Redebeitrag für den Ostermarsch Eschwege am 20. April 2019

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Anwesende,

ich überbringe ganz herzliche Grüße vom Kasseler-Friedensforum. Einige von uns sind heute hier auch dabei. Wir freuen uns sehr, dass sich in unserer Nachbarschaft Menschen zum „Friedensforum Werra-Meißner-Kreis“ zusammengefunden haben. Ja, der Frieden braucht Bewegung, mehr Bewegung, nur so können wir den Aufrüstungskurs in diesem Land und darüber hinaus stoppen – gemeinsam sind wir stärker!

Ich will ein Weniges zu der Frage sagen: Wie kann die Friedensbewegung erfolgreich sein? Das ist eine Frage, die uns in Kassel immer wieder beschäftigt, denn es kann ja nicht nur darum gehen, dass wir zu Ostern Flagge zeigen, sondern es geht darum, dass der gefährliche und sündhaft teure Kurs der größten Aufrüstung in der Geschichte der Bundesrepublik, dass der Aufbau einer weltweit einsatzfähigen Interventionsarmee, dass Rüstungsexporte (sogar in Kriegsgebiete wie den Jemen) und dass die Stationierung neuer atomarer Raketen in Europa tatsächlich gestoppt werden. (Man reibt sich ja manchmal die Augen, denn das Problem Mittelstreckenraketen schien doch durch den INF-Vertrag gelöst – aber jetzt wurde er von Trump und dann auch von Putin gekündigt.) Diesen Wahnsinn zu stoppen, ist auch angesichts der wirklich drängenden Fragen, wie der des offen beschleunigten Klimawandels, der zunehmenden Vergiftung der Umwelt und der dramatisch wachsenden sozialen Ungerechtigkeiten tatsächlich eine Überlebens-Frage. Und man darf auch nicht vergessen: Der Krieg ist immer ein großer Zerstörer der Umwelt, wie derzeit in Syrien oder in Jemen zu sehen ist.

Wenn ich mich hier umschaue, so sehe ich zwar eine stattliche Zahl von friedensengagierten Menschen, aber wir stellen andererseits im Vergleich zu denen, die jetzt noch Ostereinkäufe machen oder in die Ferien geflogen sind, gewiss eine recht kleine Zahl dar. Wir sind vermutlich diejenigen, welche die Gefährlichkeit der neuerlichen Aufrüstung und die Dringlichkeit einer neuen Entspannungspolitik klarer als viele andere sehen. Aber auch wenn wir momentan eine Minderheit sein mögen, ist es nicht aussichtslos, die wahnsinnigen Projekte zu stoppen. Auch Minderheiten – das weiß man aus der Sozialpsychologie schon lange – können die Politik entscheidend beeinflussen. Dazu müssen sie aber zwei Prinzipien folgen:

Erstens müssen sie konsequent und beharrlich ihre Position vertreten!

Und zweitens müssen sie offen und flexibel auf andere zugehen.

Das genau muss die Friedensbewegung jetzt tun: Wir müssen immer wieder konsequent und öffentlichkeitswirksam sagen:

Nein, zum Plan, die Rüstungsausgaben in den nächsten Jahren annähernd zu verdoppeln und Nein zur Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa. Das wäre dramatisch gefährlich und verpulvert das Geld, das dringend für Anderes gebraucht wird.

Nein zu den Waffenexporten und Nein zur Rüstungsindustrie. Konversion zu sinnvollen Projekten, z.B. solchen, die mit der Verkehrswende zu tun haben.

Nein zum Aufbau einer europäischen Interventionsarmee. Europa soll ein Friedensprojekt werden und seine ganze Kraft für weltweite Entspannung und friedlichen, fairen Handel sowie eine nachhaltige Entwicklung einsetzen.

Diese Forderungen müssen wir konsequent immer wieder in die Öffentlichkeit tragen. Und das ist auch deshalb aussichtsreich, weil die große Mehrheit der Deutschen diese Aufrüstung nicht will, weil sie fühlt und weiß, dass das hirnverbrannter Blödsinn von machtbesessenen Politikern und Politikerinnen ist. Weil sie ahnt, dass das von einigen Superreichen vorangetrieben wird, die sich davon gigantische Profite und die Ausdehnung ihrer Einflusssphären versprechen.

Aber gerade weil es für diese Politik keine Mehrheit in der Bevölkerung gibt, werden von der herrschenden Politik und den Leitmedien seit geraumer Zeit ständig „Nebelbomben“ gezündet, die uns die klare Sicht nehmen sollen. Und wir müssen leider feststellen, dass davon manches auch verfängt – sogar bei einigen an sich friedensbewegten Leuten.

Eine zentrale Rolle spielt dabei der Konflikt um die Ukraine mit seinen tragischen Folgen für die dort lebende Bevölkerung. Der Westen möchte das Land seit langem ganz in sein Lager ziehen, Russland will das nicht zulassen – (die NATO stünde dann etwa 350 Km vor Moskau). Deshalb gibt es dort den schwelenden Bürgerkrieg, der immer wieder neu ausbrechen kann. Russland gilt deshalb als aggressiv, der Westen gibt sich als Vorkämpfer der Freiheit der Menschen. Die lange Geschichte dieses Konfliktes ist höchst aufschlussreich, ich kann sie hier natürlich nicht einmal ansatzweise beschreiben. Es lohnt sich dazu z. B. in das Buch „Eiszeit“- Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“ von Gabriele Krone-Schmalz zu schauen, oder auch auf YouTube den Film „Wir werden 7 Länder in 5 Jahren angreifen“. Diesen Film schaue ich mir manchmal an und er empört mich immer wieder aufs Neue, weil der Zynismus der imperialen Militärstrategie der USA von eigenen Vertretern (General Wesley Clark, Barak Obama und George Friedman) darin offen ausgesprochen wird. Kurz gesagt ist es so, dass die Außenpolitik der USA seit mehr als 100 Jahren schon das Ziel verfolgt, dass Deutschland und Russland nicht zusammen kommen dürfen, sondern in Feindschaft gebracht werden sollen. Auch das ist ein Hintergrund des Ukraine-Konfliktes.

Konsequent bezüglich des Ukraine-Konflikts zu sein, heißt für die deutsche Friedensbewegung klar zu sagen, dass die Aufrüstung, die Stationierung von neuen Raketen, die Verlagerung von Truppen an die russische Grenze der falsche Weg sind. Wer mit seinem Nachbarn in Frieden leben will, der muss dafür sorgen, dass dieser sich nicht bedroht fühlen muss – das gilt für beide Seiten.

Aus meiner Sicht ließe sich der Ukrainekonflikt durchaus und sogar rasch lösen, wenn die ausländischen Mächte bereit wären, einen international bestätigten Vertrag zu erarbeiten, der festlegt, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO wird, sondern neutral bleibt und abrüstet. Aber das ist zur Zeit vom Westen nicht gewollt u. a. deswegen, weil der Konflikt als Begründung für das gigantische Aufrüstungsprogramm gebraucht wird. Und Russland hält den Konflikt am Leben, weil statutengemäß ein Land im Bürgerkrieg nicht in die NATO aufgenommen werden darf.

In dieser Frage muss die Friedensbewegung einen klaren Kopf bewahren und trotz der Nebelbomben darauf beharren, dass eine neue Entspannungs- und Verständigungspolitik auf den Weg gebracht wird – sonst bekommen wir nach der Kündigung des INF Vertrages bald neue Atomraketen nach Europa, welche die Gefahr eines verheerenden – auch eines versehentlich ausgelösten - Krieges drastisch steigern werden, weil die Vorwarnzeiten immer kürzer werden.

Eine zweite große Front mit Nebelbomben wird vor dem Projekt des Aufbaus einer eigenständigen Europäischen Armee gezündet. Hier wird uns erzählt, dass die USA inzwischen unzuverlässig seien und wir unsere Verteidigung selbst in die Hände nehmen und eben aufrüsten müssten. Die Leitmedien appellieren dabei sogar an unser Mitleid, indem immer wieder berichtet wird, wie veraltet und marode die Geräte der Bundeswehr angeblich seien. Tatsächlich aber geht es darum, eine Armee aufzubauen, die weltweit militärisch intervenieren können soll (einschließlich der darum gelagerten Rüstungsindustrien). Aber wo bitte ist der Feind, gegen den wir militärisch aufrüsten müssten? Was soll der Aufbau neuer Rüstungsindustrien bringen – (außer vielleicht Profite für eine kleine Zahl von Aktionären)? Auch diesbezüglich gilt es konsequent zu sagen:

Nein, das ist der falsche Weg: Wir brauchen friedlichen, fairen Handel mit aller Welt! Europa soll eine Friedensmacht sein, ein Kontinent, der sich für Entspannung und Versöhnung einsetzt und anderen Ländern Entwicklungshilfe gibt, die sie unabhängiger macht, die Demokratie stärkt und ökologisch nachhaltige Produktionsweisen fördert. Da ist viel Geld und Engagement notwendig und dafür braucht es genau die Milliarden, die unsere Regierung derzeit leider bereit ist, für gefährliche Rüstungsprojekte aufzubringen.

Wie kann man diesen Politikwechsel erreichen? Neben dem konsequenten Beharren auf friedenspolitischen Positionen, geht es jetzt darum, aktiv auf andere Menschen, auf neue Bewegungen zuzugehen und neue Kontakte und Bündnisse zu knüpfen. Das Kasseler-Friedensforum versucht, mit bewährten und mit neuen Mitteln eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und zu Aktionen aufzurufen. Indem wir z. B. dorthin gehen, wo andere Menschen sich versammeln, Flugblätter verteilen und das Gespräch suchen. Besonders gut ging das z. B. bei der letzten „documenta“, wo lange Schlangen von Wartenden vor den Ausstellungsorten standen und gerne etwas zu Lesen in die Hand nahmen.

Aber auch auf die neuen Bewegungen der „Seebrücke“ und „fridays for future“ gehen wir offen und solidarisch zu und wollen auch von ihnen lernen (ihre Ungeduld ist richtig – unser langer Atem auch). Auf dem Kasseler Ostermarsch, am kommenden Montag, werden Aktivisten von beiden Bewegungen sprechen.

Aber wir müssen auch auf gänzlich Andersdenkende zugehen und das Gespräch mir ihnen suchen, z. B. in den Parteien. Das kostet manchmal etwas Mut. Ich denke gute Gelegenheiten bieten sich dazu im jetzt laufenden EU-Wahlkampf.

Um eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, betreibt das Kasseler-Friedensforum eine eigene Webseite, auf der man sich viele gute Informationen beschaffen kann. Dafür sind uns z. B. das Portal „Nachdenkseiten“ und auch die Sendungen der „Anstalt“ im ZDF eine große Hilfe.

Nützlich ist uns auch ein sehr großer Mailverteiler, über den wir zu Veranstaltungen und politischen Vorgängen informieren.

Und last not least trifft sich unsere Gruppe jede Woche montags in der Buch-Oase. Dort beraten wir über aktuelle Entwicklungen, laden uns manchmal Gäste ein und planen Aktionen. Das gibt Kraft, an unseren wahrlich großen Aufgaben nicht zu verzweifeln.

Ich habe vor kurzem das Buch „Chaos: Das neue Zeitalter der Revolutionen gelesen.“ Es hat mir Mut gemacht, denn es ist absehbar, dass die imperialen, militärischen und naturzerstörerische Pläne der gegenwärtig Herrschenden nicht aufgehen werden, sondern auf die eine oder andere Weise in ein Chaos führen. Das wird sicher nicht gemütlich, aber es beinhaltet auch Chancen für positive Veränderung, die wir aber nur dann werden nutzen können, wenn wir heute klare Positionen beziehen und solidarische, breite Bündnisse für ein friedliches und nachhaltig wirtschaftendes Morgen knüpfen.

Ich freue mich daher auf die künftige Zusammenarbeit mit den Friedensbewegten aus dem Werra-Meißner-Kreis.

 

Dr. Felix Winter ist aktiv beim Kasseler Friedensforum.