Umfragen mit Sprengkraft
Umfragen zum Thema Atomwaffen boomen in den letzten Jahren.
Umfragen zum Thema Atomwaffen boomen in den letzten Jahren.

Repräsentative Meinungsumfragen zu den Themen „Atomwaffen“ und „nukleare Abrüstung“ stoßen immer wieder auf großes Interesse – sowohl innerhalb der Friedensbewegung, als auch in der sicherheitspolitischen Community. In der Regel zeichnet sich dabei eine große Ablehnung gegenüber Atomwaffen innerhalb der Bevölkerung ab. Die einzelnen Werte schwanken dabei aber sehr stark. Um zu verstehen woran das liegt, lohnt sich ein genauerer Blick auf die genauen Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten. Eine kurze Einordnung unseres Mitarbeiters Marvin Mendyka.

Laut einer Umfrage der Körber-Stiftung, die im September 2019 veröffentlicht wurde, wünschten sich 40 Prozent der Befragten, Deutschland solle „sich um nuklearen Schutz durch Frankreich und Großbritannien bemühen“. Nur etwas weniger als ein Drittel der Befragten gaben an, Deutschland sollte „auf nuklearen Schutz verzichten“. Ein Schock für viele, die sich für ein Ende der deutschen Beteiligung an der nuklearen Teilhabe engagieren.

Mehrheit der Menschen in Deutschland für Atomwaffen?
Noch ein halbes Jahr vor der Umfrage des Körber-Instituts hatte eine andere Umfrage, die von ICAN in Auftrag gegeben wurde, ein gänzlich anderes Bild ergeben. Die Atomwaffen in Deutschland sollten endlich abgezogen werden. Es sollen auch keine neuen Kampfjets angeschafft werden, mit denen die US-Atomwaffen abgeworfen werden können. Und obendrein solle Deutschland auch noch dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Für all diese Aussagen gab es Zustimmungswerte zwischen 60 und 70 Prozent in einer von YouGov erstellten Meinungsumfrage.

Hatte sich die Meinung der Menschen in Deutschland in so kurzer Zeit so stark gewandelt? Wohl kaum. Bereits in einem Artikel in der Zeitschrift „Wissenschaft & Frieden“ wurde die Körber-Umfrage genauer unter die Lupe genommen. „Wer sich ein bisschen mit Umfragen auskennt, weiß, dass Vorbemerkungen, die einseitige Tatsachenbehauptungen aufstellen, das Umfrageergebnis massiv beeinflussen.“, merkte die Autorin des W&F-Artikels, Ute Finckh-Krämer, an. Denn die Körber-Stiftung fragte nicht einfach: „Sollte Deutschland… Sich auch zukünftig auf den US-Nuklearschirm verlassen / Sich um nuklearen Schutz durch Frankreich und Großbritannien bemühen / Eigene Nuklearwaffen entwickeln / Auf nuklearen Schutz verzichten?“ Die Körber-Stiftung stellte dieser Frage auch noch diese Vorbemerkung voran: „Aktuell wird Deutschlands Sicherheit unter anderem durch den sogenannten ‚nuklearen Schirm‘ der USA gewährleistet.“

Dass Atomwaffen überhaupt einen „Schutz“ bieten ist jedoch überhaupt nicht unumstritten. Die Mehrheit der Staatengemeinschaft sieht dies beispielsweise nicht so und fühlt sich durch die humanitären Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen bedroht. Nur eine Minderheit der Staaten weltweit setzt hingegen auf Atomwaffen als „Schutz-Schirm“. Dies wird bei der Fragestellung der Körber-Stiftung jedoch vollkommen ausgeblendet. Umso bemerkenswerter ist es, dass dennoch knapp ein Drittel der Befragten gegen den vermeintlichen Schutz durch Atomwaffen votierten.

Auch für eine kürzlich (Anfang Oktober 2020) veröffentlichte Sonderausgabe des Munich Security Reports, einer Publikation der Münchner Sicherheitskonferenz, wurde bei forsa eine Umfrage in Auftrag gegeben, die u.a. nach der Meinung der Deutschen zum „nuklearen Schirm“ fragt. Die genaue Fragestellung lautete dabei:

„Bisher wird Deutschlands Sicherheit auch durch den sogenannten „nuklearen Schirm“ gewährleistet Das bedeutet, dass andere Staaten wissen, dass die USA Deutschland im Falle eines Krieges notfalls auch mit Atomwaffen verteidigen würden. Einmal ganz generell: Sollte Deutschland auch künftig auf die Abschreckung durch Atomwaffen setzen – ob durch die USA oder andere Staaten – oder sollte Deutschland ganz auf die Abschreckung durch Atomwaffen verzichten?“ [Quelle: https://twitter.com/TobiasBunde/status/1313429712073564160]

Obwohl auch hier die Fragestellung damit begonnen wird, dass zunächst einmal „Deutschlands Sicherheit“ mit dem „nuklearen Schirm“ verknüpft wird, gaben nichtsdestotrotz 66 Prozent der Befragten an, es solle ganz auf Abschreckung durch Atomwaffen verzichtet werden. Weniger als ein Drittel (31 Prozent) hingegen wollen weiter auf Abschreckung setzen.

Die bisher eindeutigsten Umfrageergebnisse kamen im Zuge einer von Greenpeace Deutschland in Auftrag gegebenen Umfrage zustande, welche ebenso wie die Umfrage der Körber-Stiftung durch das Kantar Institut durchgeführt wurde. Auch hier lohnt sich ein kritischer Blick auf die Fragestellung, um die Ergebnisse einordnen zu können. So wurde im Rahmen der Greenpeace-Umfrage etwa gefragt: „In Deutschland sind Atombomben der USA stationiert. Sollten diese… durch neue Atombomben ausgetauscht werden / komplett aus Deutschland abgezogen werden / weiß nicht“.

Ob die Befragten hierbei wussten, warum sie sich zwischen „neuen Atombomben“ und dem „Komplettabzug“ entscheiden sollten? Tatsächlich sind die Antwortmöglichkeiten nicht aus der Luft gegriffen. Schließlich werden die bislang in Deutschland stationierten Atomwaffen vom Typ B-61 in den kommenden Jahren ausgemustert und durch ein neues Modell ersetzt. Weitere Sachinformationen hätten aber auch hier nicht geschadet.

Fazit
Politische Entscheidungen richten sich (meistens) nach Mehrheiten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass NGOs und Stiftungen mit Hilfe von Umfragen versuchen, diese sichtbar zu machen, um so gesellschaftliche Debatten anzustoßen und die Grundlage für Entscheidungen zu schaffen. Der Blick auf die genauen Fragestellungen verrät dabei viel über die Ergebnisse – und nicht selten auch einiges über die Auftraggeber*innen.

 

 

Die zitierten repräsentativen Umfragen in chronologischer Reihenfolge sind hier zu finden:

April 2019: YouGov-Umfrage zu Atomwaffen, beauftragt von ICAN, hier abrufbar.

September 2019: Einmischen oder zurückhalten? Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung zur Sicht der Deutschen auf die Außenpolitik, hier abrufbar (auf Seite 6).

Juli 2020: Greenpeace-Umfrage zu Atomwaffen und Atomwaffenverbotsvertrag, hier abrufbar.

Oktober 2020: Sonderausgabe des Munich Security Report zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, hier abrufbar (auf Seite 127).

 

 

Weitere Literatur:

Ute Finckh-Krämer: Mythos nukleare Abschreckung, in: Wissenschaft & Frieden (1/2020), S. 31-33.