Redebeitrag für den Ostermarsch Schwerin am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreunde und -freundinnen,

"Es ist Krieg, und keiner geht hin".Wie schön,wenn das sich doch realisieren lassen würde!!! Heutige moderne Kriege, wie der Krieg in der Ukraine, zeigen allerdings, dass sie sich nicht begrenzen lassen. Sie werden zwar von einsam regierenden Eliten angezettelt, um Vorherrschaft, Macht und Profite zu erzeugen oder zu festigen, sie bestimmen aber den Alltag und die Lebensverhältnisse vieler Menschen weit über das eigentliche Kriegsgeschehen hinaus. So wird man mit Krieg und Gewalt nicht seine Freiheit verteidigen können.

Wir sprechen von entgrenzter Kriegsgewalt. Jeder Atomkrieg, und sei es nur durch eine einzige Bombe geführt, birgt dieses Potential, er kann sogar über alle Grenzen und Kontinente hinweg unseren ganzen Planeten in den Abgrund ziehen. Ein Beispiel: Nur 1% des vorhandenen atomaren Waffenpotentials, käme er irgendwo auf der Welt zur Explosion, würde durch den Nuklearen Winter eine weltweite Hungernot auslösen, und zwarohne Ankündigung. Deshalb steht ein Atomkrieg mit Atomwaffen besonders für eine entgrenzte Kriegsgewalt, wo wir als Ärzte nur feststellen können: Hier können wir Euch nicht mehr helfen.

Wie schnell aus einem konventionellen regional geführten Krieg die Atomkriegsgefahr unmittelbar bedrohlich wird, lehrt uns gerade der hochgefährliche Ukraine-Krieg. Hier stehen sich mehr als 90% des weltweiten atomaren Zerstörungspotentials feindlich gegenüber, durch immer kürzere Vorwarnzeiten, künstlicher Intelligenz und Umgehung des menschlichen Verstandes kaum noch kontrollierbar. Ein Atomkrieg aus Versehen (wobei das kein Versehen ist, sondern ein mutwilliges Zusteuern) rückt real immer näher. Darauf verweisen schon seit einiger Zeit Atomwissenschaftler wie die Atomic Scientists mit ihrer symbolischen Domsday Uhr , vorgerückt auf 100 Sekunden vor der atomaren Katastrophe oder in Deutschland hier die Forschergruppe um Prof. Bläsius aus Trier.

Wir stehen schon längere Zeit in Kriegszeiten und nicht erst seit dem Ausbruch der jüngsten militärischen Eskalation in der Ukraine. Jeder Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dafür gibt es ohne wenn und aber keine Rechtfertigung. Opfer ist in erster Linie die Zivilbevölkerung, an erster Stelle die, die besonders wenig Ressourcen besitzen. Der gegenwärtige Ukrainekrieg hat seine Blaupause im ehemaligen völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg, in Libyen, Afghanistan, Irak, alles Kriege, wo die westlichen NATO-Länder eingefallen waren oder sind und maßlose Zerstörungen und Traumata gesetzt haben

In solchen Kriegszeiten eskalierend weiter aufzurüsten anstatt mit allen uns zur Verfügung stehenden zivilen Mitteln um Deeskalation, Verhandlung, Diplomatie, Hilfe für die Kriegsopfer zu bemühen, um das Feuer des Krieges auszutreten, kann ich nur als Brandbeschleunigung bezeichnen. Das gilt besonders für die von allen Atommächten vorgenommene atomare Aufrüstung, die schon seit Jahren vorgenommen und jetzt noch einmal einen Schub bekommen hat. Die deutsche Bundesregierung mischt mit ihrer atomaren Teilhabe aktiv mit, die beschlossene jetzige Anschaffung von 35 F-35- Atomwaffenkampfbombern, die insgesamt viele Milliarden Euro verschlingen werden, die bevorstehende Stationierung neuer flexibler einsetzbarer Atomwaffen, um aus militärischer Sicht einen Atomschlag führbarer zu machen, die erst kürzlich beschlossene Bewaffnung von angeschafften Drohnen aus Israel und das längerfristige viele 100 Milliarden teure europäische FARC-Aufrüstungsprogramm mit vorwiegender KI-Technologie, wo Deutschland eine zentrale Rolle spielt, all das trägt nichts, aber auch gar nichts zur Verhütung weiterer Kriege und zu einem Atomkrieg bei. Im Gegenteil: Wo Waffen angeschafft, werden sie auch eingesetzt. Wo Waffen exportiert werden, werden sie eingesetzt, vornehmlich gegen die Zivilbevölkerung.

Der Einsatz, aber auch die Drohung mit Atomwaffen ist, wie schon 1996 der Internationale Gerichtshof in einem juristischen Gutachten bestätigt, völkerrechtswidrig, die Beihilfe dazu wie die atomare Teilhabe ebenfalls.Sie verstößt gegen internationale Verträge wie dem NPT-Vertrag, aber auch gegen die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg, Atomwaffen zerstören nämlich unterschiedslos. Trotzdem wird jeden Tag der Atomkrieg geübt. Man tut so, dass man sich auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Atomwaffen vorbereiten müsse. Die Anschaffung der atomaren Kampfbomber, die dann die neuen flexibleren Büchler Atomwaffen ins Zielgebiet bringen sollen, entspringt dem längst widerlegten Denken einer veralteten atomaren Abschreckung. Das erschütternde ist, dass wir das System der nuklearen Abschreckung, das uns schon mehrmals an den Rand des Abgrundes unter weit stabileren gesellschaftlichen Verhältnissen als heute gebracht hat (siehe Kuba Krise), bisher nicht überwunden haben.

Das Geld und die vergeudeten Ressourcen bräuchten wir zur Stabilisierung unseres Planeten und unserer Gesellschaften mehr als dringend. Die jetzige Investition in die militärische Hochrüstung-die atomare ist ein Teil davon- ist ein verschwenderischer Raub an unsere zukünftige Generationen. Sie widerspricht diametral unserem Grundgesetz, insbesondere Artikel 20a. Wir werden in den nächsten Jahren immer wieder hören, dass wir dieses und jenes dringend notwendige zivile Vorhaben nicht bezahlen können, die Rüstungsindustrie wird dagegen mächtiger denn je. Dorthin werden die Profite fließen.

Wir, die Zivilgesellschaft in allen Teilen der Welt und vor allem hier bei uns, müssen aufstehen und gegen diesen gefährlichen Unsinn auf verschiedensten Ebenen Widerstand leisten. In Büchel ist es eine langsam wachsende Gruppe, die dazu Zivilen Ungehorsam leistet. Es gibt die unterschiedlichsten Kampagnen von IPPNW, ICAN und der Kampagne Büchel ist überall. Der Städteappell von ICAN sollte in jede Stadt, in jede Ortschaft getragen werden, auch in den Schweriner Landtag, wie es erfolgreich in Rheinland Pfalz und Hamburg in die dortige Parlamente getan wurde. Es gibt kirchliche und religiöse Gruppen, in in ihrem Rahmen die neue atomare Hochrüstung öffentlich verurteilen, es beginnt die Vernetzung zumindest auf Europäischer Ebene. Jeder, der aktiv dazu kommt, stärkt diese Bemühungen.

Auf Internationaler Ebene hat die Zivilgesellschaft den Atomwaffenverbotsvertrag geschaffen, ein Instrument zur Ächtung dieses furchtbaren Massenvernichtungsmittel. 122 Staaten haben ihn innerhalb der UNO geschaffen, 86 Staaten bisher unterschrieben und 60 Staaten ratifiziert.Leider ist Deutschland oder ein anderes NATO-Land nicht dabei.Hier gilt es weiter Druck aufzubauen, denn die jetzige Bundesregierung will nur als Beobachter an der Konferenz teilnehmen, während sie gleichzeitig über Jahre die atomare Teilhabe, die diesem Vertrag diametral entgegensteht, festzurrt. Das nenne ich Symbolpolitik, die uns nicht weiterhilft.

Machen wir Druck, öffentlichen Druck, dass auf dieser diplomatischen Ebene mehr passiert. Der 5. Geburtstag dieses Vertrages in diesem Jahr könnte dazu ein guter Anlass sein. Ziel unser aller Bemühungen muß sein, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag anschließt. Das ist die sicherste Möglichkeit, einen Atomkrieg zu verhindern.

Wie die 80iger Jahren zeigen, Atomwaffen und ihre Trägersysteme können auf Druck zivilgesellschaftlicher Protestbewegungen auch wieder abgebaut werden. Auch dazu müssen wir unsere Regierung noch hintragen. Das setzt nämlich ein ganz anderes Denken voraus, nämlich nicht Stärke und Feindbilder schüren, sondern notwendige Kooperationen auch unter sehr schwierigen Bedinǵungen wie zur Zeit, anzustreben und Zusammenarbeit bei der Lösung gemeinsamer Probleme anzubieten. Das Streben um Vorherrschaft bringt uns keine Sicherheit, Sicherheit entsteht da, wo wir als Menschheit unsere gravierenden Probleme gemeinsam lösen. Der Klimawandel, die zunehmende Armut und Ungerechtigkeit, die nur noch begrenzten Ressourcen bei Energie, Boden und Nahrungsmittel, der Verlust der Biodiversität, all das macht unser Leben und unsere Gesellschaft unsicher und führt letztlich zur Katastrophe, wenn wir nicht zusammenkommen. Dieses "Sicherheit Neu Denken", die Neu-Justierung unserer Friedenslogik, ist das, was wir als Zivilgesellschaft durchsetzen müssen. Wir dürfen nicht in der hochgefährlichen Abschreckungsideologie gefangen bleiben, wollen wir als Menschheit überleben. Stärke kommt nicht aus militärischer Macht, Stärke heute kommt aus der kreativen Lösung der Probleme für zukünftige Generationen. Das sollte vielleicht unsere visionäre Botschaft zu Ostern sein und daran unser politisches Handeln ausrichten anstatt in der Katastrophenstimmung einer kriegerischen Situation zu verharren. Lassen wir uns nicht entmutigen von den Katastrophenprediger, treten aber mutig denen entgegen, die in Aufrüstung und Militär ihr "Heil" verkünden.

Danke für das Zuhörten.

 

Ernst-Ludwig Iskenius ist aktive bei der IPPNW.