Redebeitrag für den Ostermarsch Sachen-Anhalt in Wolmirstedt am 1. April 2024

 

- Sperrfrist: 01.04., Redebeginn: ca. 14.30 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freunde, liebe Friedensbewegte,

die, die mich kennen, wissen, ich komme aus der Kunst, und als solcher aus der Kunst stammender Mensch, bin ich kein Experte, kein Theoretiker, auch kein Aktivist. Ich gestehe, dass ich Prosa und Lyrik immer dem Sachbuch vorgezogen habe; vielleicht, weil ich die Perspektive des Einzelnen und einen emotionalen Zugang brauche, um zu verstehen. Aber auch, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, und der ukrainische Schriftsteller Yevgeniy Breyger hat es im Jahr 2023 treffend formuliert: „Alle Kunst ist Widerstand, alle Poesie ist politisch.“ Sofort denke ich an Bertolt Brechts „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“ und Victor Hugo würde beipflichtend antworten: „In einer Seele voll Finsternis ist die Sünde am Werk. Strafbar ist aber nicht der Sünder, sondern der, der die Finsternis schafft.“ Ich denke an Jean Anouihl, der in Paris im Dezember 1941 eine Bearbeitung der Antigone geschrieben und aufgeführt hatte. Das „Theater der Kälte“ - eine Heizung gab es nicht - wurde zum zeitweiligen Zufluchtsort derer, die in der Finsternis des Krieges überleben mussten; das Dargestellte führte ihnen die eigene vom Krieg geprägte Situation und die Widersprüche vor Augen und schuf ein Gefühl der Gemeinsamkeit für einen kleinen Moment.

Als ich geboren wurde, herrschte Krieg in der Welt. Als ich aufwuchs, herrschte Krieg in der Welt. Als ich älter wurde, herrschte Krieg. Krieg wird herrschen in der Welt, wenn ich längst gestorben sein werde. Ein Zufall nur, dass ich und so viele mit mir bisher in Frieden leben durfte. Dafür bin ich dankbar.

Mir kommt es, wenn ich über den Frieden nachdenke, so vor; dieses Denken ist nicht weniger als die Quadratur des Kreises. Ich versuche Ecken, an denen ich mich festhalten kann, in die geschlossene Linie zu drücken, aber am Ende umrunde ich nur das Problem und bin wieder am Ausgangspunkt der Erkenntnis: Frieden wird in dieser Welt niemals Realität, solange wir nicht ihre Bedingungen ändern; also tatsächlich den Teufelskreis - Krieg erzeugt Krieg erzeugt Krieg - durchbrechen und ein Quadrat, dessen Seiten alle gleich lang sind, erschaffen.

Es gibt so viele kriegs- und friedenswissenschaftliche Betrachtungen, aber die Theorien zerbrechen immer wieder an der Wirklichkeit Mensch. Ich glaube, dass in unserer Fortschrittsgesellschaft nur ein Fortschritt diesen Namen wirklich verdient: der Schritt zum Frieden. Wir dürfen Fortschritt nicht mit Bequemlichkeit verwechseln - das tun wir aber und lassen uns es eine Menge kosten, am Ende dient dieser Fortschritt nur dem Profit. Wenn die Menschheit den Krieg überwinden kann, wirklich fortschreitet, dann ... Ich muss an Fritz Lang denken, in seinem Klassenkampfepos „Metropolis“ gibt es diese Zeile: „Der menschliche Erfindungsgeist kennt keine Utopie, sondern nur ein Noch nicht.“ Das heißt wohl, noch ein paar Runden weiterdrehen, vielleicht gelingt nicht das Quadrat, aber eine Spirale, in deren Mitte ein Punkt wartet - Gleiches Recht für alle!

Es werden dieser Tage viele weise und wichtige Worte gesprochen. Um sie herum tönen Ketten von leeren Worthülsen, die die weisen Worte überplappern. Die Worthülsen sind zwar bedeutungslos, aber wir haben uns daran gewöhnt, ihnen trotzdem zuzuhören und ihnen mehr Bedeutung zu schenken, denn andernfalls müssten wir uns dem Offensichtlichen stellen: Wir lassen es tagtäglich zu, dass Familien zerstört werden, dass Kinder, Frauen und Männer ermordet werden, dass Menschen gefoltert werden, dass Menschen in Angst und Schrecken ihre Heimat verlassen müssen und dort, wo sie ankommen, sie niemals willkommen sein werden. Das passiert nicht einfach! Wir vernichten unser aller Lebensgrundlage und werden am Ende um die übrig gebliebenen kleinen Reste kämpfen müssen. Wer zieht das Glück und wer die Niete? Es gibt über den Krieg nichts anderes zu sagen! Ich glaube, dass jede Erklärung, jede Schuldzuweisung am Ende nur der Versuch ist, zu verschleiern, dass die einen eben doch vom Krieg profitieren - auch wenn sie das Gegenteil beteuern - und dass die anderen nicht die nötige Kraft aufzubringen vermögen, ihn zu verhindern - vielleicht, weil es auch für sie Verlust bedeuten würde. Entschlossen zu sein, reicht allein nicht mehr aus! Die Schuldenuhr, die unseren Raubbau an Natur und Mensch dokumentiert, ist ein Countdown.

Wir verstricken uns im Widerspruch und plötzlich läutet jemand die Zeitenwende ein. Dann heißt es: Deutschland muss WIEDER kriegstüchtig werden. 100 Milliarden sind aber erst der Anfang vom Ende. Einmal abgesehen davon, dass unser Bildungssystem erodiert, dass das Gesundheitssystem kollabiert, dass die brüchigen Wände einer von innen ausgehöhlten Infrastruktur nur noch von auf die Mauerreste geklebten Plakaten zusammengehalten wird, auf denen steht: Der Zug fällt heute aus und morgen wahrscheinlich auch; abgesehen davon, dass konservative und rechtsextreme Kräfte gleichermaßen den weniger vom Glück des Kapitalismus Gesegneten weismachen wollen, die Ursache all ihrer Probleme liege lediglich in der unkontrollierten Migration und die Flüchtenden nähmen ihnen etwas weg - eine geschickte Strategie und sie scheint aufzugehen. Man tritt nicht nach oben, sondern zur Seite - das ist weniger anstrengend. Anstatt die Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge kriegstüchtig zu machen, sollten wir sie lebenstüchtig machen. Anstatt das Geld, für das wir alle arbeiten, dafür zur Verfügung zu stellen, finanzieren wir die Tötungsindustrie - das ist unerträglich. - Kann das die richtige Antwort sein, auf eine Gesellschaft der seelischen Kälte? - Deutschlands Gesundheitswesen soll für den Kriegsfall gerüstet werden, die Panzer donnern mir so selbstverständlich entgegen, wenn ich nach Haldensleben fahre, auf einer landwirtschaftlichen Anlage in meinem Nachbardorf entstand eine Übungsbasis auf Zeit - Geschütze nahmen vorbeifahrende Autos ins Visier -, und unsere Schülerinnen und Schüler sollen künftig ein „unverkrampftes Verhältnis“ zur Bundeswehr entwickeln - Kommt jetzt die Yolobundeswehr? No way, Bro - Stay out! Die Bundeswehr hat an unseren Schulen nichts verloren. Die schleichende Kriegsgewöhnung schlägt sich Bahn, immer mehr Feinde werden auf der Welt und im eigenen Land ausgemacht. Das Getöse des Krieges liegt in weiter Ferne noch - aber bei uns zu Hause stellt man den Verstärker an. Kriege werden dämonisiert, Personen werden dämonisiert, aber das ändert nichts daran, dass er noch immer herrscht, der Krieg der Interessen.

Die Kriegsgefahr bedroht unsere Werte - sie müssen wir in Sicherheit bringen, aber vor was, vor wem und welche Werte sind es genau? Demokratie darf kein Lippenbekenntnis sein. Ach so: Freiheit. Ja, Freiheit von Werbung, Freiheit von rechtsextremer Propaganda, Freiheit von der Gier anderer Menschen, Freiheit vom Krieg hin in eine Freiheit, die sich aus der Prämisse ergibt, dass jeder einzelnen Menschen gleichwertig ist und alle entsprechend handeln, das wäre etwas - aber, nee: Unsere Werte heißen - lasst es mich so plakativ sagen -: Kaufen, Saufen und schöne Fotos von unserem Auto - von unseren zwei Autos -, unserem Haus etc. Das haben wir uns verdient - bei einigen waren es zwar vornehmlich die Großeltern und Eltern, aber warum es so genau nehmen: Erben ist ja auch eine Leistung. Ach und bitte, sich ja nicht einschränken müssen - das ist Freiheit. Dafür müssen sich nur alle anderen irgendwie einschränken.

Unsere Vorfahren haben vor zweihundert Jahren damit begonnen, die Welt zu erobern, sie haben die ressourcenreichen Länder ausgebeutet und ihre Bevölkerungen abgeschlachtet, um ihre eigene Knappheit an Ressourcen zu kompensieren. Heute sitzen wir auf dem Erbe des damals gestohlenen Reichtums und tun so, als wäre er selbst verdient. Nein, wir haben die Vorherrschaft an uns gerissen und brennen um uns alles nieder, damit niemand seine Rechte gegen uns geltend machen kann. Wir errichten unüberwindbare Mauern und meinen zynisch: Fluchtursachen müssen vor Ort gelöst werden. Ja, das stimmt. Vor Ort heißt hier! Wir selbst sind die Fluchtursache! Dafür müssen wir die Verantwortung übernehmen.

Dafür, dass ein Frieden eigentlich nur dann Frieden ist, wenn er bedingungslos ist, stellen wir ganz schön viele Bedingungen. Wir müssen aber die Logik des Krieges, die an die Logik des Kapitalismus gekoppelt ist, durchbrechen. Das bedeutet, die zur zweiten Natur gewordene Freund-Feind-Logik aufzugeben, es bedeutet auch Schuldfragen zu überwinden, ohne sie jemals als Mahnung zu vergessen, das bedeutet Ursache und Wirkung weniger Beachtung zu schenken, als dem, wie künftig eine friedliche Koexistenz aus sich selbst und auf der Grundlage gemeinsamer Verabredungen gestützt werden könnte und in der wirklich jeder Mensch dieselben Möglichkeiten haben kann. So lange nicht alle Menschen gleichbehandelt werden, wird es keinen Frieden geben! Ich glaube, perspektivisch muss nationalstaatliches Denken überwunden werden und der Zugang zu Ressourcen allen gleichermaßen gewährt werden.

Die Überwindung wird schmerzvoll sein, die Traumata wiegen schwer, die Wunden werden nur langsam heilen. Wir brauchen Zeit, wir brauchen Geduld. Aber stetig müssen wir an der Kriegslogik schleifen, Schicht für Schicht ihrer Absurdität abtragen. Auch, wenn ich das nicht mehr erleben werde. Denn mit Blick auf die Gegenwart zeigt sich, das Eigeninteresse hat wieder Konjunktur. Man könnte wahnsinnig werden, ungeduldig und laut rufen: Revolution! Aber ganz ehrlich, Revolution ist am Ende auch nur ein Blitzkrieg. Ein gewaltsamer Umsturz ist keine Grundlage für Frieden. 5 000 Jahre Menschheitsgeschichte voller Krieg und Gewalt lassen sich nicht über Nacht überwinden.

Wir brauchen eine Zeitenwende! Aber eine vollkommen andere! Folgen wir weiterhin der Logik des Krieges, werden wir künftig an zwei Fronten kämpfen: Ost gegen West, West gegen Ost und Norden gegen Süden, Süden gegen Norden. Das eine ist der Kampf der Systeme, das andere der Kampf um Ressourcen. Ich glaube, dass der zweite ein sehr viel größerer werden wird. Denn dann wird es nicht darum gehen, wer den Markt beherrscht, sondern darum, wer Zugang zu Wasser, Nahrungsmittel und Lebensraum har. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Deshalb lasst uns einer anderen Logik folgen. Lasst uns neugierig sein, lasst uns ausprobieren, wie es ist, wenn allen die gleichen Rechte zustehen, wie man Konflikte jenseits von Gewalt und Bedrohung lösen kann. Was haben wir zu verlieren!

Frieden in der Welt ist aus meiner Sicht die einzige Prämisse, um allen anderen globalen Herausforderungen zu begegnen. Wir alle tragen die Verantwortung für unsere Welt. Lasst uns diese Verantwortung gemeinsam in die Hand nehmen. Setzen wir ein starkes, gemeinsames Zeichen für einen bedingungslosen Frieden und dafür, dass unsere Kinder eines Tages in einer Welt ohne Krieg aufwachsen dürfen, in der allen Menschen die gleichen Rechte zustehen und unsere kreative Kraft dafür aufgewandt werden kann, zu entdecken, welcher Reichtum uns Menschen inne wohnt, um eine lebensbejahende Gesellschaft zu schaffen und die anderen Seiten an uns schätzen zu lernen: Verständnis, Geborgenheit, Zuversicht und Liebe.

Danke für eure Aufmerksamkeit.