An knallharten Sanktionen führt kein Weg vorbei
Industriegebiet im Süden Russlands: düstere Aussichten längst vor dem Krieg
Industriegebiet im Süden Russlands: düstere Aussichten längst vor dem Krieg
Bild: s.lav, CC BY 2.0

Putins Regime muss für den Einmarsch in die Ukraine aufs Härteste bestraft werden. Die ganze zivilisierte Welt erklärte jetzt Russland den Wirtschaftskrieg. Zurecht. Das ist der vierte Text der Blogserie "Putins Krieg mit den Augen eines Deutschrussen". (4/7)

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Die Frage, ob Sanktionen die richtigen Maßnahmen sind, um das Kreml-Regime für den Krieg zu bestrafen sowie dessen Sturz zu beschleunigen, stellt sich heute nicht mehr. Von der Prämisse ausgehend, dass man der russischen Aggression die Stirn bietet und diese nicht gleichgültig hinnimmt, sind Sanktionen – und zwar knallharte­ – die einzige Lösung. Der Wirtschaftskrieg, welchen die ganze zivilisierte Welt dem von Putin befallenen Land erklärte, scheint in seiner mittelfristigen Wirkung sogar effektiver zu sein als der herkömmliche Krieg, der ja nie in Frage käme. Der russische Überfall auf die Ukraine markiert das endgültige Scheitern der Beschwichtigungspolitik. Genau wie in den Dreißigerjahren, als sich der britische Premierminister Chamberlain mit Nazideutschland verrechnete, ging der Schuss auch jetzt nach hinten los. Ein auf Krawall gebürsteter Diktator kann nie besänftigt werden, bestenfalls wird eine Verschnaufpause gewonnen. Klar ist man im Nachhinein immer schlauer, doch bleibt die Frage, warum Putin so lange mit Samthandschuhen angefasst wurde. Als würde er die Existenz einer starken ukrainischen Demokratie (es wäre in der Tat ein „Anti-Russland“, wie er sagt [1]) erlauben. Den von Russland 2014 begonnenen und erst am 24. Februar dieses Jahres in seine heiße Phase geratenen Konflikt hätte man noch vor acht Jahren mit aller Härte sanktionieren müssen. Die damaligen Sanktionen bekamen zwar alle Russen zu spüren, doch ermunterten diese Halbmaßnahmen Putin weiterzumachen. Das russische Volk, welches nie gut lebte, würde nach Putins Logik alle Sanktionen über sich ergehen lassen.

Die Parolen à la „Es gibt nur den Weg der Diplomatie“ (Gregor Gysi, 2014 [2]) und „Zurück zu Völkerrecht und Diplomatie“ (Gregor Gysi, 2022 [3]) haben ausgedient. An welchen Verhandlungstisch soll man zurückkehren, wenn das offizielle Russland wie mit den sogenannten „Sicherheitsgarantien“ Ende 2021 vorab unerfüllbare Bedingungen stellt [4] mit dem Ziel, dem Westen nachher den schwarzen Peter zuzuschieben? Putins Mantra „Ich wollte es nicht, sah mich aber dazu gezwungen“ funktioniert ja immer auf dieser Weise, die entsprechende rhetorische Pirouette drehte er auch in seiner Rede am 9. Mai [5]. Was bedeutet „Verhandeln statt Schießen?“ in Zeiten, in denen russische Truppen ukrainische Städte vernichten? Käme es zu einer solchen Verhandlung, würde Putin – das hat er vor kurzem in einem zweistündigen Gespräch mit Macron verlauten lassen [6]  – den Lieferstopp moderner NATO-Waffen fordern. Im Gegenzug bekäme man womöglich ein Versprechen, weniger Zivilisten zu töten (natürlich wäre es mit notorischen Euphemismen formuliert).

Zu lange hat Europa unter deutscher Ägide gezögert und vor Putins kranker Weltanschauung die Augen verschlossen. Erst nachdem diese in einem Zermürbungskrieg gegen die Ukraine mündete, sah man sich zum raschen Umdenken gezwungen. Dieses Umdenken liefe nur auf knallharte und allumfassende Sanktionen hinaus. Fast tausend westliche Unternehmen schränkten ihre Arbeit in Russland ein[7], gekoppelt mit der angestrebten wirtschaftlichen Abschottung macht das den Zusammenbruch der extrem importabhängigen Wirtschaft Russlands unausweichlich. Viele einfache Russen werden verarmen, das Lebensniveau wird sich drastisch verschlechtern. Die jungen und ambitiösen, die in normalen Zeiten selbst im System Putin das Land in manchen Bereichen vorantrieben, werden jetzt von der globalen Wissenschaft und Technologie abgeschnitten. Das Exportverbot von Hochtechnologie wie Quantenrechnern, hochwertiger Elektronik und allen voran modernen Halbleitern versetzt der russischen Wirtschaft den Todesstoß. 

An dieser Stelle muss mit dem Mythos aufgeräumt werden, China würde die Folgen westlicher Sanktionen abfedern oder gar Russland zur Seite stehen. Wird es nicht. Es gibt keine russisch-chinesische strategische Partnerschaft, zwischen den beiden autoritär regierten Mächten gibt es eher eine zufällige Überschneidung von Interessen aus dem Willen heraus, der amerikanischen Dominanz die Stirn zu bieten. Die beiden haben es satt, sich für Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen zu müssen und betrachten die Idee der Demokratie als brandgefährlich. Doch ist Russland für China ein absoluter Juniorpartner, nie würde es seine Handelsbeziehungen mit dem Westen riskieren. Und China würde sie zwangsläufig riskieren, würde es Russland wirtschaftliche, geschweige denn militärische Hilfe leisten oder dabei helfen, Sanktionen zu umgehen. China wahrt die gegen Russland verhängten Sanktionen und wird nicht mit den sanktionierten Firmen zusammenarbeiten. Genau wie westliche verlassen auch chinesische Unternehmen den russischen Markt. Dabei sind sie leiser, denn moralische Verpflichtungen spielen für Peking keine Rolle, nur die Abwendung des Risikos, selbst sanktioniert zu werden. Und als Sahnehäubchen dürfte die chinesische Führung über das Versagen der russischen Armee verärgert sein: Man ist sich jetzt alles andere als sicher, China könne Taiwan blitzschnell einnehmen [8]

Außer Nordkorea und Eritrea hat das heutige Russland keine Freunde mehr. Selbst die ehemaligen Sowjetrepubliken wie Kasachstan gehen jetzt auf Distanz und verweigern Russland Hilfe bei der Umgehung von Sanktionen [9]. Die Wirksamkeit der gegen Russland verhängten Sanktionen zeigt sich auch darin, dass jetzt kein Staat eine wirtschaftliche Kooperation mit Russland anstreben wird: Somit liefe er Gefahr, selbst sanktioniert zu werden. Das Pariadasein ist in heutiger Welt der wirtschaftlichen Verflechtungen höchst ansteckend, das Damoklesschwert der Sekundär-Sanktionen hängt über die nicht-amerikanischen Firmen und zwingt sie zu einer Wahl: Entweder ihr Geschäft in Russland forstsetzen oder abziehen und dadurch in den USA bleiben zu dürfen. Beides geht nicht [10].

Die russischen Eliten befinden sich momentan in einem regelrechten Schockzustand, sie sind völlig demoralisiert. Nie konnten sie glauben, dass die dunkle Energie des Ressentiments für die Erniedrigung der postsowjetischen Zeit, deren Träger das einfache Volk war, in einem echten Krieg münden und Putin Anführer dieses Ressentiments werden kann. Zweiundzwanzig Jahre lang galt Putin für russische Superreiche als Garant dafür, dass sie und ihre Familienmitglieder das süße Leben in Europa genießen, gleichzeitig aber ihre Gelder und abgesteckten Einflusssphären in Russland behalten durften. Im Gegensatz zur blutlos verlaufenden Krim-Annexion können die russischen Superreichen nicht mehr ihr übliches Doppelspiel spielen und sich im Westen als self-made businessmen verkaufen (obschon in Russland kein erhebliches Vermögen ohne Verstrickung in die Korruption und kriminelle Machenschaften zustande kommen kann), die mit Putin nichts zu tun haben wollen. Natürlich wusste Putin von diesem Doppelspiel und war auf die Oligarchen sauer, doch war das System stabil, was für ihn enorme Bedeutung hat.

Hätte Russland den Blitzkrieg mit einem blutlosen Machtwechsel in der Ukraine durchgezogen, wären die Sanktionen womöglich deutlich milder ausgefallen. Doch selbst jetzt braucht Putin keinerlei Rücksicht auf die Oligarchen zu nehmen, die ihn einst an die Macht geführt haben. Er rächt sich jetzt an ihnen: Dem aller Wahrscheinlichkeit nach reichsten Mann der Welt [11] blieben in diesem Jahrhundert die großbürgerlichen Vergnügen versagt, die Oligarchen machten es sich dagegen gemütlich. Damit ist es jetzt vorbei, das Schiff können sie nicht mehr verlassen. Viele sind jetzt auch festgekettete „Galeerensklaven“, wie sich Putin mal nannte. Das ist schon an sich ein großer Erfolg der Sanktionspolitik. Russische Monetokratie geht vor unseren Augen zugrunde. Egal, wie viele Milliarden man auf dem Konto hat: Daraus kann kein politisches Kapital mehr geschlagen werden. Im Westen kann man sich nicht mehr reinwaschen. Allmählich begreifen die Russen, dass die Sanktionen bestenfalls mittelfristig gelockert, geschweige denn aufgehoben sein werden. Selbst nach dem Kollaps dieses Regimes und dem Abgang Putins werden sie nicht aufgehoben, dafür bedürfte es einer radikalen Veränderung der Natur der russischen Staatlichkeit.

 

 

 

Alexander Zaslawski

 

 

Über diesen Blog:

Das ist der vierte Text der Blogserie "Putins Krieg mit den Augen eines Deutschrussen", welche ich im Rahmen meines Praktikums beim Netwerk Friedenskooperative erstelle. Ich freue mich über Anregungen, Feedback und Kritik. Ich bin unter a [dot] zaslawski [at] friedenskooperative [dot] de zu erreichen.

 

Fußnoten:
[1] https://www.bbc.com/russian/news-57795642.amp

[2] https://www.youtube.com/watch?v=ezEjykTJjVk

[3] https://www.youtube.com/watch?v=CPb6fZ3fSGE

[4] Russische Forderungen, die NATO müsse zum Stand vom 17. Mai 1997 zurückkehren, militärische Aktivitäten in Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes einstellen sowie keine neuen Mitglieder aufnehmen, untergrüben den Sinn und Zweck dieser Organisation; https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-nato-sicherheitsgarant...

[5] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/putins-rede-zum-9-mai-vie...

[6] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-krieg-emmanuel-macro...

[7] https://som.yale.edu/story/2022/almost-1000-companies-have-curtailed-ope...

[8] https://www.newsweek.com/china-taiwan-russia-ukraine-cia-director-willia...

[9] https://m.lenta.ru/news/2022/04/01/bbye/amp/

[10]https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-04-05/what-secondary-sancti...

[11] https://praxistipps.focus.de/wie-reich-ist-putin-das-schaetzen-experten_...