Redebeitrag für den Ostermarsch Erlangen am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrte Organisator*innen des Ostermarsches, liebe Friedensbewegte,

ich danke Euch sehr für Einladung, heute sprechen zu dürfen. Weil ich aus Überzeugung optimistisch bin, fange ich zwar mit dem Dunklen an, komme dann aber zu vielen Lichtblicken.

Es ist zu spät für Pessimismus.

Mit diesem provozierenden Zitat hat die Schriftstellerin Eva Menasse zur brennenden Frage der öffentlichen Diskussionsfähigkeit Stellung genommen: Es ist zu spät für Pessimismus. Jetzt müssen wir handeln.

Im Kontext Frieden und Demokratie gilt dies genauso. Es brennt an unzähligen Stellen. Die Grenzen des Unsagbaren werden immer weiter gedehnt, und damit einher gehen Verbrechen, die dem Unsagbaren folgen. Aus Worten werden, wie schon so oft in der Geschichte, Taten. Taten, die uns fassungslos zurücklassen.

Für Pessimismus ist es zu spät. Wir müssen handeln und wir werden alle Kräfte brauchen, die sich zu Frieden und Freiheit in unserem Rechtsstaat bekennen. Alle also, die bereit sind, sich im Einklang mit unserem Grundgesetz zu engagieren: gegen Diskriminierung, für die Erfüllung humanitärer Pflichten, gegen Rassismus und für Chancengerechtigkeit.

Wir werden den Friedensgedanken der Ostermärsche denjenigen entgegensetzen, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit salonfähig machen. Rechtsextremisten, egal ob bei Pegida, den Querdenkern, oder der AfD bewegen sich mit ihren Gedanken und Worten außerhalb unserer Rechtsnormen und verraten damit nicht nur unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Genauso schlimm ist, dass sie vergessen machen wollen, dass die Urheber unseres Grundgesetzes dieses im Wissen um die Opfer der menschenverachtenden Nazi-Diktatur geschrieben haben. Der Vielfaltsgedanke wurde, auch wenn er damals noch nicht so hieß, ganz bewusst als Recht, aber auch als Pflicht jedes einzelnen ins Grundgesetz geschrieben.

Darum sind wir heute hier. Wir sind dem Frieden verpflichtet und damit dem friedlichen, aber deutlichen Widerstand gegen Spaltung und Verrohung, gegen die Grundübel Gier, Hass und Neid.

Im Jahr 1945 war „Nie wieder Krieg“ Aufschrei, Gebet, zutiefst empfundener Wunsch der Deutschen, als die Welt in Trümmern lag nach einem von Deutschland losgetretenen Morden und Zerstören, welches zig Millionen Menschen das Leben gekostet hat, und welches der Lüge und Verleumdung in der Presse, in der Schule, in Betrieben, ja in Familien Tür und Tor geöffnet hatte.

Nie wieder Krieg! Wurde dieser Wunsch Programm? Zieht dieser Aufschrei sich wie ein roter Faden durch Parteiprogramme, durch Leitbilder, durch Förderprogramme? Oder haben wir nicht irgendwann begonnen die im Grundgesetz garantierten Grundrechte als etwas Selbstverständliches hinzunehmen, als etwas, das uns umgibt, in das wir hineingebettet sind, das von alleine bestehen bleibt?

Nie wieder Krieg! Trieb dieser Aufschrei Entnazifizierung, Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten und ihrer willfährigen Helfershelfer voran? War dieser Aufschrei Motor für gerechte Wiedergutmachung? Führte dieser Aufschrei dazu, dass in Schulen Respekt vor der Menschenwürde jedes Einzelnen Grundlage aller Lehrpläne wurde? Die Antworten auf diese rhetorischen Fragen kennen wir leider allzu gut. Erich Kästner, dessen Bücher auch bei uns in Erlangen, hier auf diesem Platz verbrannt wurden, hatte das vorausgesehen.

Ich zitiere Erich Kästner aus der Rede, die er anlässlich des 25-jährigen Gedenkens der Bücherverbrennung hielt: „Weil die Sühne der Schuld zwar im Strafgesetzbuch folgt, nicht jedoch im Buch der Geschichte, muss künftig an die rechtzeitige Verhütung der Schuld gedacht werden.“ Zitat Ende. Wann ist denn für uns „rechtzeitig“, besser, wann wäre „rechtzeitig“ denn gewesen? Für den Einzug von Rechtsextremen in unsere Parlamente ist „rechtzeitig“ jedenfalls längst vorbei.

Ich zitiere weiter Erich Kästner: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird.“ Zitat Ende.

Eine betagte Jüdin hat mir vor Kurzem gesagt, ihr „Heute“ in Deutschland fühle sich für sie an, wie ihr „Damals“ 1929.

Wie ist es denn heute, 2021? Wirklicher Friede, also nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch innerer Friede, soziale Gerechtigkeit sind weder in Deutschland, noch in Europa greifbar. Wir leben in einem Land, in dem jüdische Einrichtungen mit Panzerglas, hohen Mauern und Sicherheitsdiensten geschützt werden müssen, Moscheen erhalten Drohbriefe mit echter Munition, Männer mit Kippa oder Frauen mit Kopftuch werden öffentlich angepöbelt und angegriffen. Politiker*innen, wie Angela Merkel, die sich dazu bekennen, dass unser Land eine moralische Verpflichtung hat, Flüchtlinge aufzunehmen, werden verunglimpft, oder wie Regierungspräsident Lübcke, gar ermordet. Es ist unerträglich, dass im Bundestag, am gleichen Ort, wo Politiker wie Willy Brandt die Ostpolitik revolutioniert haben, wo Menschen wie Narvid Kermani oder die Holocaust-Überlebenden Charlotte Knobloch oder Ester Bejarano auftraten, dass an diesem zentralen Ort unserer Demokratie die AfD sprechen darf, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit propagiert, und die deshalb auch zurecht und hoffentlich mit bald handfesten Konsequenzen vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Auch die Verbrechen des NSU sind weder vollumfänglich aufgeklärt, noch gesühnt. Der Nürnberger OB Markus König, hat bei einer öffentlichen Trauerfeier die Familien der Opfer um Entschuldigung gebeten. Für Fehler bei der Aufklärung, für Wegsehen, für rassistische, diskriminierende und vorverurteilende Annahmen der ermittelnden Polizisten, die eine Aufklärung der NSU-Morde um Jahre verzögert haben.

Zurecht wird gefordert, dass es keinen Schlussstrich geben darf unter dieses haarsträubende Kapitel von Mord, Wegsehen, fehlender Einsicht und fehlendem Aufklärungswillen. Das gilt für die NSU-Morde, für den Mord an Lewin/Poeschke, für das Oktoberfestattentat, für unzählige Verbrechen, zurückreichend bis in die Geschichte unserer Eltern und Großelterngeneration.

Diesen Aufklärungswillen brauchen wir – auch in Erlangen - nach wie vor, um die 12 Jahre Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Das beginnt schon damit, dass die Nazis nach 1945 nicht einfach verschwunden waren. Die „Sieg-Heil“-Schreier, die braven Bürger, die nicht mehr bei Juden kauften, die deren Hab und Gut nach deren Abtransport zu Spottpreisen erwarben, die waren ja nach dem Krieg noch da, lebten im weitestgehend unzerstörten Erlangen.

Auch dafür braucht es Demokratie, dass Geschichte aufgearbeitet werden kann.

Niemals werden aus Nazis Demokraten indem – bildlich gesprochen - ein Schalter umgelegt wird. Weder die sogenannte Entnazifizierung, noch Verordnungen, noch das Verbot rechtsextremer Organisationen, nicht eine Verurteilung und schon gar keine Bewährungsstrafe beseitigen faschistisches Gedankengut, oder machen aus Rassisten Demokraten. Weder damals, noch heute.

Das bringt mich zu den Lichtblicken, die nicht nur zeigen, dass Demokratie gedeiht, sondern aus denen wir Kraft schöpfen können für manche schwere Aufgabe vor uns.

„Heute“ leben wir. „Heute“ ist unsere einzig mögliche Zeit zum Handeln, um Frieden und Freiheit zu bewahren.

Ein Lichtblick ist das „Erlanger Bündnis für den Frieden“. Mit Freund*innen aus Cumiana wurde das grausame Massaker in den Wäldern bei Cumiana aufgearbeitet. Ein Nazi-Offizier ließ 1944 51 unschuldige Zivilisten, Jungen und Männer erschießen, nach dem Krieg zog dieser Mörder nach Erlangen und lebte unerkannt, ja als angesehener Bürger unter uns. Immer noch erleben wir es als Wunder, dass die Cumianesi uns in Freundschaft ihre Hand ausgestreckt haben und diese Freundschaft bis heute leben. Manfred Kirscher, „Manfredo“ ist Ehrenbürger Cumianas und somit Sinnbild dafür, wie aus schrecklichem Verbrechen und Leid ein Fundament für Frieden werden kann.

Ein Lichtblick ist, dass Innenminister auf Länder-, wie auf Bundesebene endlich erkannt haben, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie ist. Die Allianz gegen Rechtsextremismus wird nicht müde, zu fordern diese Erkenntnis auch auf der Ebene der Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaft im täglichen Handeln zu verdeutlichen. Es darf nicht geschehen, dass nach den politischen, juristischen und individuellen Fehlentscheidungen der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts sich dieses in unserem Jahrhundert wiederholt. Es ist mit gesundem Menschenverstand nicht zu verstehen, dass Strafverfolgung und Gerichtsbarkeit aus falsch verstandener Neutralität denen helfen, die die Rechte unseres Grundgesetzes für sich einfordern, diese Rechte langfristig aber aushöhlen wollen. Beispielsweise werden immer wieder städtische Versammlungsverbote für AfD, Querdenker und Co. von den Gerichten kassiert.

Der Lichtblick „Hupfla erhalten“ hat in Gesprächen mit der Stadt, dem Klinikum und den Fraktionen im Stadtrat erreicht, dass es in Erlangen einen Gedenk- und Lernort geben wird, an dem die Verbrechen der nationalsozialistischen Medizin in Erlangen aufgearbeitet werden. Die Fraktionen im Stadtrat haben einen gemeinsamen Antrag gestellt, um die Planung des Gedenkortes zu unterstützen.

Der Erlanger Stadtrat hat weitere Lichtblicke geschaffen, 5 will ich aufzählen und komme dann zum Schluss.

  • 1. 1985 trat Erlangen als eine der ersten Städte in Deutschland „Mayors for Peace“ bei, einer kommunalen Familie gegen Atomwaffen.
  • 2. Erlangen ist Gründungsmitglied der Allianz gegen Rechtsextremismus, einer Allianz in unserer Region, die 150 Kommunen und 250 NGOs vereint.
  • 3. Erlangen hat sich kurz nach Amtsantritt von OB Dr. Janik für Aktionen gegen Rechts das Motto „Menschenwürde ist unantastbar“ gegeben. Mit Artikel 1 unseres Grundgesetzes treten wir in Erlangen entschieden für „Vielfalt in Freiheit“ ein.
  • 4. Mit der „Aktion Courage“ stehen alle Kirchen, Religionsgemeinschaften und alle demokratischen Parteien gemeinsam auf der Straße, wann immer notwendig.
  • 5. Darum ist Erlangen eine „Partnerschaft für Demokratie“ und unterstützt mit den nunmehr entfristeten Bundes-Fördermitteln unzählige Initiativen, die an Schulen, in Vereinen, auf öffentlichen Plätzen demokratische Werte vermitteln.

Der wichtigste Lichtblick aber ist: Wir sind mehr! Die anderen schreien lauter, fallen auf durch Verschwörungserzählungen, Aluhüte oder Hassreden, aber wir dürfen nicht vergessen, dass in der Bundestagswahl 2017 87% nicht die AfD gewählt haben.

87% haben Parteien gewählt, die auf der richtigen Seite stehen, auf der Seite von Frieden und Freiheit. Für diese fundamentalen Werte gehen auch die Ostermarschierer Jahr für Jahr auf die Straße.

Für Freiheit in Frieden. Das höchste Gut, das höchsten Einsatz lohnt. Was man dafür braucht, sagt uns Willy Brandt: „Wo die Zivilcourage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit“.Aus unserer Geschichte haben wir gelernt, dass Freiheit immer nur die eine Seite der Medaille ist. Die andere heißt: Verantwortung. Beide sind untrennbar verbunden. Das eine ohne das andere gab es nie und wird es niemals geben. Lasst uns Demokraten zusammen halten, und dem Rechtsextremismus klare Kante zeigen, lasst uns den Rechten zeigen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, egal, wo dieser Mensch geboren wurde.

Ich danke Euch.

 

Dr. Elisabeth Preuß ist Projektkoordinatorin für Dezentrale Bildungsarbeit  und Seniorenbildung der VHS Erlangen.