Redebeitrag für den Ostermarsch Baden-Württemberg in Stuttgart am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensbewegte,
ein weltweiter Karfreitag ist angebrochen: Gewalt und Gegengewalt – wie du mir, so ich dir. Vergessen der Eine, der am 7. April des Jahres 30 auf einem Verbrecherhügel draußen vor der Heiligen Stadt Jerusalem gekreuzigt worden war – gekreuzigt, weil er eben nicht sagte: wie du mir, so ich dir sondern: was du willst, dass dir die Andern tun, das tu du ihnen. Aber das war damals in seinem Land schwierig.

Das ist heute schwierig, obwohl wir sein Land das Heilige Land nennen. Es ist genauso unheilig heute, weil Israeli und Palästinenser keinen Weg finden, obwohl ihre Ahnen Jakob und Esau damals einen Weg fanden, weil Jakob auf seinen Bruder zuging. Warum geht das heute nicht, nicht in Israel, nicht in Russland, nicht in der Ukraine, nicht bei uns – in der Familie, in der Nachbarschaft? Warum schottet man sich lieber ab, produziert Waffen auf Teufel komm raus, verdient daran und produziert doch nur die künftige Zerstörung?

Bert/Brecht/dichtete:

Mein/Bruder/war/ein/Flieger
Er/hat/seine/Kiste/eingepackt

Mein/Bruder/ist/ein/Eroberer
Und/Grund/und/Boden/zu/kriegen,

Der/Raum,den/mein/Bruder/eroberte
Er/ist/lang/einen/Meter/achtzig

Eines/Tages/bekam/er/eine/Kart
Und/südwärts/ging/die/Fahrt.

Unserm/Volk/fehlt's/an/Raum
ist/bei/uns/ein/alter/Traum.

Liegt/im/Guadarramassiv
und einen Meter fünfzig tief.

Und Brechts utopische Hoffnung erinnert an das große Karthago:

Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten. Noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten. Utopische Hoffnung? Noch schlagen wir uns mit dem Wort herum, das wir von den Römern lernten: Homo homini lupus.

Warum ist der Mensch immer noch des Menschen Wolf?

Warum ist das so? Warum schaffen wir keine Welt, in der alle Kinder spielen können?Weil wir noch nicht an unsere innere Kraft glauben. Stärke ist, dem Andern die Stirn zu bieten, nicht die Faust. Das gilt auch für unsere verschiedenen Ansichten.
„Mit dem kann man nicht reden!“ Wirklich? Ja, weil ich mich noch nicht in ihn eingefühlt habe, weil ich in ihm nur mein Feindbild sehe.

Er, der am Karfreitag starb, hatte gesagt: „Liebe deine Feinde!“ Vorsicht: Ich muss nicht dem um den Hals fallen, der mir das Wasser abgräbt, aber ich kann versuchen, mich in ihn hinein zu spüren, und ich kann meine Fantasie anstrengen, wie ich ihm das deutlich mache. Feindesliebe ist utopisch, damals wie heute.

Sie ist u-topisch, das heißt: sie hat noch keinen topos, keinen Ort, aber genau deshalb provoziert sie uns, wie Ernst Bloch im Prinzip Hoffnung schrieb. Bereits 8 Jahrhunderte vor Jesus hat der Prophet Jesaia vom Umrüsten der Schwerter zu
Pflugscharen gesprochen. Er hat es gewagt, dieses Bild in einer Zeit der Hochrüstung Israels zu sagen, wo man nur an Abschreckung glaubte. Das heißt für mich heute: Militärbündnisse umwandeln in Abrüstungsbündnisse. Stellen wir uns auch an die Seite der ukrainisch pazifistischen Bewegung, die alle Militäraktionen verurteilt – alle!

Unsere Ossis haben 1989 uns Wessis dieses Bild vorgelebt, Schwerter zu Pflugscharen, und sie haben es fertig gebracht, die Mauer zu überwinden. Das war Ostern, Auferstehung. Aber da sind immer noch die Grabeswächter, die Wächter des Karfreitags, die sagen: Es ist blauäugig, so kann man nicht regieren. Gewiss: Jesus hat sein Leben für die Liebe riskiert, und Martin Luther King wurde ebenso umgebracht wie Rabin und Sadat. Friede ist gefährlich! Gefährlich, weil die Grabeswächter
da sind.

Darum: meine Entscheidung ist gefragt wie deine: Hüte ich das leere Grab und helfe mit, es zu füllen oder lass ich mich von der österlichen Kraft anstecken, vom Aufstand des Lebens gegen das Versinken im Tod? Wir alle sind gefragt. Uns alle möchte der Auferstandene anstecken, ob wir uns Christen nennen oder nicht. Wir alle können die einfühlsamen, aber entschlossenen Botinnen und Boten des österlichen Lebens sein.

Fangen wir an ! Nicht morgen, nein: Jetzt!

Vielen Dank.

 

Pfarrer Dr. Wolfgang Gramer ist ehem. geistlicher Beirats von pax christi Diözesanverband Rottenburg-Stuttgart.