Konversion für Entmilitarisierung

Befreiung der Wirtschaft vom Faktor Militär mit den Betroffenen gemeinsam erkämpfen

von Anne Dietrich

Wer sich die Abschaffung der Institution "Militär" zum Ziel gesetzt hat, muß sich mit vielen, äußerst verschiedenartigen Einwänden und Befürchtungen auseinandersetzen, die diesem Projekt entgegenstehen. Da ist es zum Beispiel die Sorge vor dem Verlust staatlicher Souveränität nach innen und außen bei Verzicht auf Militär. Militaristische und männerbündlerische Traditionen zählen ebenso zu den Beharrungskräften des Militärs wie die Bewunderung - nicht nur von Frauen - für schmucke Soldaten und andere Uniformierte. Auch wird davor gewarnt, daß Entmilitarisierung im nationalen Alleingang sehr schnell wieder in nationale (gesamtdeutsche), von supranationalen Einbindungen losgelöste Wiederaufrüstung zur militärischen Supermacht umschlagen könne. Nicht zuletzt gibt es erhebliche Angst vor wirtschaftliche Nachteilen aus dem Wegfall der Faktoren Rüstung und Militär als Einkommensquellen.

Wir sollten das letztgenannte Bedenken besonders ernstnehmen. Es geht hier um die Sorge von Menschen, die seither als Soldaten oder zivile Beschäftigte bei Streitkräften oder in der Rüstungsproduktion ihren Lebensunterhalt erwirtschaftet haben, daß Entmilitarisierung ihnen ihre materielle Existenzgrundlage entzieht.

Für eine Bewegung, die·Militär als Faktor der Politik beseitigen und an seine Stelle gewaltfreie Methoden für die Lösung politischer Konflikte setzen will, verbietet es sich, diese Sorge der von dieser Umorientierung existentiell Betroffenen zu mißachten. Es geht nicht an, daß für diese Bewegung "der Soldat" oder "die/der Rüstungsarbeiterin" zum pauschalen Feind wird. Wir müssen akzeptieren, daß die Fähigkeit einer Gesellschaft zur politischen Konfliktlösung sich auch daran mißt, inwieweit sie in der Lage ist, die beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Folgen von Entmilitarisierung den Bedürfnissen der Betroffenen angemessen zu bewältigen. Diese Probe aufs Exempel gewaltloser Politik kann von Seiten der Bewegung durch das Anwenden eines genuin gewaltfreien methodischen Vorgehens sehr positiv beeinflußt werden. Gewaltfreies Vorgehen im Konflikt heißt, als kritisierens- und abschaffenswert empfundenes Verhalten zwar scharf anzugreifen, aber dabei den dieses Verhalten zeigenden politischen Gegner nicht in seiner Existenz zu bedrohen. Ziel ist es, den Konfliktpartner in die Lage zu versetzen; sein Verhalten selbst kritisch zu überdenken, in einen Meinungsaustausch mit den Kritikern darüber einzutreten und schließlich in diesem gesellschaftliche Diskurs von der besseren Alternative zum kritisierten Negativ-Verhalten überzeugt zu werden. Ein solches Vorgehen scheint zunächst einer idealistischen Vorstellung zu entsprechen, die als völlig wirklichkeitsfremd empfunden wird - haben sich doch in der bisherigen Geschichte meist gewaltsame Machtpolitiken durchgesetzt. Nicht nur, weil wir Neues, nämlich gewaltfreie Methoden politischer Veränderung, demonstrieren wollen, sondern auch, weil wir die Betroffenen als BündnispartnerInnen brauchen, haben wir jedoch keine andere Wahl.

Beides, der gewaltfreie Diskurs zum Zweck der Lösung des Konfliktes Arbeitsplätze versus Entmilitarisierung und das Einbinden von an diesen Arbeitsplätzen abhängig Tätigen kann nur gelingen, wenn wir uns ernsthaft um Alternativen für diese Arbeitsplätze bemühen. Gleiches gilt für die von den indirekten Folgen der Verringerung und schließlich Einstellung der Militäraktivitäten und Rüstungsproduktion betroffenen Regionen und Gemeinden. Fast zwei Dutzend Kommunen haben bereits in Bonn und Brüssel gebeten, militärische Einrichtungen nicht von ihrem Gebiet zu entfernen; weil dies ruinöse Folgen für ihre vom Faktor Militär abhängige lokale Wirtschaftsstrukturen haben würde. Solche Gemeinden können nur dann zu positivem Mitwirken an Entmilitarisierung gewonnen werden, wenn wir uns intensiv um Hilfen für die Emanzipation von deren Wirtschaft vom Militär kümmern und ihnen einer eigenständigen, zivilen regionalen Wirtschaftsstruktur mit der Suche nach Alternativen zur Einkommensquelle Militär helfen.

Betroffenen Beschäftigte oder Gemeinden können im Konflikt um Arbeitsplätze oder Einkünfte versus Entmilitarisierung dann - und nur dann - zu Bündnispartnern gewonnen werden, wenn ihre Suche nach Alternativen für die persönliche oder lokale Einkommensquelle Rüstung oder Militär von uns nachhaltig ernstgenommen und unterstützt wird.

Deshalb gehört die Aufgabe "Konversion“, d. h. Umwandlung von militärischen-rüstungsproduzierenden Arbeitsplätzen und Einkunftsquellen in zivile Alternativen ganz oben auf die Entmilitarisierungs-Tagesordnung. Im Dialog mit den Gewerkschaften und Betriebsgruppen, die bereits Erfahrung mit der Einwirkung auf Produktion und ihre Bedingung in großem Umfang besitzen, mit KommunalpolitikerInnen und -planerInnen und allen interessierten gesellschaftlichen Kräften (Medien, Kirchen, Berufsgruppen u. a. m.) müssen funktionable Wege für die Umstellung auf eine "Friedenswirtschaft" gefunden werden. Nur so können verläßlich dauerhafte innenpolitische Mehrheiten für Entmilitarisierung geschaffen werden. Nur so wird Entmilitarisierung auch außenpolitisch wirklich glaubwürdig sein: Erst wenn Kräfte, die aus beschäftigungspolitischen Gründen gegen Entmilitarisierung opponieren (müssen), ihres stärksten Arguments - nämlich: es gebe ja keine Alternativen - beraubt sind, ist der Gefahr eine Remilitarisierung dauerhaft der Boden entzogen. Eine von Militär und Rüstung befreite regionale und staatliche Wirtschaft wird sich jederzeit der internationalen Überprüfung dieses Zustandes öffnen.

Wie wir zur Zeit etwa in der UdSSR und der DDR beobachten können, sind solche Phasen der Umstellung politisch und wirtschaftlich sehr schwierig. Wir sollten darauf beharren, daß das Ziel Entmilitarisierung dabei die allerhöchste Priorität erhält. Die Erfüllung der folgenden Forderungen würde eine gewisse Gewähr dafür bieten:

  1. Beteiligung, der betroffenen ArbeitnehmerInnen in der Rüstungsproduktion und der BürgerInnen an Militärstandorten an Planungen und Entscheidungen über Konversionsmaßnahmen und Transparenz aller Schritte für die Öffentlichkeit. 
  2. Schaffung dauerhafter Alternativen zu den bisherigen militär- oder rüstungsbedingten Einkommensquellen. Ausrichtung dieser Alternativen auf die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt in den 90er Jahren. Gewährung von ökologischer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit als wichtigste Kriterien für die Beurteilung von Konversionsprojekten.
  3. Umwandlung des Militär- in einen Konversionshaushalt und Streichung jeglicher militärischer Forschungs- und Entwicklungsprogramme. Stattdessen umfangreiche Förderung betrieblicher und regionaler Konversionsprojekte, die den in 1) und 2) genannten Kriterien genügen.

Anne Dietrich ist Mitarbeiterin der grünen Bundestagsfraktion

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