Krieg beginnt hier! - War starts here!

Antimilitaristisches Diskussions- und Aktionscamp

von Monty Schädel

Im Gegensatz zum Nobelpreiskomitee erkannten etwa 500 AntimilitaristInnen und KriegsgegnerInnen, dass in Europa nicht Frieden sondern Krieg vorbereitet, geübt und von hier aus geführt wird. Mitte September fanden sie sich deshalb zu einem internationalen antimilitaristischen Diskussions- und Aktionscamp in der sachsen-anhaltinischen Altmark zusammen. Unter dem Motto „War starts here“ sollte hier ein Platz des Krieges für alle sichtbar markiert, das Geschehen der Kriegsführung blockiert und die Kriegsvorbereitung sabotiert werden.

Das Ziel der antimilitaristischen Aktion war das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in Letzlingen nahe Magdeburg. Alle Soldaten der Bodentruppen der Bundeswehr, die in den Kriegseinsatz gehen, werden hier an 250 Tagen im Jahr in zweiwöchigen Trainings unter „realitätsnahen Bedingungen“ vorbereitet, so dass sie ihr Handeln im Krieg üben und perfektionieren können. Aufstandsbekämpfung und Interventionskriege werden in Rollenspielen von Luft- und Bodenmilitärtrupps simuliert. Zusätzlich entsteht auf dem 232 km² großen Gelände des Rüstungskonzerns Rheinmetall zur Zeit die ‚Übungsstadt‘ Schnöggersburg, mit allem, was eine Stadt in Zielgebieten so ausmacht: Kirchen, Moscheen, Krankenhäusern, Elendsvierteln, Kanalisation, U-Bahn-Stationen und vielem mehr. Laut Kommandantur soll es eine Stadt werden, wie sie „überall auf der Welt stehen könnte“. Zukünftige Krieg und Aufstandsbekämpfung sollen hier in der Altmark geübt werden, und zunehmend wird das Gelände auch Armeen anderer NATO- und EU-Staaten „zu Übungszwecken“ zur Verfügung gestellt.

Entern! Lahmlegen! Umgestalten!
Nach Ansicht der CampaufruferInnen und -organisatorInnen in dem europäischen antimilitaristischen Netzwerk war es also genau der richtige Ort, um nach dem Internationalen Camp 2011 an einem Übungsgelände in Nordschweden in diesem Jahr das antimilitaristische Camp zu errichten und ein deutliches „Nein!“ gegen Krieg und Militarisierung zu artikulieren. Krieg beginnt hier und kann hier aufgehalten werden. Am zentralen Aktionstag des Camps sollte der Übungsbetrieb am GÜZ unter dem Motto „Entern! Lahmlegen! Umgestalten!“ wenigstens für einen Tag unterbrochen werden. Zur Vorbereitung darauf fanden bereits schon vor dem Camp bundesweit zahlreiche Mobilisierungs- und Diskussionsveranstaltungen statt. Und auch auf dem Camp gab es vor dem Aktionstag ein anspruchsvolles Diskussionsprogramm. Dabei ging es u.a. um die Kämpfe gegen die Militarisierung der Gesellschaften und die Fragen, welche verschiedenen Ansätze antimilitaristischer und friedenspolitischer Praxen es gibt. Welche Ansätze, welche Kampagnen existieren? Welche Erfahrungen wurden gemacht? U.a. daraus schlussfolgernd ging es weiter um antimilitaristische Strategien und Perspektiven antimilitaristischen Widerstands und antimilitaristische Praxis international. In anderen Runden ging es um den Krieg in Syrien und den Arabischen Frühling oder unter der Überschrift „Aufstandsbekämpfung“ um Analysen aktueller Entwicklungen, vernetzte Sicherheit und militärisch-politische Taktiken.

Trotz der massiven Polizei- und Militärpräsenz und der Aufhebung von Grundrechten durch eine Allgemeinverfügung zu Gunsten der Aufrechterhaltung des militärischen Betriebes in der Protestregion war der Aktionstag (15.09.) von Entschlossenheit der KriegsgegnerInnen gekennzeichnet. Und während vor dem Aktionstag der Protest nicht nur kriminalisiert und der Gewalttätigkeit bezichtigt, sondern gleichzeitig auch öffentlich lächerlich gemacht und als harmlos dargestellt wurde, musste der Leiter des GÜZ, Oberst Sladeczek, danach eingestehen: „Wir können dieses Hase-und-Igel-Spiel nicht gewinnen“. Noch bis zum Mittag verbreiteten Polizei und Militär, dass es kein Eindringen von KriegsgegnerInnen auf das Gelände gegeben habe. Mit umfangreichen Kontrollen und massiver optischer Präsenz von Polizei und Militär sollte der Eindruck erweckt werden, dass sie alles unter Kontrolle hätten. Das änderte sich aber dann, als sich die ersten AktivistInnen bei der genehmigten Kundgebung am Rande des GÜZ vom Übungsgelände kommend (!) „anmeldeten“.

Am Ende erfuhren die KriegsgegnerInnen in den Berichten im Abendplenum auf dem Camp, dass etwa 200 bis 250 AktivistInnen das GÜZ „geentert“ und unterschiedlichst als Kriegsgelände markiert hatten. Gebäude und militärisches Material wurden bemalt, Transparente, Aufkleber und Fahnen angebracht. Eine Gruppe der Lebenslaute spielte an der Baustelle „Schnöggersburg“ klassische Musik auf, ehe sie festgenommen wurde. Ein trotz der angekündigten Aktion des zivilen Ungehorsams an dem Tag durchgeführtes Manöver wurde sabotiert, als zwischen den Krieg übenden Soldaten etwa 40 AntimilitaristInnen einen Panzer umstellten und blockierten. Der Panzer wurde mit freundlichem Rosa umgestaltet und mit antimilitaristischen Losungen markiert.

Obwohl außer den Aktiven der regionalen BI Offenen Heide, der Gruppe Lebenslaute und der DFG-VK sich keine anderen Organisationen und Strukturen der originären Friedensbewegung an den Protesten am Gefechtsübungszentrum beteiligt haben, ja teilweise gar gegensätzliche Interessen ausmachten und sich mit gleichen Argumentationslinien wie (militärverbundene) Medien, Polizei, Militär und Justiz der kriegführenden Bundesrepublik Deutschland an der Kriminalisierung des Camps und seiner Aktiven beteiligten, konnten die mit dem Camp verbundenen Ziele allumfänglich erreicht werden.

Bereits schon durch die Ankündigung des Camps und der Proteste fanden das GÜZ und die dort vollzogenen Planungen den Weg in die bundesweite Öffentlichkeit – „markiert!“.

Das oftmals in der strukturschwachen Region verbreitete Arbeitsplatzargument konnte öffentlich und nachhaltig ebenso widerlegt werden wie die durch die Militärs verbreitete Mär vom Üben von Friedens- und Katastrophenhilfeeinsätzen – „sabotiert!“

Auch wenn der Übungsbetrieb trotz des angekündigten Protestes auf dem Übungsgelände entgegen üblicher Verfahren nicht voll eingestellt, sondern lediglich verringert wurde und nicht ganz zum Erliegen kam, wurde das Üben für den Krieg durch das Binden von Ressourcen in Planung und Organisierung bei Polizei, Militär und Verwaltung behindert. Straßen mussten Stundenlang voll gesperrt werden – „blockiert!“.

Wenn aber schon mit der begrenzten Anzahl der teilnehmenden KriegsgegnerInnen diese Ziele bereits erreicht werden konnte, was hätte dann erst eine breite Mobilisierung und Beteiligung der Friedensbewegung bewirken können?

In diesem Zusammenhang nicht weiter erwähnenswert ist, dass trotz der ausgebliebenen stundenlangen öffentlichen Diskussionen auf dem Camp und des Verzichts auf öffentliche Erklärungen über die Gewaltfreiheit der geplanten antimilitaristischen Aktivitäten, sämtliche Aktivitäten den Grundsätzen gewaltfreier Aktionen und zivilem Ungehorsam gerecht wurden.

Reaktionen
Wie richtig die Auswahl dieses Ortes für Proteste gegen den Krieg ist (und sowie für die Zukunft sein kann) und wie wichtig dem Militär gerade dieser Ort ist, wird bei der Sicht auf die Reaktionen auf die Protestankündigungen und die sich daraus entwickelten staatlichen Kriminalisierungs- und Repressionsaktivitäten deutlich.

So wurde, wie bei den Großereignissen 2007 in Heilgendamm und 2009 in Baden-Baden / Strasbourg oder auch den Castortransporten nach Gorleben eine Allgemeinverfügung erlassen, mit der in einem Gebiet von ca. 400 km² Demonstrationen und Kundgebung verboten und Grundrechte aufgehoben wurden. Trotz gerichtlicher Prüfung im Eilverfahren konnten (zum Schutz der „militärischen Funktionsfähigkeit der Streitkräfte“ - VG Magdeburg) nicht alle Kundgebungsverbote aufgehoben werden. Gemeinsam waren über 1000 PolizistInnen, 500 FeldjägerInnen, 26 ReiterInnen, Hundestaffel, 7 Hubschrauber, 2 Wasserwerfer über mindestens eine Woche im Einsatz. Die Kosten werden wohl in die Millionen gehen. Verwaltungserlasse regelten für den Zeitraum Zuständigkeiten neu. Ein gemeinsamer Stab aus kommunalen und Landesverwaltungen gemeinsam mit Polizei und Bundeswehr koordinierte die staatliche zivil-militärische Protestabwehr. Ein gemeinsames Pressebüro machte die Öffentlichkeitsarbeit. Während das Bundesverfassungsgericht noch (!) festlegte, dass der Einsatz von Soldaten im Innern nur in Situationen „katastrophischen Ausmaßes“ eingesetzt werden dürfe, in der Politik aus einigen Richtungen beschwichtigt wurde, dass dieses kein Freibrief sei und zivile Flugzeuge auch weiterhin nicht einfach abgeschossen werden dürften, wurde u.a. durch gemeinsame Patrouillen von Polizei und Feldjägern innerhalb und außerhalb des militärischen Geländes an Kundgebungs- und Proteststätten der Bundeswehreinsatz im Innern vollzogen.

Um den riesigen staatlichen Abwehrapparat zu rechtfertigen, wurde in bekannter Weise die Anzahl der Platzverweise, angeblicher Ordnungswidrigkeiten und Festnahmen in die Höhe getrieben. Während es auf dem GÜZ Gelände durch das Agieren der KriegsgegnerInnen lediglich zu vereinzelten Festnahmen kam, kesselte die Polizei eine spontane Kundgebung von AntimilitaristInnen am Nachmittag des Aktionstages ein und verteilte nach der Personalienfeststellung an die Teilnehmenden sowie zufällig in den Kessel Geratene Platzverweise.

Nacharbeit
Besonderes Augenmerk in der Nacharbeit kommt jetzt der juristischen Prüfung der Allgemeinverfügung, des Verbots der Kundgebung vor der Kaserne Letzlingen und der Solidaritätsarbeit mit den von Kriminalisierung und Repression Betroffenen zu. Rechtfertigt der Schutz des Militärs in einer demokratischen Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland die Aufhebung von Grundrechten wie Demonstrationsfreiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung oder Pressefreiheit?

Auch die Kosten für das Camp sind bis heute leider noch nicht gedeckt. Hier kann ebenso ein Feld aufgegriffen werden, in dem die Friedensbewegung lange Erfahrung vorzuweisen hat und in der Vergangenheit immer solidarisch war. Aktive KriegsgegnerInnen wurden nach ihren Aktionen gegen Militär und Kriegsübungen nie allein gelassen und sollten auch jetzt die Solidarität der Masse von Friedensbewegten und AntimilitaristInnen erfahren. Finanzielle Unterstützung für alle Folgekosten des Cams und der Aktionen wird dringend benötigt und kann unter dem Kennwort „War-starts-here-Camp“ auf das DFG-VK-Konto 830 4601 bei der Bank für Sozialwirtschaft mit der BLZ 370 205 00 geleistet werden.

Weitere Infos zum Camp und dem Gefechtsübungszentrum unter: www.warstartsherecamp.org

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