Redebeitrag für den Ostermarsch Offenburg am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Meine Name ist Wolfgang Menzel von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner_innen, Regionalgruppe Mittelbaden (DFG-VK)

Die DFG-VK ist Teil der Internationale der Kriegsdienstgegner. Nach dem Ersten Weltkrieg haben sich pazifistisch gesinnte Menschen zusammengefunden und 1921, vor 101 Jahren, in einer Grundsatzerklärung festgestellt und bekannt:

DER KRIEG IST EIN VERBRECHEN AN DER MENSCHHEIT. WIR SIND DAHER ENTSCHLOSSEN; KEINE ART VON KRIEG ZU UNTERSTÜTZEN UND FÜR DIE BEEITIGUNG ALLER SEINER KRIEGSURSACHEN ZU KÄMPFEN.

Das Symbol dafür ist das zerbrochene Gewehr (wie auf der Fahne zu sehen).

Unser Pazifismus folgt dem Grundsatz der Gewaltfreiheit. Leitgedanke ist die Ablehnung von Krieg und Gewalt und die Suche nach gewaltlosen Lösungen zwischenstaatlicher Konflikte und die Überwindung von kriegerischen Ursachen in der Gesellschaft.

Wir sind aktiv gegen Krieg, Militarismus und Aufrüstung. Der persönliche Beitrag jedes Einzelnen ist die Verweigerung des Kriegsdienstes. Seit vielen Jahrzehnten unterstützen wir Kriegsdienstverweigerer.

Es ist, wie ihr euch denken könnt, nicht mein erster Ostermarsch. Ich begrüße alle, die bereits seit Jahren und Jahrzehnten aktiv sind und besonders diejenigen, die heute zum ersten Mal dabei sind.

Ich spreche zum Thema Kriegsdienstverweigerung und Desertion.

Im Aufruf zu diesem Ostermarsch ist davon nicht die Rede.

Und es fehlt die Forderung „Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure“.

Hinzunehmen könnte man: „Keine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht!“

Der Platz auf einem Flugblatt ist begrenzt, es lässt sich nicht alles unterbringen. Deshalb jetzt hier an dieser Stelle ein paar Gedanken dazu.

In ruhigen Zeiten ohne bewaffnete Konflikte in der Nachbarschaft

und ohne offene Kriegsdrohung wird das Recht auf Kriegsdienstverweigerung leichter gewährt

und kann die Wehrpflicht ausgesetzt bleiben, weil beides keine Auswirkungen auf die tatsächliche Sicherheit des Staates und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hat.

Ändert sich die politische Lage, werden menschenrechtliche pazifistische Errungenschaften schnell in Frage gestellt. Teilweise werden sie auch instrumentalisiert für die eigene Propaganda.

Der Aufruf „Die Waffen nieder!“ – „Verlasst eure Einheiten, beendet das sinnlose Morden, desertiert!“ wird nur an die Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte gerichtet, während man dieselben Handlungen im eigenen Militär unter Strafe stellt.

Vor 10 Tagen, am 6. April, hat der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, russische Soldaten zum Desertieren aufgefordert: „… werft eure Waffen weg, hört auf zu kämpfen, verlasst das Schlachtfeld!“

Es ist unklar, ob dieser Aufruf von den russischen Soldaten überhaupt wahrgenommen werden kann – Stichwort Zensur und staatliche Kontrolle über die Medien in Russland - und ob die Menschen in den Panzern, an den Raketenwerfern, in den Kampfflugzeugen und Bombern, in den Steuerungszentralen von Mittel- und Langstreckenraketen, im Planungsstab der Generalität

ihn ernst nehmen würden, denn Herr Michel sagt nichts dazu, wie die EU denjenigen konkret helfen wird, die es als Deserteure bis in die EU schaffen.

Er sagt nur, dass er ein Asylangebot für Deserteure „für eine wertvolle Idee, die weiterverfolgt werden sollte“ hält.

Das ist noch sehr vage. Aber es wäre ein Anfang. Die Forderung der Friedensbewegung geht darüber hinaus:

Asyl für alle Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belaruss und der Ukraine!

Warum auch aus der Ukraine? werden jetzt manche fragen.

Dort wird doch jeder Mann zur militärischen und paramilitärischen Landesverteidigung gebraucht.

Seit Februar gilt in der Ukraine die allgemeine Mobilmachung. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Frauen und Kinder dürfen ins Ausland flüchten, Männer nicht.

Das ist ein Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention, nach der es jeder Person freisteht „jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen“.

Es gibt ein Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Niemand darf gezwungen werden, andere Menschen zu töten.

Nicht nur der Aggressor, die russische Föderation, und sein Handlanger Belaruss, auch die Ukraine ist ein in hohem Maße militarisiertes Land. In allen drei Ländern gibt es nur ein sehr eingeschränktes Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Militärdienstentziehung und Desertion werden strafrechtlich verfolgt: in Russland ist die Strafe bis zu 10 Jahre Haft, in der Ukraine sind es bis zu drei Jahre Haft.

In Gefechtssituationen räumt die Ukraine den Befehlshabern das Recht ein, gegen die eigenen Untergebenen „von der Waffe Gebrauch zu machen“, das heißt, auf Deserteure oder Ungehorsame zu schießen.

Kriegsdienstverweigerung im Krieg kann riskant sein.

Bereit lange vor dem Angriff auf das Land gab es in der Ukraine willkürliche Verhaftungen von Kriegsdienstverweigerern, wurden Kriegsdienstgegner als Ketzer und Verräter angerangert.

Wer sich aus diesen Ländern dem Krieg und dem Kriegsdienst verweigert und in der EU Asyl beantragt,

hat hohe Hürden zu überwinden und läuft Gefahr bei Ablehnung zurückgeschickt und in seinem Heimatland vor Gericht gestellt zu werden.

Wir fordern: Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und Friedensaktivisten_innen überall auf der Welt.

In Russland und in der Ukrainie gibt es Organisationen von Kriegsdienstverweigerern und Pazifist-innen.

Sie sind klein, aber es gibt sie noch.

Zu ihnen müssen wir Kontakt halten und sie unterstützen.

Das Beispiel Rulan Kozaba.

Der Pazifist Ruslan Kozaba prangerte 2015 - ein Jahr nach der Annexion der Krim durch Russland - die Mobilisierung für den Donbas-Krieg an.

Er wurde wegen Hochverrats inhaftiert, freigesprochen, freigelassen und erneut vor Gericht gestellt, wobei das Gericht bei jeder Anhörung von einer Horde von Hassern umzingelt war.

Kürzlich wurde er auf einem Bahnhof von Neonazis angegriffen und verlor durch das verspritzte grüne Desinfektionsmittel sein Augenlicht auf einem Auge. Die Polizei konnte die Täter nicht festnehmen. (Quelle: Jurij Scheljashenko, Ukrainische pazifisitsche Bewegung: In the new cold war, we have no future. 29. Juli 2021, Rundbrief KDV im Krieg, hrsg. Connection e.V. Aufgabe 1/2022, 10. Februar 2022)

Wir fordern die Bundesregierung auf, russischen, belarussischen und ukrainischen Deserteuren Asyl zu gewähren!

Man kann es nicht oft genug sagen:

Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand.

Einstellung aller Kampfhandlungen, Aufnahme von Verhandlungen.

Zensur, Unterdrückung der Meinungsfreiheit und das harte Durchgreifen gegen unabhängigen Journalismus, Antikriegsproteste und Andersdenkene in Russland muss beendet werden.

Dieser Krieg ist auch ein Propagandakrieg.

Deshalb: Gegen Lüge, Hetze und Hass!

Danke.

 

Wolfgang Menzel  ist aktiv bei der DFG-VK.