Redebeitrag für die Veranstaltung zum Antikriegstag in Stuttgart am 1. September 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen haben am Ende der Weimarer Republik gewarnt, Wer Hitler wählt, wählt Krieg!

Die Menschen wollten ihnen nicht glauben.

Dann kam der 1. September 1939.

Der 2. Weltkrieg begann. 60 Millionen Menschen verloren ihr Leben.

Deutschland lag in Schutt und Asche. Kaum eine Familie verlor nicht einen Angehörigen.

Diejenigen, die das Grauen erlebt haben, werden es niemals vergessen. Sie sind für ihr Leben gezeichnet.

Deutschland hat nach 1945 eine Ära des Aufbruchs erlebt.

Das Wirtschaftswunder hat viele Traumata überdeckt.

Doch was bedeutet das kollektive Verdrängen für eine Gesellschaft?

Für den einzelnen ist es erste Hilfe für die Seele.

Für eine Gesellschaft ist das Verdrängen mehr als problematisch.

„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.

Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“

Das hat Richard von Weizsäcker 1985 in seiner beachtenswerten Rede im Bundestag zum 8. Mai gesagt.

Der 8. Mai 1945 war der Tag der Befreiung vom Faschismus.

Erinnern ist unbequem – aber nötig.

Das zeigt sich heute mehr denn je.

Die Ansteckungsgefahren für antidemokratisches, rechtsnationales Gedankengut wachsen!

Sie wachsen erschreckend schnell!

In Deutschland und in vielen anderen Ländern Europas.

Aussagen, für die man sich früher in Grund und Boden geschämt hätte, posaunen manche Zeitgenossen heute ganz unverfroren heraus.

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, so das Motto.

Perfide Provokationen, werden halbherzig zurückgenommen.

Doch die Unworte sind in der Welt.

Ihr kennt alle die Aussagen vom Denkmal der Schande und vom Vogelschiss in der deutschen Geschichte.

Eine Schlammlawine von Propaganda, die sich bei allzu vielen Leuten verfängt.

Das erinnert mich an die schwärzeste Stunde Deutschlands. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Das macht mich traurig und zornig.

Unsere Demokratie lebt von dem Austausch von Argumenten.

Sie lebt auch vom gegenseitigen Respekt.

Einem Wert, um den sich die rechten Hetzer einen feuchten Kehricht scheren.

Sie pochen auf das Recht des Stärkeren – ohne Rücksicht auf Verluste.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

es darf nicht sein, dass Teile unsere Gesellschaft die Opfer von Gewaltherrschaft verhöhnen.

Es darf nicht sein, dass Menschen in unserer Mitte beleidigt und bespuckt werden, nur weil sie anders aussehen.

Es darf nicht sein, dass wieder Nazis grölend durch unsere Straßen ziehen.

Die braune Saat geht auf.

In Chemnitz haben sich neue Abgründe aufgetan.

Ein entfesselter Mob, der Jagd macht auf Migrantinnen und Migranten, Neonazis zeigen den Hitlergruß, Scharen von Mitläufern klatschen Beifall, und die Polizei ist total überfordert.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

solche Bilder machen mir Angst.

Sie machen mich wütend.

Ich frage mich:

Wie dünn ist die Decke der Zivilisation?

Wie hoch ist die Gewaltbereitschaft in unserem Land?

Wir Demokratien/Innen sind mehr denn je gefordert.

Wir Gewerkschafter/Innen stellen uns gegen jede Form von Gewalt, gegen jede Form von Fremdenhass, gegen Hetze und Nazi-Parolen.

Alle zivilgesellschaftlichen Kräfte müssen jetzt Position beziehen.

Keiner kann mehr behaupten, er/sie hebe es nicht gewusst.

Chemnitz und ähnliche Ereignisse dürfen uns nicht kalt lassen.

Es geht um den Frieden in unserem Land.

Es geht darum, den Rechtsstaat und die Demokratie zu verteidigen.

Es geht darum, den Opfern von rechter Gewalt beizustehen.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe angegriffen und beschimpft werden.

Das ist eine Schande für unser Land.

Es ist unterste Schublade auf Schwächere einzudreschen.

Es ist einfach nur mies, Menschen zu attackieren, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind.

2017 gab es mehr als 2.000 Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte.

Hier gilt es, Stopp zu sagen.

Hier gilt es ein klares Zeichengegen den Hass zu setzen.

Wir dürfen den Rechtspopulisten nicht das Feld überlassen.

Markus Frohnmaier, AfD-Bundestagsabgeordneter aus Böblingen, ruft indirekt zur Selbstjustiz auf.

Ich zitiere:

„Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selbst.“

Es sei „Bürgerpflicht, die todbringende Messermigration zu stoppen“.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

da wird mir schlecht, wenn ich so etwas höre.

Inzwischen ist Frohnmaier zurückgerudert – von Selbstjustiz will er nichts gesagt haben.

Ein Jörg Meuthen findet, dass die Exzesse in Chemnitz nichts mit der AfD zu tun haben, sondern mit einer „finsteren Stimmung in unserem Land.“

Ein Alexander Gauland findet es normal, dass die Menschen nach so einem Tötungsdelikt wie auf dem Chemnitzer Stadtfest ausrasten.

Bei so viel Dreistigkeit verschlägt es einem die Sprache.

Um das deutlich zu sagen:

Es geht nicht darum, Verbrechen zu relativieren oder Gewalttaten zu bagatellisieren!

Die Tötung eines Menschen, unabhängig von der Person ist ein Kapitalverbrechen.

Sie gehört hart bestraft, von einem Gericht - und von niemandem sonst.

Wir dürfen den Rechtsstaat nicht in Frage stellen,

 

liebe Freundinnen und Freunde!

Chemnitz hat erneut gezeigt:

Der Tod eines Menschen wird für die eigene Propaganda benutzt.

Und das haben wir doch alles schon einmal erlebt.

Hier in Deutschland Offensichtlich gibt es in unserer Gesellschaft einen Bodensatz an rechtem Gedankengut.

Dieses Potenzial schlachtet die AfD unter dem Deckmantel einer demokratischen Partei gnadenlos aus.

AfDler stellen sich gegen die Pressefreiheit.

Sie bedrohen Journalistinnen und Journalisten.

Sie missachten die Justiz so wie im Fall Räpple.

Sie schüren Ängste und leben dabei ihre Machtfantasien aus.

Die Meuthens, Gauland, Weidels und Co. sind die eigentlichen Brandstifter. Die Wölfe im Schafspelz.

Auch das hatten wir hier schon einmal.

Deshalb: Wehret den Anfängen.

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

der DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften haben dafür gesorgt, dass der 1. September eine feste Größe als Tag der Erinnerung in unserem Kalender ist.

Heute gedenken wir gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen des Grauens und des unermesslichen Leids der beiden Weltkriege.

Für beide Kriege ist das „Deutsche Reich“ verantwortlich.

Insgesamt sind mehr als 80 Millionen Menschen getötetworden.

Gerade in diesem Jahr haben wir besonderen Anlass, den Antikriegstag als Tag des Mahnens vor Nationalismus und Faschismus zu begehen.

Denn 2018 jährt sich das Ende des 1. Weltkriegs zum hundertsten Mal.

Nie wieder Krieg!

Nie wieder Faschismus!

Dafür kämpfen wir Gewerkschafter/Innen in Deutschland, Europa und weltweit!

Unser Eintreten für Frieden und Demokratie ist heute so wichtig wie in der Nachkriegszeit – vielleicht wichtiger denn je!

Die Welt gerät immer mehr aus dem Gleichgewicht.

Rund um den Globus toben mehr als 30 Kriege und bewaffnete Konflikte.

Politische Schwergewichte wie die USA und Russland sind nicht fähig, eine Friedensordnung zu schaffen.

Aufstrebende Mächte wie China und Indien sind mehr auf den eigenen Vorteil bedacht als auf Friedenssicherung und internationalen Ausgleich.

Ein neues nukleares Wettrüsten könnte in Gang kommen.

Donald Trump kündigt das internationale Atomabkommen mit dem Iran auf.

Und die Welt schaut zu.

Von der Bundesregierung erwarte ich, dass sie endlich den UN-Vertrag über ein Atomwaffenverbot mitträgt Mehr als 120 Staaten haben das Papier unterschrieben.

Deutschland nicht!

Was ist das für eine Friedenspolitik?

Haben wir nichts aus unserer Geschichte gelernt?

Waffengewalt und militärisches Hochrüsten lösen keine Probleme.

Eine neue Aufrüstungsspirale ist das falsche Mittel zur Lösung von Konflikten.

Und doch sind die globalen Rüstungsausgaben mit mehr als 1,7 Billionen US-Dollar so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Umgerechnet auf die Weltbevölkerung sind das 223 Dollar pro Person.

Geld für Rüstung ist immer da.

Dagegen fehlt Geld für Bildung, Gesundheit, sauberes Wasser und Klimaschutz.

Die Nato-Staaten haben sich verpflichtet, ihre Militärausgaben auf zwei Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung zu erhöhen.

Auch die Bundeskanzlerin bekennt sich zu diesem Zwei-Prozent-Ziel.

Das halten wir vom DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften für falsch.

Um das Zwei-Prozent-Ziel zu erfüllen, müsste Deutschland den Rüstungsetat um 30 Milliarden Euro aufstocken.

30 Milliarden, die besser investiert werden können:

  • in Bildung,
  • in den sozialen Wohnungsbau,
  • in die digitale Infrastruktur,
  • in ökologische Energieerzeugung,
  • in nachhaltige Mobilität,
  • für eine bessere Alterssicherung und mehr soziale Sicherheit.

Deutschland sollte mit seinen EU-Partnern eine gemeinsame europäische Strategie zur Friedenssicherung erarbeiten.

Wir müssen die Ursachen von Kriegen und Bürgerkriegen entschieden bekämpfen.

Wir brauchen eine zivile Strategie, Konflikte zu vermeiden und zu lösen.

Dies wird nur gelingen, wenn Deutschland und Europa Verantwortung übernehmen.

Verantwortung bei der fairen Gestaltung der Globalisierung!

Bei der gerechteren Verteilung des weltweiten Reichtums.

Bei der Entwicklung von sozialen und ökologischen Projekten.

Doch davon sind wir weit entfernt.

Es ist so viel einfacher, Waffen zu exportieren und glänzend daran zu verdienen als sich international um Diplomatie und Fairness zu bemühen.

Nie wieder Krieg, nie wieder Aufrüsten!

Das sagen wir nicht nur am 1. September.

Der DGB fordert seit Langem eine stärkere und bessere Kontrolle von Waffenexporten.

Keine Waffen für kriegführende Länder!

Keine Waffen für Diktaturen und Autokraten!

Abrüsten und umrüsten statt aufrüsten!

Wir brauchen eine Politik der konsequenten Abrüstung.

Wir brauchen Wege zur Rüstungskonversion.

Der DGB unterstützt die friedenspolitische Initiative „Abrüsten statt Aufrüsten“.

Die Petition richtet sich gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Bundesregierung.

Mehr als 70.000 Menschen haben bereits unterschrieben.

Das ist ein starkes Signal.

Es zeigt: Die Bürgerinnen und Bürger wollen eine friedliche Welt.

Die Initiative sammelt noch bis zu den Haushaltsdebatten im November Unterschriften.

Sie werden an die Abgeordneten übergeben.

Die fatalen Folgen des Wettrüstens sind offenbar:

Nie sind so viele Menschen auf der Flucht gewesen.

Weltweit sind es fast 70 Millionen Männer, Frauen und Kinder.

Das sind 90 Prozent der deutschen Bevölkerung.

Ich zitiere ich den Bischof Michael Curry:

„Stellen sie sich unsere Regierungen und Staaten vor, wenn Liebe der Weg ist.

Kein Kind ginge hungrig zu Bett, Armut würde Geschichte werden, die Erde wäre ein Zufluchtsort.“

Aber allein der Bürgerkrieg in Syrien hat elf Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.

Wir können uns kaum vorstellen, was es heißt, einen Koffer mit dem Allernötigsten zu packen und alles Vertraute hinter sich zu lassen.

Zum Verlust der Heimat kommt noch die Brutalität des Krieges dazu.

Der Krieg schlägt tiefe Wunden.

In Syrien kennen drei Millionen Kinder nichts anderes als Zerstörung, Gewalt, Elend und Tod.

Sie haben ihre Eltern oder Verwandte verloren, sie können nachts nicht mehr schlafen, sie wachen in Trümmerwüsten auf.

Ob ihnen geholfen werden kann, hängt davon ab, ob es in der Region dauerhaft Frieden geben wird.

Die Frage ist: Ob es mit Assad Frieden geben kann?

Er wird sein Volk weiter unterdrücken.

Seine Folterschergen haben das Land durch Terror und Folter gelähmt – mit brutaler Gewalt haben sie Menschen zum Schweigen gebracht, die ihre Freiheitsrechte eingefordert haben.

Leider ist Syrien nur ein Beispiel für Krieg und Unterdrückung.

Viele Kriege finden im Schatten der Weltöffentlichkeit statt, etwa im Jemen.

Oder der Bürgerkrieg in Somalia und im Sudan.

Eine kurze Meldung in der Tagesschau – und das Grauen ist wieder vergessen.

Das dürfen wir nicht zulassen.

Als Antwort auf die Flucht von Menschen vor Armut, Krieg und Hoffnungslosigkeit wird immer mehr die härtere Abschottung Europas diskutiert.

Das gipfelt in der Frage, ob Menschen auf dem Mittelmeer gerettet werden sollen.

Schon diese Frage zu stellen, ist unmenschlich.

Private Seenotretter werden beschimpft.

Während wir das Versagen von ganzen Staaten in der Flüchtlingspolitik hinnehmen.

Das ist mehr als verkehrte Welt!

Das ist eine Schande für Europa!

Mit Zäunen und Auffanglagern schaffen wir nicht mehr Gerechtigkeit auf der Welt.

Mehr Gerechtigkeit schaffen wir nur mit nachhaltiger Hilfe, mit Entwicklungszusammenarbeit und mit einer humanen Flüchtlingspolitik.

Wir haben das große Privileg, in Frieden und Wohlstand zu leben.

Die meisten von uns haben das Glück, zu Friedenszeiten in einer Demokratie geboren worden zu sein.

Daraus besondere Vorrechte abzuleiten, ist Unfug.

Wir haben vielmehr eine besondere Verantwortung.

Weil wir in Frieden und Freiheit leben.

Weil wir Gestaltungsmöglichkeiten haben, weil wir unsere Meinung frei sagen können.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

der innere und äußere Frieden ist das höchste Gut, das wir haben.

Sich dafür einzusetzen, ist eine tägliche Herausforderung.

Nicht nur heute am 1. September.

 

Martin Kunzmann ist DGB-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg.