Personalbedarf, Rekrutierungsprobleme und der Neue Wehrdienst

Auf der Suche nach Soldat*innen und Reservist*innen

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Die Bundeswehr steht vor enormen Rekrutierungsproblemen: Obwohl sie schon länger nicht in der Lage ist, die personellen Planziele zu erreichen, sollen diese nun allem Anschein nach sogar noch weiter angehoben werden. Abhilfe soll der neue Wehrdienst und später womöglich die Re-Aktivierung der Wehrpflicht schaffen, mit denen nicht nur Soldat*innen rekrutiert, sondern auch die Reserven ausgebaut werden sollen.

Im September 2018 gab das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr das Ziel aus, 2027 eine erste Division und bis 2031 zwei weitere dieser schweren Großverbände mit je 15.000 bis 20.000 Soldat*innen der NATO zur Verfügung stellen zu können. Zwei der drei Divisionen sollten auf „hochintensive Gefechte“ vor allem mit Blick auf Russland ausgerichtet sein, die dritte Einheit eher den Fokus auf Militärinterventionen im globalen Süden legen.

Dementsprechend wurde die „Mittelfristige Personalplanung“ mehrfach nach oben angepasst, zuletzt wurde 2019 die Zielgröße von 203.000 Soldat*innen bis zum Jahr 2025 ausgeben. Da die Bundeswehr allerdings alle Müh und Not hat, den aktuellen Bestand von rund 180.000 Soldat*innen auch nur stabil zu halten, musste dieses Datum zuerst auf 2027 und dann auf 2031 nach hinten verschoben werden.

Das alles geschah, bevor die NATO infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine ihre Zielvorgaben mit der Verabschiedung eines ab 2025 gültigen „Neues Streitkräftemodell“ (New Force Model, NFM) im Juni 2022 ebenfalls massiv erhöhte. Wurden bislang im Rahmen der Schnellen NATO-Eingreiftruppe „nur“ 40.000 Soldat*innen vorgehalten, sieht das NFM nun drei Bereitschaftsgrade vor: 100.000 Soldat*innen sollen innerhalb von nur zehn Tagen in Bewegung gesetzt werden können; bis Tag 30 will die NATO dann in der Lage sein, bis zu 200.000 weitere Truppen hinterherzuschicken; und bis Tag 180 sollen noch einmal 500.000 Soldat*innen mobilisiert werden können.

Bislang hat Deutschland für das neue Streitkräftemodell 35.000 Soldat*innen (v.a. eine Division und die geplante Brigade in Litauen) für die ersten beiden Bereitschaftsgrade zugesagt. Vor diesem Hintergrund wurde die Aufstellung der ursprünglich für 2027 geplanten ersten schweren Division um zwei Jahre auf 2025 vorgezogen (Nummer zwei soll nun 2027 und die dritte 2029 folgen). Insgesamt hat Deutschland bis 2031 zehn Kampfbrigaden zugesagt – aktuell verfügt sie über acht, eine neunte wird derzeit aufgebaut.

Doch schon länger Pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass der von der NATO geforderte deutsche Beitrag deutlich größer sein dürfte. So berichtete die Welt am 6. Oktober 2024 (1), die NATO sei dabei, ihre Kapazitätsziele („Minimum Capability Requirements“, MCR) anzuheben, zu denen Deutschland knapp 10 Prozent beitrage. Gegenüber bisherigen Planungen wolle die NATO künftig insgesamt über 15 Kampfkorps (Anstieg um 9), 38 Divisionen (+14), 131 Kampfbrigaden (+49), 1467 bodengebundene Flugabwehreinheiten (+1174) und 104 Hubschrauberverbände (+14) verfügen. Für Deutschland bedeute das u.a. „fünf bis sechs weitere Kampftruppenbrigaden“ mit je rund 5.000 Soldat*innen, zitiert das Blatt aus einem Dokument des Verteidigungsministeriums.

Schon zuvor berichtete Spiegel Online am 7. Juni 2024 (2), aus „vertraulichen Papieren des Verteidigungsministeriums“ gehe hervor, „dass aktuelle Nato-Planungen ein Ziel von ‚tendenziell deutlich über 272.000‘ Soldaten erfordern“ würden. Ganz so weit wollte Verteidigungsminister Boris Pistorius dann doch nicht gehen, allerdings deutete er Ende Dezember 2024 an, ein Aufwuchs auf 230.000 Soldat*innen sei erforderlich. Gleichzeitig soll die Reserve laut Patrick Sensburg, dem Präsidenten des Reservistenverbandes, massiv ausgebaut werden: „Die Reserve gliedert sich einerseits in die Truppenreserve und die Territoriale Reserve – also alle Reservisten, die auf einem Dienstposten eingeplant (beordert) sind – sowie andererseits in die Allgemeine Reserve. […] Beorderte Reservisten gibt es derzeit ca. 40.000. Dieser Bedarf wächst bis 2027 auf ca. 60.000. Darüber hinaus wird der Bedarf zukünftig auf insgesamt 260.000 beorderte Reservisten ansteigen.“ (3)

Ohne drastische Maßnahmen ist eine Umsetzung dieser Personalziele völlig illusorisch. Der im Juni 2024 vorgeschlagene Neue Wehrdienst sollte dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er sollte zunächst 5.000 zusätzliche Rekrut*innen für eine Dienstzeit zwischen sechs und 23 Monaten generieren. Weil die neuen Wehrdienstleistenden im Anschluss auch für mindestens sechs Jahre als beorderte Reservist*innen gewonnen werden sollen, geht es dabei mindestens ebenso sehr darum, die Reserve aufzufrischen, die seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 deutlich in die Jahre gekommen ist. Hierfür soll auch die Wehrerfassung wieder eingeführt werden, um so vollständige Datensätze über alle zu erhalten, die im Kriegsfall eingezogen werden sollen.

Die vorgezogenen Neuwahlen haben diesen Plänen zunächst einmal wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach dem Urnengang ist aber mit einer Umsetzung zu rechnen – und da außerdem davon auszugehen ist, dass damit die Rekrutierungsprobleme der Bundeswehr kaum zu beheben sein dürften, auch damit, dass im Anschluss rasch Forderungen nach einer Re-Aktivierung der Wehrpflicht (nebst Ausweitung auf Frauen und der Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht) auf die politische Tagesordnung gesetzt werden dürften.

Anmerkungen
1 https://www.welt.de/politik/deutschland/article253847236/Absicherung-geg...
2 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-will-60-000-reserv...
3 Europäische Sicherheit und Technik, 22.8.2024, https://esut.de/2024/08/fachbeitraege/51949/die-reserve-in-der-europaeis...

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