Redebeitrag für den Ostermarsch Fulda am 20. April 2019

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich sehr, dass ich eingeladen wurde, hier beim Fuldaer Ostermarsch 2019 eine Rede zu halten.

Warum sind wir heute hier? Über allen Ostermärschen steht ein großer Wunsch:

Wir wollen Frieden!

Damit verbunden sind ganz bestimmte Forderungen:

Wir fordern:

  • Schluss mit Kriegen!
  • Wir fordern: Abrüstung statt Aufrüstung!
  • Wir fordern: Schluss mit Atomwaffen!
  • Wir fordern: Schluss mit Waffenexporten!
  • Wir fordern: Schluss mit wirtschaftlicher Ausbeutung von Mensch und Natur!
  • Wir fordern: Schluss mit Diskriminierung!
  • Wir fordern: Schluss mit Gewalt!

Ich denke wir sind uns alle einig, dass die Welt ein deutlich schönerer Ort wäre, wenn diese Forderungen endlich weltweit umgesetzt und dieser Wunsch wahr werden würde.

Ich unterstütze alle diese Forderungen aus vollem Herzen. Bei der Vorbereitung auf diese Rede habe ich lange über das zentrale Thema nachgedacht: Frieden!

Was heißt eigentlich Frieden? Leben wir in Frieden? Ich selbst habe das Gefühl, hier in Fulda in Frieden leben zu können. Ich habe noch nie wirklich massive Gewalt erfahren, ich habe noch nie einen Bombeneinschlag erleben müssen, Krieg ist mir persönlich fremd.

Ich kenne Krieg eigentlich nur von den Erzählungen von Freunden, die zum Beispiel aus Afghanistan oder Syrien geflohen sind, von Erzählungen meiner Großmutter und aus dem Fernsehen oder Internet. Frieden im Sinne von Abwesenheit von Krieg ist für mich selbstverständlich geworden. Das ist ein riesiges Privileg.

Ich kann heute quer durch Europa reisen und mir dort überall ein neues Leben aufbauen, wenn ich will. Ich habe ein halbes Jahr in Frankreich studieren dürfen. Für die Generation meiner Großeltern galt Frankreich noch als „Erbfeind“. Was für ein Wunder, dass es nach diesen zwei Weltkriegen zu so einem lang anhaltenden Frieden in Europa gekommen ist.

Danke, Europäische Einigung! Es gibt an der Europäischen Union eine Menge zu kritisieren und zu verbessern.

Aber es macht mich traurig und wütend, wenn von gewissen Parteien quasi die Abschaffung des Europäischen Parlaments oder der EU gefordert wird, ohne dass sie irgendeine Idee hätten, wie es ohne die EU laufen besser sollte. Das Chaos rund um den Brexit ist der Beleg dafür, wie kurzsichtig diese Forderungen sind. Ich bin auch mit vielen politischen Entscheidungen in Deutschland oder Hessen unzufrieden. Aber fordere ich deswegen die Abschaffung des Bundestages oder den Austritt Hessens aus der BRD? Natürlich nicht.

Wenn wir Frieden wollen sollten wir uns für die Verbesserung der EU einsetzen, nicht für deren Zerstörung.

Genau deshalb sollten wir alle am 26. Mai zur Wahl gehen, am besten noch 3-4 Freunde mitnehmen und eine europafreundliche Partei wählen!

Wir leben also im Frieden – aber ist das wirklich so?

Ich habe noch keinen Krieg erlebt, aber in vielen Teilen der Welt gibt es nach wie vor Krieg.

Die körperlichen und seelischen Narben von Menschen, die vor dem Krieg fliehen mussten, machen mir das immer wieder bewusst. Und obwohl wir hier in Frieden leben können sind wir doch alle irgendwie in Kriege und Gewalt verwickelt. Deutschland ist nach wie vor einer der größten Waffenexporteure der Welt. Erst kürzlich wurden wieder Exporte nach Saudi-Arabien genehmigt, welches massive Gewalt im Jemenkrieg einsetzt. In Deutschland sprudeln die Gewinne aus diesen Geschäften, es werden Arbeitsplätze geschaffen und die Wirtschaft gestärkt, die Finanzmärkte freuen sich. Was mit den exportierten Waffen geschieht weiß hingegen niemand so recht. Wir haben alle tolle Handys, aber woher kommen die Rohstoffe dafür? Aus dem Kongo zum Beispiel, wo es seit Jahren blutige Konflikte um die Kobalt-Abbaugebiete gibt und Menschen brutal unterdrückt werden. Wir profitieren von unglaublich günstigen Klamotten, die man überall in der Werbung sehen und in großen bunten Läden kaufen kann, unterstützen damit aber das Leid der Angestellten dort, wo all das so günstig hergestellt werden konnte. Erst vor zwei Wochen bin ich aus Marokko zurückgekommen, wo ich drei Wochen lang einen wunderschönen Urlaub hatte. Der Flug dorthin und zurück hat wahrscheinlich so viel CO2 ausgestoßen wie wenn ich ein halbes Jahr mit dem Auto gefahren wäre. So befeuere ich den Klimawandel, und weil das richtig viele tun verlieren Menschen anderswo ihre Heimat. Die Liste könnte man ewig weiterführen.

Wenn wir in Kriege und Gewalt verwickelt sind und wir die negativen Folgen davon hier kaum merken, sondern im Gegenteil davon profitieren, leben wir dann tatsächlich in Frieden? Ich denke: Nicht wirklich! Das ist ein egoistischer Frieden.

Deshalb fordere ich: Wenn wir wirklich Frieden wollen muss Fairtrade zur Pflicht werden!

Der Wirtschaft muss verboten werden, Waren zu verkaufen, bei deren Herstellung oder Konsumierung Mensch oder Natur zerstört werden. Das ist doch logisch!

Wir brauchen eine Wirtschaft, die mit den Menschenrechten Hand in Hand geht! Wir brauchen eine demokratiekonforme Wirtschaft und keine wirtschaftskonforme Demokratie!

Wir müssen es endlich schaffen, die Finanzmärkte zu zähmen. Wir dürfen nicht weiter akzeptieren, dass Profit, Wachstum und Konsum die Maßstäbe unseres politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns sind.

Wenn wir wirklich „unsere Verantwortung in der Welt wahrnehmen“ und etwas zur „Bekämpfung von Fluchtursachen“ beitragen wollen, wie ich es von fast jedem Politiker ständig höre, dann sollten wir endlich aufhören, andere Länder und Menschen auszubeuten und die Welt mit Deutschen Waffen zu überfluten.

Auch um den sozialen Frieden mache ich mir Sorgen. Die Mietpreise in Städten steigen, viele Menschen finden keine bezahlbare Wohnung mehr.

Viele haben Stress im Beruf statt Zeit für die Familie und bekommen nach langer Arbeit keine Rente, die zum Überleben reicht.

Deutschland hat den größten Niedriglohnsektor Westeuropas. Die Arbeitsbedingungen zum Beispiel in der Pflege sind vielerorts miserabel. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, aber wir schaffen es bislang oft nicht, alte Menschen in unserer Gesellschaft menschenwürdig zu versorgen.

Jedes Jahr erkranken derzeit rund 5 Millionen Menschen in Deutschland an einer Depression. Dabei erzählt uns die Werbung doch jeden Tag, mehr Konsum würde uns glücklich machen.

Viele geflüchtete Menschen leben seit Jahren in großen Gemeinschaftsunterkünften eng auf eng zusammen, es herrscht Angst vor Abschiebung, Menschen leiden unter Perspektivlosigkeit und Diskriminierung.

Auch diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der unendlicher Konsum, Wachstum, Leistung und Profit unser aller Leben bestimmen, obwohl all das erwiesenermaßen den Planeten zerstört und das offensichtlich auch viele Menschen unglücklich macht, leben wir dann wirklich in Frieden? Ich denke: Nicht wirklich.

Deshalb fordere ich:

Wenn wir wirklich Frieden wollen, dann brauchen wir viel mehr politischen und gesellschaftlichen Einsatz für soziale Gerechtigkeit! Wir sollten alle ein nachhaltigeres Leben führen und dabei bei uns selbst anfangen.

Wir sollten uns nicht länger von Werbung, Konsum und dem Streben nach Profit leiten lassen und stattdessen jeden Tag zwischenmenschliche Solidarität leben.

All diese Forderungen gibt es schon seit langem, aber leider ist es uns bislang nicht gelungen, diese umzusetzen.

Aber ich bin überzeugt davon: Wenn wir wirklich eine friedvolle Zukunft haben wollen dann müssen wir alles daran setzen, dass wir als Gesellschaft so bald wie möglich eine ökologisch-soziale Kehrtwende vollziehen.

Wir müssen die Art, wie wir leben, grundlegend hinterfragen und dabei auch alle bei uns selbst beginnen. Damit meine ich natürlich auch mich selbst. Mir ist bewusst, dass ich mit meiner Art zu leben in vieler Hinsicht Teil des Problems bin – siehe Handy, siehe Flugreisen. Wenn ich darüber nachdenke komme ich zu dem Schluss: Ich will und werde einige Gewohnheiten ändern, denn ich will Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sein.

Und ich hoffe, dass viele andere auch bereit sind, diesen Weg aus Überzeugung mitzugehen.

Alles ist möglich! Aber wir brauchen viel Öffentlichkeit, viel Mut, Entschlossenheit, auch am eigenen Leben etwas zu ändern, Überzeugungskraft und ein gewisses Maß an Penetranz, um das erreichen zu können. Frieden beginnt im Kleinen!

Lasst uns im Freundes- und Bekanntenkreis über Frieden diskutieren,

lasst uns auf faire Art und Weise mit anderen darüber streiten,

lasst uns die Menschen dafür begeistern, sich für eine andere Art des Lebens und Wirtschaftens zu entscheiden,

lasst uns den Landtags- und Bundestagsabgeordneten Briefe schreiben,

lasst uns Leserbriefe an die Zeitungen schreiben,

lasst uns in den sozialen Netzwerken dafür Stimmung machen.

Bewegungen wie die Freitagsdemonstrationen „Fridays for Future“ geben mir die Hoffnung, dass ein Wandel möglich ist!

Wie wäre es, wenn wir auch jede Woche auf die Straße gehen, um für eine friedlichere, ökologisch nachhaltigere und sozial gerechtere Politik und Lebensweise zu demonstrieren? Es wäre dringend nötig! Saturdays for Peace - Ich wäre dabei!

Es gibt so viel, was wir tun können! Lasst es uns zusammen angehen!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

 

Jochen Schiersch ist Projektkoordinator des "Welcome In Wohnzimmers"-Projekts.