Redebeitrag für den Ostermarsch Dülmen am 5. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Der vergessene Krieg in Syrien

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde

Ich habe mich auf dem Weg gemacht nach Dülmen mit der Bitte eines syrischen Freundes aus Gelsenkirchen.

Er lebt mit seiner Familie seit ca. 6 Jahren in Deutschland und hat Kontakt zu Verwandten und Freunden, Kollegen in Syrien. Auf meine Fragen, wie es ihm geht, sagt er sehr oft:  Es geht mir gut.

Aber beim letzten Treffen während eines Spazierganges erzählte er mir, dass es den Menschen in Syrien sehr schlecht geht und sie hungern. Die Nahrungsmittel sind um das Vielfache teurer geworden.  Vor dem Krieg entsprach ein Dollar 50 Lira, jetzt sind es 3000 Lira, um das 60-fache mehr.

Kein Fernsehen, keine Zeitung berichtet mehr über Syrien. Die Menschen werden vergessen.

Er bat mich, wenn es mir möglich ist, bitte darüber zu sprechen.

Nach der Bombardierung der Städte, ist es für die Menschen in Syrien unmöglich, Infrastruktur und menschenwürdige Lebensbedingungen wiederherzustellen. 2011 sind die ersten Sanktionen von der EU erlassen worden, die im letzten Jahr durch die US- amerikanische Regierung verschärft wurden, die sogenannten Caesar- Sanktionen. Diese seien offiziell zum Schutze der syrischen Zivilbevölkerung.  Sie wurden im letzten Dezember von beiden Parteien im Kongress unterstützt, um das Assad- Regime für begangene Gräueltaten zu bestrafen.

Ich möchte an einem Beispiel schildern, wie schikanös und lebensbedrohend sich die Sanktionen auf die Bevölkerung auswirken.:

Hierbei handelt es sich um die Spinnerei Al -Faisal in Aleppo.

Diese Spinnerei wurde 2005 gebaut. An hochmodernen Maschinen aus Deutschland und Europa wurden hochwertige Textilien für In- und Ausland, hergestellt. 2012 wurde die Spinnerei völlig zerstört und geplündert. 2017 hat man sie wieder aufgebaut und ist seit 2018 wieder in Betrieb. Dieser Betrieb könnte ein Strohhalm der Hoffnung sein, wenn nicht noch zusätzlich zu dem ganzen Elend Sanktionen stattfinden.

Aktuell sieht es so aus:

Ein Ersatzteil für die Spinnerei, in diesem Fall eine Reinigungsbürste, kann ohne Zustimmung der Bundesregierung nicht in Drittländer geliefert werden, die nicht auf der Liste stehen. Außerdem muss der Inhaber bescheinigen, dass dieses Ersatzteil nicht für die Produktion von chemischen und biologischen Waffen verwendet wird. Nur wenn diese Erklärung unterschrieben ist, wird in Berlin eine Ausfuhrgenehmigung erteilt. 

Vorher muss auf jeden Fall eine „Endabnehmererklärung“ unterzeichnet an den Exporteur im deutschen Wangen, zurückgeschickt werden, bevor das Ersatzteil nach Monaten geschickt wird. Diese Spinnerei kann jetzt nur für den syrischen Markt produzieren wegen der Finanzsanktionen. Ein anderes Problem sind fehlende qualifizierte Arbeitskräfte. Oft arbeiten dort junge Menschen, die die Schule abgebrochen haben, um mehrere Familien zu ernähren.

Ein anderes Problem ist die Landwirtschaft.  Die Preise für Nahrungsmittel sind sprunghaft gestiegen durch Treibstoffmangel und Transportkosten. Die syrischen Erdölressourcen im Nordosten des Landes sind von US- Truppen besetzt. Diese verhindern, dass das Öl nach Syrien gelangt. Die Grenzen, in den Irak, nach Jordanien oder Libanon, wo es wichtige Abnehmer syrischer Produkte gibt, seien geschlossen. Dünger für die Landwirtschaft kann nicht importiert werden, weil das darin enthaltene Ammoniumnitrat für Sprengstoff verwendet werden könnte.

Außerdem behindern die Sanktionen den Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur z.B. Die Wasserversorgung die durch den Krieg zerstört wurde. Geschäfte und kleine Unternehmen schließen, jeder versucht mit dem zu überleben, was er findet. Diejenigen, die das Geld bei den Banken im Libanon angelegt haben, können es aufgrund der libanesischen Finanzkrise nicht einmal abheben.

Die Liste dieser Schikanen lässt sich endlos lange fortsetzen,

An dieser Stelle möchte ich den maronitischen Erzbischof von Aleppo, Yousef Tobij zitieren:

Die Sanktionen töten viele Menschen. Heute gibt es in Syrien echten Hunger. Viele Menschen nähern sich einem langsamen und angekündigten Tod ohne mögliche Fluchtwege. Wenn man sich mit den Nöten und Leiden der Familien befasst, hört man Geschichten zum Weinen. Es könnte schlimmer nicht sein.” Ein ganzes Volk in einer Zeit wie dieser, in der es auch das weltweite Gespenst der Pandemie gibt, in derartige Bedrängnis zu bringen, ist terroristisch, unmenschlich. Und ein Zeichen dafür, dass man bereit ist, alles zu tun, um die eigenen Ziele zu verfolgen, auch dazu, Millionen von Menschen, Arme und Familien, zu opfern. Es ist eine diabolische Aktion.“

Über 90 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. 6 Mill. Kinder leiden unter Nahrungsmangel, schwere körperliche und psychische Traumata, Zwangsrekrutierungen, fehlenden Schulbesuch und es bleiben nur düstere Zukunftsperspektiven. Eine Generation, die verloren ist und nur Militär und Gewalt kennt.

Nach Auskunft eines UNO Mitarbeiters sind die europäischen und amerikanischen Sanktionen der Hauptgrund für den Niedergang des syrischen Gesundheitssystem.

Der UN -Menschenrechtsrat forderte in einer öffentlichen Erklärung die USA auf diese Sanktionen gegen Syrien aufzuheben. Es wird Zeit, es wird allerhöchste Zeit.

Jetzt kommt es darauf an, dass unsere Regierung Verantwortung zeigt, Verantwortung, die immer dann betont wird, wenn es um Auslandseinsätze geht. Dabei sein möchte sie gerne, aber danach, nichts wie weg!

Wir verurteilen Sanktionen, weil sie eine Fortsetzung des Krieges sind und wir erwarten, dass auch die europäischen Länder, einschließlich Deutschland ihre Haltung ändern und sich für ein Ende der Sanktionen einsetzen. Syrien braucht unsere und auch internationale Hilfe.