsentantenhauses Adam Smith im Kongress einen No-First-Use-Gesetzentwurf eingebracht: „Es ist die Politik der Vereinigten Staaten, nicht zuerst Atomwaffen einzusetzen.“ (7) Fände dieser Entwurf die Mehrheit im Kongress, wären wir dem Verbot der Waffen ganz nahe. Und wäre es nicht ein sinnvoller Beitrag von uns, die Bundesregierung aufzufordern, diesen Gesetzentwurf im US-Kongress öffentlich zu unterstützen?,

Norman Paech ist XXX

 

Quellen:

  • Alle Zitate RT Deutsch vom 24. August 2018 „Worauf sich der Westen vorbereiten muss – Krieg mit Russland“.
  • IGH-Gutachten über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von oder der Drohung mit Nuklearwaffen vom 8. Juli 1996, ICJ Report 1996, Ziff. 94, 95.
  • „Völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands beim Umgang mit Kernwaffen“ WD2-3000-013/17, vom 23. Mai 2017; „Nukleare Teilhabe und Völkerrecht“, WD2-3000-089/08.
  • Rötzer, Florian, Pentagon: (Erst)Einsatz von Atomwaffen kann hilfreich sein, www.heise.de.
  • Paech, Norman, Mit der Bombe leben. Nukleare Teilhabe - F18 oder Abzug der Atombomben, in Junge Welt, v. 12. Mai 2020, S. 12-13.
  • (6) Vgl. Ullmann, Richard H., No First Use of Nuclear Weapons, foreignaffairs.com,
  • U.S.Nuclear Weapons Policy: Considering „No First Use“, Congressional Research Service, April 16, 2020, https://fas.org/sgp/crs/nuke/IN10553.pdf. Ausführlich Schwarz, Wolfgang, No First Use:Irrweg, Ausweg-oder…?, in: Das Blättchen, v. 28. Juni 2021.