Redebeitrag für den Ostermarsch Traunstein am 20. April 2019

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

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In Afghanistan herrscht seit über 40 Jahren ein geostrategisch bedingter Krieg. Zunächst wurde das Land von den Sowjets besetzt. In dieser Zeit unterstützten die USA die Taliban u.a. mit Waffen.

Seit 9/11 sind die USA in Afghanistan mit der Nato mehr oder weniger Besatzungsmacht. Es herrscht ein Krieg, der von den Taliban und dem IS mit Selbstmordattentaten gegen die Besatzer, den Staat und die Bevölkerung geführt wird. Die Attentate können jederzeit überall passieren, weshalb es für die Menschen sehr gefährlich ist, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten.

Laut einem aktuellen Bericht der UN vom 23./24.02.2019 gab es 2018 wieder die meisten zivilen Opfer seit 2009, 11% mehr als im Vorjahr: 3804 Getötete. In den letzten 10 Jahren starben 10.000 Zivilisten. Das ist eine konservative Schätzung, weil die UN nur offiziell bestätigte Opfer zählt.

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Das Auswärtige Amt (AA) ist die Behörde in Deutschland, die die Gefahrenlagen anderer Länder für Reisewarnungen und bei Asylverfahren für die Bundesregierung und die Gerichte einschätzt.

Für Afghanistan warnt das AA vor Reisen dorthin wegen der Gefahrenlage.

Für die Asylverfahren gibt es einen nicht öffentlichen Bericht (nur einsehbar für Gerichte und Rechtsanwälte), wonach es in Afghanistan sichere Gebiete gibt, in denen man sicher leben kann. Laut Aussagen von Anwälten werden diese Gebiete in dem Bericht jedoch nicht konkret benannt. Außerdem gibt es ein sog. „Rücknahmeabkommen“ zwischen der Bundesregierung und der afghanischen Regierung. Das UNHCR stellt fest, dass „Afghanistan nicht sicher“ ist.

Frage: Warum ist der Bericht geheim? Warum werden die angeblich sicheren Gebiete nicht konkret benannt?

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Im Asylverfahren wird den Geflüchteten oft einfach nicht geglaubt, es wird Ihnen unterstellt, dass sie lügen. In den Verfahren, die oft schon über 3 Jahre dauern wegen der vielen Klagen, erhalten sie zunächst einen negativen BAMF-Bescheid mit meist stereotypen Textbausteinen wonach Afghanistan sicher sei und die Fluchtgeschichte nicht glaubhaft sei. Die Glaubhaftigkeit wird häufig wegen zu unkonkreten Zeitangaben angezweifelt. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass es in Afghanistan einen anderen Kalender gibt und dort kulturell bedingt Zeitangaben nicht so üblich sind wie bei uns. Dann warten sie Jahre auf den Prozess. Mittlerweile schließen sich die Richter meist dem BAMF-Bescheid und dem Bericht des AA (s.o.) an, mit den gleichen Argumenten, und weisen die Klage ab. Auch jedweder humanitäre Schutzstatus wird verwehrt. Wenn das Urteil rechtskräftig wird (4 Wochen nach Zustellung des Urteils) ist der Betreffende „ausreisepflichtig“. Er kann abgeschoben werden, viele verlieren auch ihre Arbeitserlaubnis. Die Innenministerien in Bayern und Berlin sind bestrebt, so viele wie möglich abzuschieben. Tatsächlich sind seit Beginn der Abschiebungen ca. 560 Männer nach Afghanistan abgeschoben worden.

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Das Kabinett hat diese Woche das neue „Gesetz zur geordneten Rückführung“ gebilligt aus dem Seehofer-Innenministerium. Demnach sollen Ausreisepflichtige inhaftiert werden, auch zusammen mit Straftätern (obwohl sie Nichts verbrochen haben), eine Duldung „light“ soll eingeführt werden mit absolutem Arbeitsverbot sowie Sozialleistungen gekürzt um Geflüchtete regelrecht auszuhungern.

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Laut einem Bericht der BR vom 01.03.2019 fehlen in Deutschland 350.000 Fachkräfte. Der Wirtschaftsminister Altmaier war in Vietnam um dort Arbeitskräfte für die Pflege anzuwerben.

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Die allermeisten Afghanen arbeiten erfolgreich, manche sind sogar in Ausbildung. Sie haben sich erfolgreich nach ihren individuellen Möglichkeiten integriert. Sie sind jung, friedlich und unbescholten. Sie sagen mir, dass sie einfach nur in Frieden leben wollen. Die Arbeit, auch wenn es lediglich eine Hilfsarbeit ist, empfinden sie als identitätsstiftend. Sie arbeiten als Küchenhelfer, Verkäufer im Supermarkt, in der Metzgerei, Pflegehelfer im Krankenhaus Traunstein, Zimmerservice, als Arbeiter Heizung/Sanitär. Sie zahlen Steuern und Sozialabgaben. Einige sind erfolgreiche Sportler.

Sie leben bei uns im Landkreis mit unsicherer Bleibeperspektive. Die Ungewissheit zermürbt sie. Einige sind schon in Frankreich und leben dort im Untergrund. Der Rest lebt in ständiger Angst vor der Abschiebung.

Fragen: Warum sollen diese Menschen abgeschoben werden?

Warum fährt Herr Altmaier nach Vietnam um dort Arbeitskräfte, auch Auszubildende, anzuwerben, obwohl bereits gut integrierte Arbeitskräfte schon da sind?

Warum behauptet das Auswärtige Amt entgegen allen anderen seriösen Berichten (UNHCR), dass es in Afghanistan „sichere Gebiete“ gibt?

Forderungen: Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan – Afghanistan not safe!

Auch wenn rein rechtlich eine Ausreisepflicht besteht, so kann die bisherige Integrationsleistung nicht unberücksichtigt bleiben. Die gelungene Integration ist ein Fakt. Die Leute haben auch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt.

Es ist unmenschlich, unbescholtene Menschen einfach zu verhaften und nach Kabul abzuschieben, oft ohne Geld und persönliche Habe.

Dauerhafte Bleibeperspektive für gut Integrierte, Ausbildung und Arbeit

Bleiberecht für gut integrierte Menschen, Unterstützung bei der Ausbildung, die Menschen endlich willkommen heißen!(!) Schluss mit der Hetze gegen Geflüchtete und ehrenamtliche Helfer!

 

Sigrid Röhrl ist ehrenamtliche Helferin für Geflüchtete aus Inzell.