Alex, lebe wohl... Nachruf auf Alexander Langer

von Christophe Solioz
Hintergrund
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"Was der Westen jetzt der ganzen Welt unter der Verkleidung einer neuen universellen Ordnung aufzwingen will, sind keine Werte..., son­dern vielmehr sein eigener Mangel an Werten. Wo auch immer irgend­eine unbeherrschbare Leidenschaft oder Überzeugung und antagonisti­sche Visionen der Welt überleben oder bestehen blieben, erzwingt der Westen eine gleichgültige Ordnung ... Großmütig erteilen wir das Recht, anders zu sein, aber heimlich - und dieses Mal unerbittlich - versuchen wir, eine Welt zu schaffen, die blutlos und ohne Unterschiede ist."

Mit diesen Worten beschrieb Baudril­lard (in Liberation vom 3.Juli 1995) ohne es zu wissen das Leben, die Anlie­gen und Kämpfe von Alexander Langer, der, nachdem er einen Punkt erreicht hatte, an dem er sich nicht länger in der Lage fühlte, weiterzumachen, sich von einer Welle von Verzweiflung wegtra­gen ließ und am 3.Juli den Freitod wählte.

Verantwortungsbewusster und mit kla­rerem Verstand als die meisten, sah Alex das Versagen des gewaltlosen po­litischen Vorgehens in den Konflikten Jugoslawiens voraus. Aber erklärt dies seinen Tod? Gewiss können die politi­schen Aspekte allein nicht die verzwei­felte Handlung erklären, die er wählte, aber sie spielten dennoch eine Rolle.

Florenz und Bozen sind die Basis von Alexander Langers Vergangenheit. Flo­renz erinnert an seine Jahre als Student des Rechts und der Soziologie, an seine Zeit als Aktivist in der "Lotta Continua" und an seine politischen Kämpfe für Bürgerrechte an den Seiten der italieni­schen Radikalen. Während dieser Jahre stellte Florenz ein Symbol der linken katholischen Dissidenten dar. Alexander wurde eine Schlüsselfigur im Dialog zwischen Katholiken und Marxisten.

Alexander gehörte einer Familie der deutschen Minderheit in Bozen an, der Hauptstadt der italienischen Provinz Südtirol. Als eine Region, die immer nach Unabhängigkeit strebte, hat Südti­rol einen tiefgehenden Einfluss auf Ale­xanders Leben ausgeübt, indem sie eine plurale Kultur schuf: Ein perfekter Bi­linguismus (italienisch-deutsch), zu dem er Französisch, Englisch, Hebräisch und Serbokroatisch hinzufügte, die Leitung eines zweisprachigen Magazins (Il ponte - Die Brücke) und vor allem ande­ren ein furchtloser Wille, die vielfachen Zugehörigkeiten zu überbrücken und gegen kulturelle oder sogenannte ethni­sche Teilungen und Hass zu kämpfen.

Nach einer Volkszählung in den späten siebziger Jahren, der das Problem Südti­rols "lösen" sollte, erließ der damaligen Staatsratsvorsitzende Spadolini ein Ge­setz, das jeden verpflichtete, seine/ihre ethnische Zugehörigkeit zu deklarieren. Alexander weigerte sich, dies zu tun und es wurde ihm daraufhin verboten, in den Schulen Südtirols zu unterrichten (bis dieses Gesetz aufgehoben wurde). Diese radikale und kompromisslose Verteidi­gung einer Staatsangehörigkeit, die nicht auf Ethnizität beruht, war später auch deutlich in seinem Kampf für Dialog und einen gerechten Frieden auf dem Balkan.

Auch seine Kandidatur für das Bürger­meisteramt in Bozen dieses Jahr wurde von seinen lokalen "politischen Freun­dInnen" abgelehnt, weil er sich wei­gerte, eine Zugehörigkeit für eine be­stimmte kulturelle und linguistische Gemeinschaft zu erklären.

Nach politischer Arbeit in seiner Region wurde Alexander Langer 1989 in das Europaparlament gewählt, in das er auch 1994 wieder einzog. Zusammen mit Claudia Roth war er Copräsident der Europäischen Grünen Bewegung und Mitglied der Kommission für Außenpo­litik, Sicherheit und Abrüstung.

Die Spaltungen, die aufgrund der jugo­slawischen Konflikte entstanden waren, veranlassten Alex, das Veronaforum mitzugründen und zu leiten, eine in Brüssel ansässige Organisation, die für Frieden und Versöhnung im ehemaligen Jugoslawien arbeitet. Alexander trieb seine Partei und das Europaparlament allgemein ständig an, sich mehr und kompromissloser auf dem Balkan zu en­gagieren. Nach Sarajevo, des kosmopo­litischen Zentrums, war es Tuzla, die multikulturelle Stadt in Nordostbosnien, die seine ergebene Unterstützung sti­mulierte.

Die Frage des Tages war das Projekt, eine Botschaft für Lokale Demokratie in Tuzla zu eröffnen. Bis zuletzt setzte Alex seinen Kampf für Frieden auf dem Balkan fort. Am 26. und 27. Juni kriti­sierte er auf dem EU Treffen in Cannes mit scharfen Worten die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft und for­derte die Mitgliedschaft Bosnien- Her­zegowinas in der Europäischen Union.

In einer Notiz, die Alex nach seinem Tod hinterlassen hat, schrieb er:

"Ich kann die Last nicht mehr tragen, ich kann einfach nicht mehr. Ich bitte Euch alle, mir für diese Trennung zu vergeben. Ich danke all jenen, die mir geholfen haben, vorwärts zu gehen. Ich fühle keine Bitterkeit gegenüber jenen, die meine Probleme vergrößert haben. "Kommt zu mir, all jene, die Ihr müde und beladen seid". Mir fehlt die Kraft, selbst diese Einladung anzunehmen. So gehe ich verzweifelter als je zuvor. Seid nicht traurig und macht weiter mit al­lem, das gerecht war." Alexander Lan­ger, Florenz, 3.Juli 1995.

In seiner eigenen Ehrung Petra Kellys schrieb Alexander im Oktober 1992: "Es ist vielleicht zu schwierig, ein personifi­zierter Träger der Hoffnung zu sein: zu viele Erwartungen werden an uns ge­richtet, zu viel unvollendete Arbeit und zu viele Enttäuschungen, zu viel Neid und Eifersucht, zu groß die Bürde der Liebe für die Menschheit und die indi­viduelle menschliche Liebe, die inein­ander übergehen und die man nie wirk­lich bereit ist zu akzeptieren, zu groß der Abstand zwischen dem, was man erhoffte und was man erreichte. Lebe wohl, Petra Kelly." (Il Manifesto, wie­deraufgelegt am 5.7.95). Lebe wohl, Alexander.

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Christophe Solioz ist Vorsitzender der Helsinki Citzens' Assembly Genf.