Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Marburg

 

- Sperrfrist: 1.9.21, Redebeginn: 16 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Marburgerinnen und Marburger,
Liebe Freundinnen und Freunden,

mit einem militärischen und politischen Fiasko ist der größte und längste Militäreinsatz der NATO und der Bundeswehr vor wenigen Tagen zu Ende gegangen.

Der Afghanistan-Krieg war von Anfang an falsch.

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.  Und so begann der Krieg mit einer Lüge.

Verteidigungsminister Peter Struck von der SPD rechtfertigte den Krieg damals mit der Behauptung, am Hindukusch werde die deutsche Sicherheit verteidigt. Der sogenannte Kampf gegen den Terror, die Verteidigung der Frauenrechte und die Einführung der Demokratie wurden als Gründe vorgeschoben.

Es ist jedoch offensichtlich, dass es bei dem Krieg nicht um den Terror ging. Denn die Strategie des Antiterrorkrieges mit seinen Drohnenschlägen, Spezialkräfteeinsätzen und Geheimdienstoperationen und die Besatzung haben nicht zu einer Beendigung des Terrors geführt, sondern zu seiner Ausbreitung in weitere Regionen.

Sie haben schätzungsweise 185.000 Zivilistinnen und Zivilisten das Leben gekostet und damit sowohl den Taliban als auch Gruppen wie dem IS neue Unterstützer*innen gebracht.

Es ging auch nicht um Demokratie. Die von der US-Regierung und der Bundesregierung gestützte Marionettenregierung war korrupt und sie war verhasst im Land. Der nahezu widerstandslose Durchmarsch der Taliban hat das deutlich vor Augen geführt.

Es ging auch nie um die Menschen in Afghanistan. Nach 20 Jahren Besatzung ist die soziale Lage verheerend. Rund 80 Prozent der Menschen leben nach wie vor unterhalb der Armutsgrenze. Rund 3,7 Millionen Kinder in Afghanistan gehen laut einer UN-Studie aus dem Jahr 2019 nicht zu Schule – 60 Prozent davon sind Mädchen.

Ich erinnere mich an meinen Aufenthalt in Kundus im Januar 2010. Gemeinsam mit meinem Fraktionskollegen Jan van Aken war ich dort hingereist, um mit den Opfern der Bombardierung von Kundus zu sprechen.

Schon damals konnten wir erfahren, was der Krieg bedeutet. Er hat Leben und Familien zerstört. Und es ist auch der Umgang der Bundesregierung mit dem Kriegsverbrechen, der weiterhin Lebensgrundlagen zerstört.

Die Bundesregierung hat trotz anderer Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss immer wieder dieselben Lügen wiederholt. Die Gerichte haben das aufgegriffen.

Und so wurde der für den Bombenabwurf verantwortliche Oberst Klein nicht nur freigesprochen, sondern zum General befördert. Die Opfer von Kundus, Verletzte und Angehörige der Toten wurden nie ordentlich entschädigt.

Die Schande Deutschlands in Afghanistan beginnt schon früher als zu dem Zeitpunkt, von dem an die Ortskräfte der Bundeswehr im Stich gelassen wurden. 12 Jahre nach dem Kundus-Massaker muss die Bundesregierung endlich ihrer Verantwortung gerecht werden!

Worum ging es den USA und Deutschland bei dem Afghanistan-Krieg wirklich? In Wirklichkeit ging es ihnen um den geostrategischen Einfluss in dieser geopolitisch so wichtigen zentralasiatischen Region.

Für die Bundeswehr war der Einsatz in Afghanistan auch ein Testfeld, um Deutschland zum globalen Akteur zu machen. Es war der erste große Miliäreinsatz mit dem Einsatz von Bodentruppen. Über 150.000 Bundeswehrsoldatinnnen und Soldaten waren im Krieg in Afghanistan stationiert.

Bundeswehr-Soldaten lernten an der Seite der US-Armee das Töten und wurden getötet. 59 Soldaten verloren ihr Leben. Ein ranghoher Militär bilanziert: „Wir haben gezeigt, dass wir militärisch mithalten können.“

Roderich Kiesewetter von der CDU brachte es kürzlich in den Tagesthemen auf den Punkt: man dürfe nicht zulassen, dass China der strategische Gewinner in der Region sei.

Ja, es geht um wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Das ist die schlichte Wahrheit und das weisen wir zurück.

Dass sich die Sorge der Bundesregierung nicht um das Schicksal der Menschen in Afghanistan dreht zeigen auch die Ereignisse der letzten Wochen.

Monatelang hat die Bundesregierung die Evakuierung gefährdeter Personen verschleppt. Mit dem Bundeswehr-Mandat wollte die Bundesregierung dann Handlungsfähigkeit vorgaukeln und das Scheitern des NATO-Krieges sowie ihr Evakuierungs-Fiaskos kaschieren.

Es handelte sich um ein sog. „robustes Mandat“, das den Gewalteinsatz in ganz Afghanistan erlaubt. Die Entsendung von Kampftruppen in diese explosive und unübersichtliche Situation ist verantwortungslos. Aus linker Sicht war die Zustimmung unmöglich.

Die Bundeswehr hat insgesamt rund 5000 Menschen ausgeflogen. Dem Großteil der von den Taliban bedrohten Menschen wurde nicht geholfen. Das ist ein Skandal!

Wir müssen uns für die Aufnahme von allen Menschen einsetzen, die Afghanistan verlassen wollen. Es braucht offene Fluchtwege in die Nachbarstaaten Afghanistans und in die sowie innerhalb der Europäischen Union. Es müssen Visa vergeben werden und dafür die Botschaften in den Nachbarländern aufgestockt werden. Es braucht eine massive Aufstockung des UN-Flüchtlingsfonds für Afghanistan. Abschiebungen müssen dauerhaft gestoppt werden.

Doch anstatt jetzt gefährdeten Menschen sichere Fluchtwege zu ermöglichen macht die Bundesregierung das Gegenteil.

Armin Laschet warnt vor einem „neuen 2015“. Innenminister Seehofer wiederholt gebetsmühlenartig, dass nicht „alle“ einreisen dürfen, die einreisen wollen und fordert schärfere Grenzkontrollen. Bis vor wenigen Wochen wollte Seehofer noch Afghanistan abschieben. Bei seinem Besuch in Pakistan versprach Außenminister Heiko Maas neben humanitären Hilfsgeldern auch Geld für Projekte im Bereich Grenzmanagement. Deutschland, die EU und die NATO-Staaten schotten sich ab und lassen die Menschen erneut zurück.

Das macht deutlich, dass Friedenspolitik nicht nur antimilitaristisch sein kann. Sie muss antirassistisch sein und sich für offene Grenzen stark machen.

In diesen Tagen wird viel über die Konsequenzen und Lehren aus „Afghanistan“ geredet. Wir fordern eine ehrliche Bilanz!

Während der US-Krieg in Afghanistan so endet wie er begann – mit Drohnenangriffen und zivilen Toten – fordert Armin Laschet jetzt erneut die Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr. Söders Konsequenz aus Afghanistan ist: Die Bundeswehr muss noch „robuster“ in Einsätze geschickt werden.

Angesichts dieser „Flucht nach vorne“ ist das Verhalten von SPD und GRÜNEN umso fataler: Olaf Scholz will auch Kampfdrohnen und Annalena Baerbock hat dazu nicht viel zu sagen, weil DIE GRÜNEN ihr prinzipielles Nein zu Kampfdrohnen aufgegeben haben.

Olaf Scholz rühmt sich, einen Rekord-Militärhaushalt mitverantwortet zu haben und das Future Combat Air System.

Anna-Lena Baebock will „nicht ausweichen“ und bekennt sich zur NATO.

Das ist kein „Linksrutsch“, liebe Freundinnen und Freunde, das bedeutet eine Fortführung der interventionistischen Außenpolitik und Aufrüstung wie wir sie seit der Zeit der rot-grünen Bundesregierung kennen.

Gegen diese Politik der Militarisierung und Aufrüstung brauchen wir eine starke Stimme auf der Straße und im Bundestag, die sagt: In den Kriegen der Herrschenden geht es nie um Menschenrechte oder Demokratie. Es geht um Einflusssphären und geopolitische Konkurrenz.

Nach 20 Jahren Krieg gegen Terror sollte klar sein: Wir müssen mit Nachdruck für die Beendigung aller Auslandseinsätze und für den Stopp der Waffenlieferungen eintreten.

Mit dem Ende des Afghanistan-Einsatzes ist Mali nun der größte Bundeswehr-Einsatz. Wie in Afghanistan setzt die Bundesregierung in Mali darauf, mit militärischen Mitteln die Bedingungen für Frieden und Entwicklung zu schaffen. Was in Afghanistan katastrophal gescheitert ist, funktioniert auch in Mali nicht.

Die Bundeswehr-Ausbildung wirkt wie ein Brandbeschleuniger für Konflikte. Staatliche Sicherheitskräfte sind verantwortlich für ungesetzliche Tötungen, oft im Rahmen von sog. Antiterroroperationen.

DIE LINKE hat von Anfang an gesagt: Militärinterventionen bringen keine Sicherheit. Wer diese Armeen weiter ausrüstet, berät und militärisch ausbildet, macht sich mitverantwortlich.

Auch in Mali zerstört der sog. Antiterrorkampf Familien und Leben. Anfang des Jahres bombadierten Kampfflugzeuge der mit der Bundeswehr verbündeten französischen Armee eine Hochzeitsgesellschaft im malischen Dorf Bounti. Auch hier zieht sich die Bundesregierung aus der Verantwortung.

Und wie in Afghanistan geht es der Bundesregierung mit ihren Militäreinsätzen nicht um die Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Es geht um Migrationsabwehr und darum, den Einfluss Deutschlands in der Welt zu vergrößern.

Aus der afghanischen Katastrophe lernen heißt: Demokratie, gesellschaftlicher Fortschritt und Sicherheit können nicht mit Kriegen von außen aufgezwungen werden.

Die Bundestagswahl ist auch eine Wahl über den künftigen Kurs in der Außenpolitik.

Armin Laschet hat schon deutlich gemacht, wo er hinwill: Er will die Flucht nach vorne Antreten, Kampfdrohnen beschaffen und die Bundeswehr hochrüsten.

Olaf Scholz rühmt sich, für den größten Militärhaushalt der Nachkriegsgeschichte mit verantwortlich zu sein.

Annalena Baerbock ist Kanzlerkandidatin der Partei, die den Afghanistankrieg mit begonnen hat und die ihr prinzipielles Nein zu Kampfdrohnen aufgegeben hat.

Sie alle fordern DIE LINKE gerade auf, ihre Außenpolitischen Positionen über Bord zu werfen.

Nicht wir haben unsere Haltung zur NATO und zu Auslandseinsätzen zu überdenken.

Für einen Abzug der Bundeswehr aus den Auslandseinsätzen.

Für ein Exportverbot von Waffen und Rüstungsgütern.

Für ein klares Nein zur Beschaffung von Kampfdrohnen.

Für Abrüstung statt Aufrüstung.

80.000 Menschen demonstrierten nach Beginn des Afghanistankrieges in Berlin, Stuttgart und anderen Orten gegen den Krieg.

In den Jahren danach gab es immer wieder Demonstrationen und Konferenzen der Friedensbewegung gegen den Krieg in Afghanistan. Daran müssen wir jetzt alle gemeinsam anknüpfen.

Diesen Samstag erinnern wir an den Jahrestag des Massakers von Kundus, am 7.10.21 jährt sich der Kriegsbeginn zum 20. Mal.

Eine große Mehrheit in der Gesellschaft steht den Auslandseinsätzen und der Aufrüstung kritisch gegenüber.

Machen wir gemeinsam diese Stimme laut hörbar.

Vielen Dank.

 

Christine Buchholz ist Mitglied des Deutschen Bundestages für die Fraktion Die Linke.