Redebeitrag für den Ostermarsch Aschaffenburg am 20. April 2019

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

danke für Einladung. Freue mich, dass auch in Aschaffenburg die Tradition des Ostermarsches lebendig geblieben ist. Angesichts aktueller und drohender Kriege ist ein starkes Engagement für die im Aufruf angesprochenen Themen dringender denn je.

Wie zugespitzt die Lage mittlerweile ist, demonstrierte beispielhaft vor zwei Wochen das „heute journal“, als Moderator Claus Kleber ohne Vorwarnung den Beginn eines Krieges zwischen der NATO und Russland verkündete. „Amerikanische, deutsche und andere europäische Verbündete“ seien seit heute Nacht „zu Wasser und zu Luft“ „unterwegs nach Estland“, um „russische Verbände zurückzuschlagen“, begann Kleber am 4. April die Abendnachrichten des ZDF [1]

Es folgte dann zwar die Entwarnung, das von ihm skizzierte Szenario, das wohl den Beginn des 3. Weltkrieges bedeutet hätte, sei aber „eine realistische Vision“, so Kleber weiter. Dass dies im ZDF tatsächlich so gesehen wird, darf bezweifelt werden. Der zum außenpolitischen Establishment zählende ZDF-Moderator nutzte den skandalösen Einstieg in die öffentlich-rechtlichen Nachrichten nur als Auftakt zu einem Werbeblock für die NATO, die an diesem Tag ihr 70jähriges Bestehen feierte. Die Allianz, die seit 70 Jahre in einer beispiellos erfolgreichen Geschichte den Frieden in Europa sichere, wie er und das ZDF glauben machen wollen, würde brüchig. Was kann sie besser wieder zusammenschweißen und stärker ihre Akzeptanz in der Bevölkerung fördern, als ein gefährlicher bösartiger Feind? Wie in vielen Nachrichtensendungen zuvor, zielte Klebers „realistische Vision“ vor allem auf die Stärkung eines alten Feindbildes, das Bild des „bösen Russen“, der an den Grenzen des zivilisierten Teils Europas lauert.

Mit der Realität hat dies bekanntlich wenig zu tun. Nicht Russland ist nach Westen vorgedrungen, es war die NATO, die an die Grenzen Russlands vorrückte, politisch unterfüttert durch die Ausbreitung der EU. Und es ist die NATO, die im Osten kontinuierlich große, gegen Russland gerichtete große Manöver durchführt, allein letztes Jahr 100. [Beim bisher größten letzten Herbst waren 40.000 Soldaten im Nordosten Norwegens und im Nordatlantik im Einsatz, wenige hundert Kilometer vor Murmansk. Die Bundeswehr stellt mit rund 8.000 Soldaten  eines der größten Kontingente.]

Die NATO hält über 3,5 Millionen Soldaten unter Waffen, davon 2 Millionen in Europa – Russland und seine Verbündeten nicht einmal 1 Million. Während Russland seine Rüstungsausgaben seit 2016 senkt, verpflichteten sich die NATO-Staaten, ihre Militärausgaben sukzessive auf zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes zu steigern. Dabei geben sie bereits jetzt weit mehr fürs Militär und ihre Kriege aus, als der Rest der Welt zusammen, insges. 60%, das sind 15-mal mehr als Russland.

Allein mit Blick auf das Kräfteverhältnis, ist es absurd, Moskau aggressive Absichten zu unterstellen. Russland ist nicht unser Feind ‒ er soll nur dazu gemacht werden.

Das gleicht der Situation vor 70 Jahren als die NATO gegründet wurde. Auch damals, zu Beginn des sog. „Kalten Krieges“ hatte die NATO keinen Feind. Selbst der „Vereinigte Geheimdienststab“ der USA war damals zum Schluss gekommen, dass die Sowjetunion weder die Fähigkeit noch den Willen zur Konfrontation mit den USA und ihren Verbündeten habe, sondern sich auf den Wiederaufbau und die Sicherung ihres Einflussgebietes konzentrieren müsse.

Die NATO war nie ein Verteidigungsbündnis. Sie war in erster Linie dazu bestimmt, eine Weltordnung abzusichern, in der die USA und ihre westl. Verbündeten über das Gros der Reichtümer u. Ressourcen der Welt verfügen. Sie ist zudem bis heute ein wichtiges Instrument der USA, um eine enge Zusammenarbeit der europäischen Mächte unter ihrer Führung sicherzustellen und die innerimperialistische Konkurrenz unterm Deckel zu halten. Unterm Stichwort „Rollback“ ging es ab 1949 darum, sukzessive die Kontrolle über diejenigen Gebiete wiederzuerlangen, die nach den Kriegen einen nichtkapitalistischen Weg eingeschlagen hatten, zunächst vor allem Russland und Osteuropa. Teilweise ist dies gelungen.

Der damalige „Kalte Krieg“ war so wenig „kalt“ wie es der neue gegen Russland ist. Auch wenn eine direkte Konfrontation ausblieb, so waren auch die ersten 40 Jahre NATO geprägt von zahlreichen Kriegen und Interventionen der USA und ihrer europ. Verbündeten. Ob in Korea, im Iran, Kuba, Vietnam  oder Nicaragua, nie ging es allein gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen dieser Länder, stets spielte die Konkurrenz zur SU und auch zu China eine bedeutende Rolle. Bei allen Kriegen leistete die NATO Unterstützung. Das Netz von Militärbasen, das im Rahmen der Nato geschaffen wurde, mit dem Schwerpunkt in Westdeutschland, diente stets als Basis.  

Die ab 1990 einsetzende offen aggressive Kriegspolitik der Nato bedeutet daher keinen Kurswechsel der Allianz vom „Verteidigungsbündnis“ zum „Interventionsbündnis“ wie es oft heißt. Die NATO-Staaten hatten nun, nach dem Zusammenbruch der SU und der Warschauer Paktes, nur völlig freie Hand für eine Politik, die sie seit ihrer Gründung verfolgen.

Drastisch wurde uns dies vor 20 Jahren im Krieg der NATO gegen das restl. Jugoslawien vor Augen geführt. Genau vor 20 Jahren, vom März bis Juni 1999, flogen Kampfflugzeuge der Allianz 78 Tage lang Angriffe gegen das Land, töteten Tausende Menschen und zerstörten einen großen Teil der Infrastruktur des Landes. Die Bundeswehr war mit Tornado-Kampfflugzeugen diesmal vorne mit dabei.

Es ist wichtig sich daran zu erinnern. Es war ein Krieg der ohne UN-Mandat geführt wurde und daher nach internationalem Recht eindeutig ein Angriffskrieg, eine Aggression. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder gab dies später auch zu, als er den Westen davor warnte, Russland wegen des Anschluss der Krim allzu scharf anzugreifen, da sie im Fall der Abspaltung Kosovos ebenfalls Völkerrecht gebrochen hätte. Dieser Vergleich hinkt natürlich gewaltig, da die Krim sich nicht nach einem verheerenden Krieg von der Ukraine trennte, sondern auf Basis der Entscheidung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und ohne Blutvergießen.

Das transatlantische Kriegsbündnis setzte mit dem Krieg gegen Jugoslawien für sich einen Präzedenzfall. Während ihre Kampflugzeuge ihre Bomben auf jugoslawische Städte warfen, verabschiedete die NATO auf ihrem Jubiläums-Gipfel zu ihrem 50jährigen Bestehen ein neues strategisches Konzept, in dem solche militärische Interventionen ohne UN-Mandat zum festen Bestandteil wurden.

Wir mussten es dann erleben: Irak, Afghanistan, Libyen ‒ der Krieg gegen Jugoslawien wurde zur Blaupause kommender, in dem NATO-Staaten in wechselnden „Koalitionen der Willigen“ unter fadenscheinigen Vorwänden Länder überfielen, die sich als unbotmäßig erwiesen haben und nicht bereit, sich westl. Dominanz unterzuordnen.

Für die Bundeswehr war der Jugoslawienkrieg der erste echte Kriegseinsatz seit ihrer Gründung. Während Belgrad zum dritten Mal nach 1915 im Ersten und 1941 im Zweiten Weltkrieg von deutschen Streitkräften bombardiert wurde, feierte Kanzler Schröder die „Enttabuisierung des Militärischen“ in Deutschland, d.h. den Wiedereinstieg in den Kreis „normaler“ Militärmächte.

Neu waren damals auch die Massivität der Propaganda, mit denen der Krieg gerechtfertigt wurde und die Geschlossenheit mit der die meisten Medien dabei mitwirkten.

Mittlerweile ist es historisch gut belegt, z.B. durch Berichte der OSZE-Beobachtermission im Kosovo, in welchem Ausmaß die NATO-Intervention mit Lügen vorbereitet und begründet worden war. Eine selbstkritische Aufarbeitung durch Politik und Medien blieb jedoch aus ‒ auch von Seiten der Grünen und der SPD, aus deren Reihen viele angaben, den als „humanitäre Intervention“ bezeichneten Krieg, nur mit "Bauchschmerzen" unterstützt zu haben.

Damit wurde der Weg auch für die Fortsetzung dieser Art von Kriegsvorbereitung geebnet.

Bei jedem Krieg, jeder Intervention und allen einseitigen Handels- und Finanzblockaden, die von den USA und ihren Verbündeten verhängt werden, wird der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte als Rechtfertigung ins Feld geführt, sei es im 17jährigen Krieg in Afghanistan, beim Überfall auf Libyen, den „Regime Change“-Bemühungen in Syrien oder aktuell gegen Venezuela. Natürlich sind auch für uns Demokratie und Menschenrechte wichtig. Allerdings steht es damit in den meisten Ländern der Welt nicht zum Besten. Wir müssen aufhören, brav den Blick auf die zu richten, die ins Visier der westl. Staaten genommen werden, oft ausgerechnet im Bündnis mit Despoten, wie den arabischen Golfmonarchen.

So wichtig bürgerliche Menschenrechte sind, dürfen wir die sozialen Rechte, wie die auf Wohnung, Arbeit, Bildung, Nahrung und Gesundheitsversorgung … nicht aus dem Blick verlieren. Es ist kein Zufall, dass die Länder, die angegriffen wurden, im sozialen Bereich aufgrund ihres selbstständigen Weges, meist wesentlich besser da standen, als ihre Nachbarländer.

In den letzten Tagen beherrschte der Großbrand in der Pariser Notre Dames die Nachrichten. In kurzer Zeit gingen Spendenzusagen in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro ein. Natürlich sind die Verwüstungen an dem berühmten Bauwerk schrecklich. Aber sind die umfassenden Zerstörungen an Dutzenden Kulturdenkmälern im Irak, in Libyen, in Syrien oder im Jemen, deren historischer Wert oft noch weit höher war, nicht noch schrecklicher? Schrecklicher, weil sie nicht durch einen Unfall verursacht wurden, sondern von Bomben aus NATO-Ländern, entweder von den eigenen Luftwaffen abgeworfen oder ‒ wie in Jemen ‒ von Staaten an die sie von den USA und EU-Staaten geliefert wurden. Und schrecklicher vor allem, weil sie einhergingen mit der Zerstörung ganzer Stadtteile und Städte, Zigtausende Menschen unter sich begrabend. Wo blieb hier ‒ angesichts der Opfer du Verwüstungen der Aufschrei? Warum wird hier nicht laut nach Wiedergutmachung gerufen? Wo bleiben hier die Spenden für den Wiederaufbau? Ohne Kirche kann man leben. Millionen Afghanen, Iraker, Syrer und Jemeniten haben aber noch immer kein Dach überm Kopf und müssen in Flüchtlingscamps ausharren.

Wir müssen von den Verantwortlichen in Berlin, Washington, London und Paris Rechenschaft fordern, für das was sie in Afghanistan, im Irak, in Libyen und Syrien angerichtet habe, auch durch das verheerende Vorgehen gegen Hochburgen des Islamischen Staat, wie Mossul und Raqqa.

Wir müssen die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel für den Wiederaufbau verlangen.

Und wir müssen auch das Ende der „Sanktionen“ gegen Syrien fordern [wie die einseitigen Embargomaßnahmen genannt werden], das dort den Wiederaufbau und die Rückkehr von Flüchtlingen massiv behindert.

Wir müssen uns generell stärker gegen die Fluchtursachen einsetzen. Solidarität mit den betroffenen Menschen darf nicht erst dann einsetzen, wenn sie bei uns als Flüchtlinge ankommen.

Die Geschichte der NATO war von Beginn verbunden mit der Drohung eines Atomkrieges. Auch nachdem die SU durch die Entwicklung eines eigenen Arsenals ein strategisches Gleichgewicht hergestellt hatte, strebten die USA und Verb. weiter nach Möglichkeit einen Atomkrieg gewinnbar zu machen. U.a. indem in den 80er Jahren Pershing II-Raketen und Cruise Missiles aufgestellt wurden, deren Zielgenauigkeit es erlauben sollten, Führungsstäbe und Abschussbasen der Sowjetunion auszuschalten. Dagegen machte die Friedensbewegung damals erfolgreich mobil. 1987 wurde schließlich der INF-Vertrag zum Verbot nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa unterzeichnet. Ein sehr erfolgreiches Abkommen, das zur Verschrottung sämtlicher bodengestützte Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometer führte. Nach dessen Aufkündigung durch Trump droht auf diesem Gebiet nun ein Rückfall in die Zeit des Wettrüstens der 1980er Jahre, nach dem berüchtigten Nato-Doppelbeschluss.

Um dem und der Bedrohung durch Atomwaffen allgemein etwas entgegenzusetzen, müssen wir mehr Druck auf die Bundesregierung aufbauen, damit diese den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet, der in der UNO mit großer Mehrheit beschlossen wurde und so zur weiteren internat. Ächtung dieser Waffen beitragen.

Zudem muss sie endlich die in Büchel gelagerten Atomwaffen abtransportieren lassen.

Das sowohl in Hinsicht auf Atomwaffen wie auf konventionelle Kriege so gefährliche Kriegsbündnis, die NATO, gehört endlich auf den Müllhaufen der Geschichte.

Dies ist nur zu erreichen, wenn in vielen Mitgliedsstaaten, starke Bewegungen entstehen, die sich für den Austritt ihres Landes engagieren ‒ auch in Deutschland. Selbstverständlich muss dies einhergehen mit der Forderung nach umfassender Abrüstung der eigenen Streitkräfte, dem Ende aller Auslandseinsätze und einem Ende der Militarisierung der EU.

Wir fordern die Kündigung des Stationierungsvertrags für ausländische Truppen und die Auflösung ihrer Militärbasen. Damit wäre auch die Gefahr der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland automatisch vom Tisch.

Wir fordern bezüglich Russland von der Bundesregierung und der EU eine Politik der Kooperation statt Konfrontation

Wir fordern von allen Nato-Staaten, die Kriege und Interventionen zu beenden, Rüstungsexporte in Spannungsgebiete einzustellen und Kampfeinsätze von Drohnen zu ächten

 

Joachim Guilliard ist aktiv beim Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg.

Anmerkung:

[1] "Guten Abend, zu Wasser und zu Luft sind heute Nacht amerikanische, deutsche und andere europäische Verbündete unterwegs nach Estland, um die russischen Verbände zurückzuschlagen, die sich dort wie vor einigen Jahren auf der Krim festgesetzt haben.“, Claus Kleber, „heute journal“ vom 4. April